2013-04
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ohnengroßen Pillen zusammengesetzt ist. Hier hat eindeutig<br />
ein Reh seinen Kot hinterlassen, dazu weisen die kleinen,<br />
schmalen Abdrücke der Hufe auf beiden Seiten des Stangengerüsts<br />
auf den Blütenräuber hin. Und auch das mit dem Abrupfen<br />
war richtig erkannt – Rehe haben in ihrem Oberkiefer<br />
nämlich keine Schneidezähne, sondern eine Hornplatte. Mit<br />
diesem Aufbau können sie nicht beißen, sondern müssen<br />
Blätter und Kräuter abrupfen.<br />
Die Blüten der Stangenbohnen sind futsch; zum Glück<br />
sind die Blüten der Buschbohnen nicht dem hungrigen Reh<br />
zum Opfer gefallen. Wir einigen uns dahingehend, dass die<br />
Bohnen neu gelegt werden – vielleicht ist es noch nicht zu<br />
spät hierfür. „Wie wäre es, wenn wir einige ausgediente CDs<br />
an die Bäume hängen, an der Straße hängen diese doch auch<br />
seit einiger Zeit bei den Wildwechseln“, schlägt meine Frau<br />
vor. Der Gedanke erscheint mir so übel nicht. Dank der Straßenlaterne<br />
ganz in der Nähe reflektieren die im Wind sich<br />
drehenden silbernen Scheiben das Licht. Das Reh bekommt<br />
einen riesigen Schreck und tritt augenblicklich die Flucht<br />
an – so die Theorie und die vage Hoffnung.<br />
3. Kapitel<br />
Im Dorf geht es um. Jacqueline ist unterwegs. Mit dem<br />
Einsetzen der Dunkelheit hat sie sich zur Nahrungssuche auf<br />
den Weg gemacht. Im Frühling war sie noch auf Knospen<br />
und Triebe von Sträuchern und jungen Bäumen angewiesen,<br />
dazu hat sie auf der Weide am Waldesrand an jungen Gräsern<br />
und Kräutern genascht. Das machen alle Rehe so. Doch irgendwann<br />
fing Jacqueline damit an, aus der Reihe zu tanzen.<br />
Sie war in der wärmeren Jahreszeit in die Nähe des Ortsrands<br />
geraten und bekam hier einen Duftreiz in die Nase, der ihr<br />
so verführerisch erschien, dass sie schnurstracks auf dessen<br />
Ausgangspunkt lossteuerte. Ein Bauerngarten, in dem die<br />
Wohlgeruch ausströmenden Köstlichkeiten zu finden waren,<br />
zog sie magisch an und sorgte dafür, dass sie augenblicklich<br />
regelrecht süchtig wurde. Sie fraß und fraß und ihr kleiner<br />
Magen füllte sich wie noch nie zuvor. Die Wiesen am Waldesrand<br />
hatten nun als Grenze und auch als Nahrungsquelle<br />
ausgedient, an jedem Abend steuerte das immer mutiger<br />
werdende Reh künftig die Gärten im Außenbereich an. Und<br />
weil das Tier im ruhigen Dorf nie gestört wurde, zudem alle<br />
Hunde des Nachts eingesperrt waren, traute es sich endlich<br />
sogar bis in die Ortsmitte.<br />
„Nanu“, staunt Jacqueline, „was haben wir denn da? Solche<br />
Scheiben hängen ja plötzlich überall herum. Weshalb<br />
man die bloß aufhängt? Vielleicht sollen sie mir den Weg zu<br />
den Buschbohnen zeigen. Werden als nächstes auch in diesem<br />
Garten die Büschel aus Hundehaaren herumliegen oder<br />
sollte es ein rotweißes Flatterband oder gar eine Vogelscheuche<br />
sein?“ In dieser und ähnlicher Reihenfolge waren die<br />
gartenfremden Teile in den anderen Gemüseparadiesen nach<br />
und nach aufgetaucht. Aber lange hält sie sich nicht mit diesen<br />
Belanglosigkeiten auf, sondern verputzt lieber umgehend<br />
die Blüten der Buschbohnen und als Nachtisch einige bunte<br />
Blumenblüten. Schließlich ist Jaqueline satt. Bei einem Apfelbaum<br />
gleich neben dem Garten legt sie sich erst einmal hin<br />
und beginnt vor dem Antritt des Heimwegs in aller Ruhe mit<br />
dem Wiederkäuen. Das geht am besten im Liegen. Sie !<br />
4/<strong>2013</strong> durchblick 43