MOTORRAD Classic 06/2016
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SZENE I<br />
IFA/MZ BK 350<br />
Nach dem Kauf der Maschine baute Thiele aus mehreren<br />
mitgelieferten Kisten mit Einzelteilen einen originalen<br />
Motor der ersten BK-Generation auf, erkennbar auch an<br />
der Ausbuchtung in der vorderen Abdeckung<br />
als Ish 350 im Kalasch nikow-Werk vom<br />
Band lief, wiederzu beleben und zu modernisieren.<br />
Das Problem dabei: In Ostdeutschland<br />
gab es keine Fertigungsbetriebe für Rollenketten,<br />
die für die Primär- und Sekundärantriebe<br />
von Motorrädern benötigt<br />
wurden. Dass in der Anfangszeit für die<br />
Endmontage der RT 125 Rucksackträger<br />
aus dem Westen Ketten beschafften, ist<br />
tatsächlich keine Legende! Was unter<br />
anderem der EMW 350 in Eisenach das<br />
Leben verlängerte und die Serieneinführung<br />
der AWO 425 in Suhl beschleunigte<br />
– beide Maschinen besaßen ja einen Kardanantrieb!<br />
So schlug man Ende 1949 in<br />
Zschopau vor, ein Motorrad mit Zweizylinder-Zweitakt-Boxermotor<br />
und Kardanwelle<br />
zu bauen. Für das die Partei- und<br />
Staatsführung ungewöhnlich schnell Genehmigung<br />
und Auftrag erteilten. Zusammen<br />
mit dem Versprechen, dank des ab<br />
1951 laufenden Fünfjahresplans den Westen<br />
wirtschaftlich zu überholen – auch mit<br />
Hilfe eines Boxer-Motorrads à la BMW.<br />
Die Idee für dieses ungewöhnliche Antriebskonzept<br />
lieferte dabei der „Riedel-<br />
Anlasser“, zu jener Zeit der bekannteste<br />
Zweitakt-Boxermotor. Der hatte im Krieg<br />
als Anlassmotor für die Strahltriebwerke<br />
der Firmen Junkers und BMW Flugzeug-<br />
Geschichte geschrieben. Der von Norbert<br />
Riedel, dem späteren Kons trukteur der<br />
Imme, entwickelte Ultrakurzhuber mit<br />
270 cm³ Hubraum leistete 10,5 PS. Noch<br />
während des Krieges erhielten die Zweitaktspezialisten<br />
von DKW von der Luftwaffe<br />
den Auftrag, einen ähnlichen Motor<br />
mit mehr Leistung zum Starten größerer<br />
Flugzeugtriebwerke zu bauen. Dabei<br />
diskutierten die Konstrukteure Hermann<br />
Weber und Kurt Bang die Möglichkeit,<br />
einen solchen Motor auch als Motorradtriebwerk<br />
einzusetzen. Über Gedankenspiele<br />
kam man dabei jedoch nicht hinaus,<br />
das Kriegsende setzte dem ebenso ein<br />
Ende wie der Überführung des DKW-Anlassermotors<br />
in die Serienfertigung.<br />
Nach der „Dienstverpflichtung“ von<br />
Weber in die Sowjetunion versetzten die<br />
Besatzer Bang in das „Sowjetische Konstruktionsbüro“,<br />
das kurz nach Kriegsende<br />
in den Gebäuden der Zentralen Versuchsanstalt<br />
der Auto Union in Chemnitz eingerichtet<br />
wurde. Hier traf er wieder auf<br />
August Prüssing, den DKW-Rennleiter,<br />
Hans Sprung, den Meister der DKW-Versuchsabteilung<br />
und Siegfried Rauch, der<br />
zuletzt Leiter der Kundendienstwerkschule<br />
bei DKW war.<br />
Bang unterbreitete den Sowjets den<br />
Vorschlag, ein Motorrad mit Zweitakt-Boxermotor<br />
zu konstruieren und erhielt von<br />
den sowjetischen Offizieren umgehend<br />
den Befehl dazu. So zeichneten Bang und<br />
seine Mitarbeiter den Motor, der dann im<br />
Bark-Motorenwerk in Oberkunewalde bei<br />
Zittau gebaut wurde, das ebenfalls unter<br />
russischem Befehl stand. Dort entstand<br />
zumindest ein Prototyp vom 250er-Zweitakt-Boxer,<br />
wie sich Siegfried Rauch Jahrzehnte<br />
später erinnerte. Mit Trockenkupplung,<br />
Vierganggetriebe und Kardanwelle<br />
versehen, wurde das Triebwerk in ein dafür<br />
geändertes MZ-Fahrwerk gesetzt, das<br />
eine Trapezfeder gabel besaß, aber ohne<br />
Hinterradfederung auskommen musste.<br />
Damit ging Meister Sprung 1947/48 auf<br />
lange Probefahrten. Mit der Auflösung des<br />
Konstruktionsbüros 1949 verschwand der<br />
Prototyp samt Konstruktionsunter lagen<br />
allerdings in die UdSSR.<br />
Kurt Bang wurde daraufhin nach<br />
Zschopau versetzt, wo er – wie bereits erwähnt<br />
– nun den deutschen Behörden den<br />
Zweitakt-Boxer schmackhaft machte. Das<br />
hat geklappt, und so begann das Zschopauer<br />
Konstruktionsbüro umgehend mit<br />
der Neuentwicklung, die sich am zuvor in<br />
Chemnitz entstandenen Motor orientierte.<br />
Allerdings mit 350 cm³, da in Suhl bereits<br />
eine neue 250er-Maschine, die AWO, kurz<br />
vor der Serienfertigung stand und in<br />
Zschopau perspektivisch die 250er-Klasse<br />
mit einem Einzylindermotor bedient werden<br />
sollte. Beim Zweitakt-Boxer waren es<br />
schließlich 343,4 cm³ Hubraum, die sich<br />
aus je zweimal 65 Millimetern Hub und 58<br />
Millimetern Bohrung ergaben. Die beiden<br />
Leichtmetall-Flachkolben (Dreikanal-Umkehrspülung)<br />
der gegenüberliegenden<br />
Zylinder liefen im gleichen Arbeitstakt,<br />
38 <strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 6/<strong>2016</strong><br />
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