2013-04
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Liebe Dietlind,<br />
Förderturm in Waldenburg-Hochwald<br />
im Jahr 1986 hatte Deine Oma mir zum 50sten Geburtstag<br />
eine Reise zu unseren Wurzeln geschenkt, eine Busreise<br />
nach Waldenburg. Mit von der Partie war auch Tante<br />
Trudl, ihre beste Freundin. Die Stimmung war gut und<br />
die Reisenden voller Erwartung. Es wurde viel geredet.<br />
Die meisten Sätze begannen mit den Worten: Ja weißt<br />
Du noch..., oder wissen Sie noch...? Inzwischen waren<br />
immerhin 40 Jahre vergangen.<br />
Die älteren Teilnehmer gaben Sprüche in der alten Mundart zum Besten und fragten die Jüngeren,<br />
ob sie das noch verstehen würden? Wenn nicht, wurde übersetzt. Eine neue Generation war herangewachsen,<br />
die die alte Heimat ihrer Eltern nur noch aus deren Erzählungen kannte.<br />
Der Grenzübertritt nach Polen ging zügiger vonstatten als die Einreise in die DDR. Nach Passieren<br />
der polnischen Grenze fiel uns gleich auf, dass die Straßen wesentlich schmaler waren und zu beiden<br />
Seiten von Alleebäumen gesäumt wurden, wie früher. Die Häuser an den Straßen waren grau und nicht<br />
renoviert. Dagegen gab es wunderbar gepflegte Gemüsegärten. Die Beete und Anpflanzungen sahen<br />
aus wie mit dem Lineal gezogen, Hühner und Gänse durften noch frei herumlaufen. Es fuhren nur wenige<br />
Autos auf den Straßen, hier und da sah man mal einen kleinen, oft alten Polski-Fiat, der meistens<br />
so voll bepackt war, dass der Fahrer kaum noch durch die Heckscheibe sehen konnte.<br />
In der Dämmerung erreichten wir unser Ziel „Hotel Sudety“. Vor dem Hotel standen noch weitere<br />
Luxus-Busse mit Nostalgie-Reisenden aus dem Westen. Wir checkten ein und wurden gleich anschließend<br />
im Restaurant zum Essen erwartet. Wie waren wir da erstaunt, als sich für uns Touristen „die<br />
Tische nur so bogen“, wo wir doch wussten, dass Polen sehr verarmt war und die Bevölkerung darbte.<br />
Unzählige Lebensmitteltransporte aus dem Westen halfen die größte Not zu lindern.<br />
Hotel „Sudety“ war ein Hochhaus, das viele Menschen unterbringen konnte und das den Ortsmittelpunkt<br />
des Stadtteiles Waldenburg-Altwasser bildete. Es war von der polnischen Regierung erbaut<br />
worden. Nirgendwo sonst in der Stadt hatte man irgend ein anderes neues Gebäude errichtet oder renoviert.<br />
Früher war an der Stelle des Hotels ein kleiner Park mit Bank und Springbrunnen gewesen, direkt<br />
gegenüber des Polizeipräsidiums. Vom Hotel aus konnte man auch die ehemalige Porzellan-Fabrik<br />
Tielsch sehen, die früher mit Rosenthal fusioniert war. Es wurde dort immer noch Porzellan hergestellt.<br />
Etwas rechts sah man das Halbrund des Bahnhofs Altwasser. Wir besuchten am ersten Tag die ehemalige<br />
Herbert-Norkus-Schule, in der „Peterla“, mein jüngerer Bruder, seine I-Männchen-Zeit hinter<br />
sich gebracht hatte und meine Schule, die für mich mit der zweiten Klasse endete. Die Schulen wurden<br />
danach als Durchgangslager für die Pferdewagenkolonnen der heranflutenden Ostpreußen-Flüchtlinge<br />
genutzt. Für uns Kinder war die Schulzeit damit in Schlesien beendet.<br />
Wir liefen in der Stadt herum und sahen uns dieses und jenes an, was Deine Oma und Tante Trudl<br />
wiederum zu Sätzen veranlasste, die mit „weißt du noch...“ begannen. Ich selbst erinnerte mich noch an<br />
das CENTRAL-Kino“. Hier hatte ich in Begleitung Deiner Oma die Filme „Junge Adler“ mit dem damals<br />
15-jährigen Hardy Krüger und Dietmar Schönherr oder „Reitet für Deutschland“ mit Willi Birgel, auch<br />
der „Lügenbaron Münchhausen“ oder „Große Freiheit Nr. 7“ mit Hans Albers, oder Tanzfilme mit Marika<br />
Röck wie „Frauen sind doch bessre Diplomaten“, gesehen. Alle Frauen gingen damals oft ins Kino, denn<br />
ihre Männer waren an der Front. In die Nachmittagsvorstellungen nahmen sie auch gerne ihre Kinder mit.<br />
Am zweiten Tag fuhren wir mit einem Taxi ins Dorf meiner Großeltern, Deiner Urgroßeltern. Taxi-Fahren<br />
war in Polen sehr billig und die Fahrer sprachen meistens auch Deutsch. Als wir im Dorf ankamen,<br />
wandten wir uns dem Haus zu, in dem wir einmal gewohnt hatten. Wir standen am Zaun und trauten uns<br />
nicht, das Tor zu öffnen und die kleine verwilderte Parkanlage zu überqueren. Da kam ein älterer Herr auf