2013-04
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Meine Mutter kam gelegentlich nach Liebichau. Sie<br />
pendelte zwischen mir und meinem Bruder hin und her. Es<br />
wurde jetzt doch langsam ungemütlich, denn nachts schlugen<br />
andere russische Soldaten mit dem Gewehrkolben gegen<br />
die Haustür. Manches Mal wurde ich aus dem Schlaf<br />
gerissen und musste mit Mutter und der kleinen Grete über<br />
den Zaun zum Nachbarn flüchten. Dort stand ein kleiner<br />
Heuschober. Durch ein kleines rundes Loch krochen wir<br />
hinein und haben so manche Nacht im Heu zugebracht.<br />
Währenddessen musste Oma Emma die Tür öffnen und die<br />
Soldaten durchsuchten das Haus. Einmal kamen sie auch<br />
tagsüber. Mutter und ich konnten gerade noch in den Saal<br />
flüchten und uns hinter bodenlangen Übergardinen verstecken.<br />
Die Soldaten stocherten mit dem Bajonett überall herum<br />
und ich wusste genau, dass ich weder niesen, husten<br />
oder mich sonst irgendwie bewegen durfte. Wie lange ich<br />
da gestanden habe, weiß ich nicht mehr.<br />
Dann kam „der Pole“. Ein gewisser Szostak betrat den<br />
Gasthof, besichtigte sämtliche Räume, ließ sich die Schlüssel<br />
geben, schloss ab und sagte: „Das ist jetzt alles meine!“<br />
Wir durften „gnädigerweise“ Schlafzimmer und Küche der<br />
Großeltern behalten. Opa<br />
Karl war jetzt auch schon<br />
über achtzig und verstand<br />
nicht, dass er seine Gaststube<br />
nicht mehr betreten<br />
durfte.<br />
Im Frühjahr 1945<br />
sollte ich an einem Morgen<br />
meinen Opa wecken.<br />
Er wachte aber nicht auf,<br />
egal was ich als Vierjährige<br />
auch versuchte. Er war<br />
friedlich eingeschlafen. In<br />
der Waschküche wurde er<br />
Die Großeltern hatten im<br />
Winter 1944 noch ihre<br />
goldene Hochzeit gefeiert.<br />
aufgebahrt und ich pflückte<br />
Schlüsselblumen auf der<br />
gegenüber gelegenen Wiese,<br />
die ich dann auf dem<br />
Bettlaken verteilte. Später wurde Opa in Begleitung vieler<br />
Nachbarn mit einem Pferdewagen zum Friedhof gefahren.<br />
Das Zusammenleben mit der Familie Szostak war unerfreulich.<br />
Mit den zwei halbwüchsigen Jungen habe ich<br />
mich täglich gezankt, auch weil ich die neuen Umstände<br />
nicht verstand.<br />
Meine Tante Lena aus Bad Salzbrunn war über die Besatzung<br />
ebenfalls todunglücklich. Ihr gehörte das Hotel „Jägerhof“,<br />
ein damals modernes Haus mit Wasserklosetts im<br />
Gebäude. Dort hatten sich Soldaten eingenistet. Erzählt wurde,<br />
dass sie z. B. ihre Kartoffeln in der Toilette wuschen und<br />
sich wunderten, dass die Kartoffeln immer verschwanden.<br />
Das war alles kaum auszuhalten. Deshalb beschlossen<br />
meine Mutter und meine Tante, mit uns Kindern in den Westen<br />
zu flüchten. Tante Lena war als junge Frau die erste Taxifahrerin<br />
im Dorf gewesen und hatte ein Auto, einen Opel.<br />
Anfang Mai 1945 brachen wir in Richtung Tschechei<br />
(heute Tschechien) auf und hofften, Bayern zu erreichen.<br />
Brigitte Lanko<br />
Alle Fotos: Archiv Lanko<br />
4/<strong>2013</strong> durchblick 57