09.09.2016 Aufrufe

2013-04

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Winter<br />

WINTERLICHE EINQUARTIERUNG<br />

viel Trara um ein verirrtes Spitzmäuschen<br />

Der Winter war eisig<br />

kalt, Glatteis<br />

unter Schneebergen,<br />

die die Lust zum<br />

Schneeschaufeln vergehen<br />

ließen. Die Heizung<br />

im Haus bullerte mit voller<br />

Kraft, und vielleicht<br />

zog auch vom Heizungskeller<br />

aus ein kleines<br />

bisschen Warmluft durch<br />

das Lüftungsrohr nach<br />

außen; denn die Öffnung<br />

führte in den Lichtschacht,<br />

der mit einem<br />

Eisengitter abgedeckt<br />

war. Ja, und da muss es wahrscheinlich passiert sein, dass<br />

sich ein Mäuschen zu dem warmen Lüftchen hingezogen<br />

fühlte und schwuppdiwupp durchs Gitter flutschte und problemlos<br />

nach einer weiteren Rutschpartie durchs Lüftungsrohr,<br />

wohlbehalten in unserem Heizungskeller ankam.<br />

An der Hinterlassenschaft war zu erkennen, dass wir<br />

einen neuen Untermieter hatten, wahrscheinlich ein Mäuschen<br />

aus der Gattung Feld- oder Spitzmaus. Allerdings hat<br />

es sich mir nie vorgestellt, ist nicht an mir vorbeigehuscht,<br />

aber es hat die Milch geschleckt, Speckstückchen, Weißbrotwürfel<br />

oder Käsebröckchen geknabbert, die ich ihm<br />

abends deponierte und die jeden Morgen verschwunden<br />

waren. So gesehen musste es ja gegenwärtig sein, denn in<br />

seinem derzeitigen Umfeld wäre auch nichts zum Anknabbern<br />

für zugewanderte Mäuse zu finden gewesen.<br />

Nun, bei freier Kost und Logis hatte es ein bequemes<br />

Mäusedasein, sich sozusagen eingenistet bei uns unten im<br />

Haus, in unserem Arbeitsraum, von dem aus auch eine Türe<br />

nach draußen in den Garten führte. Und eines Tages, um<br />

die Mittagszeit bei herrlich sonnig-frostigem Winterwetter,<br />

ließ ich die Türe zum Garten hin offen, um den Abfall zur<br />

Mülltonne zu bringen.<br />

Oje! Und da hat sich unser Gast wohl ganz schnell und<br />

unbemerkt nach draußen geschlichen, denn am nächsten<br />

Morgen lag direkt vor der Türe auf der Fußmatte ein kleines,<br />

graues hilfloses Mäuschen. Tot! Erfroren! Es muss unser<br />

kleiner Einwanderer gewesen sein, der wieder in seine augenblicklichen<br />

heimatlichen Gefilde zurückkehren wollte,<br />

und dann wegen der nun geschlossenen Türe keinen Einlass<br />

mehr zu seiner letzten, anscheinend für Nager in frostigen<br />

Zeiten zufriedenstellenden Unterkunft fand.<br />

Der kleine Mitbewohner mit dem langen Schwänzchen,<br />

den schwarzen Knopfaugen, spitzen, kleinen Öhrchen und<br />

einem niedlichen Stupsnäschen, das nun nicht mehr nach<br />

Nahrung schnuppern<br />

konnte, hatte die, sich<br />

dem Ende zu nahende,<br />

eisige Winterzeit nicht<br />

mehr überlebt. Hätte<br />

ich dem Mäuserich,<br />

vielleicht war es ja<br />

auch eine Mäusedame,<br />

schon mal ein<br />

Schnäpschen in die<br />

Milch gegeben, wäre<br />

„er” oder „sie” möglicherweise<br />

besser über<br />

den Winter gekommen<br />

und hätte auch<br />

die wohlige Wärme<br />

im leicht benebelten Mäusehirn eher zu schätzen gewusst,<br />

anstatt sogleich beim ersten frühlingshaften Luftzug am<br />

Spitzmause-Näschen nach draußen zu flüchten.<br />

Ein üblicherweise in der freien Natur lebendes Wesen,<br />

das einsam und dazu auch noch alleine für eine unbestimmte<br />

Zeit sozusagen in Quarantäne lebt, also eingesperrt sein Dasein<br />

verbringt, wohlversorgt von der Gattung Mensch mit<br />

Nahrung zum Überleben, muss einfach die erstbeste Gelegenheit<br />

zum Ausbruch in die goldene Freiheit riskieren. Ob<br />

aus reiner Neugier und Abenteuerlust, ist dabei unwichtig,<br />

denn sich bei Tag ständig verstecken müssen, und das große<br />

Fressen erst in der nächtlichen Dunkelheit beginnen zu können<br />

- wer hält das schon aus?<br />

Da ich den, eigentlich ja immer unsichtbaren, und keineswegs<br />

gewollten Eindringling nun einmal in mein Herz geschlossen<br />

hatte, ihn auch nicht einfach nur sooo verkommen<br />

lassen wollte, wurde er liebevoll gebettet in blumige Servietten<br />

auf frisch geschnittenen, immergrünen Wacholderzweigen.<br />

Adieu, mein kleiner Untermieter.<br />

Gerda Greis<br />

Foto: Gudrun Neuser<br />

4/<strong>2013</strong> durchblick 25

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!