LAUFZEIT&CONDITION
eMag_lzco_11_2016
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MOSAIK – WELTWEIT<br />
Erlebnis rangiert<br />
vor Ergebnis<br />
Die besten der Welt werden immer schneller, die Hobbyläufer immer<br />
langsamer – Versuch einer Erklärung<br />
Von Jürg Wirz<br />
1<br />
986 kamen beim Berlin-Marathon 16,07 Prozent aller<br />
Klassierten unter drei Stunden ins Ziel, im September<br />
2016 waren das nur noch 4,45 Prozent. Ein anderes<br />
Beispiel: Beim New-York-City-Marathon überquerten<br />
vor 30 Jahren fast die Hälfte, genau 46,5 Prozent, die Ziellinie<br />
im Central Park in einer Zeit von unter vier Stunden, im letzten<br />
November noch knapp mehr als ein Viertel (26,57 Prozent).<br />
Ein anderer Grund: Den Läufer, den Handballer, den Ruderer,<br />
der sich vor allem auf eine Sportart konzentriert und dieser<br />
über Jahrzehnte treu bleibt, gibt es kaum noch. Die Sportwelt ist<br />
bunter, vielfältiger und unübersichtlicher geworden. Es gibt unzählige<br />
Angebote und Möglichkeiten. Man übt die unterschiedlichsten<br />
Sportarten mit den unterschiedlichsten Motiven aus und<br />
probiert immer wieder etwas Neues. Dazu kann auch gehören,<br />
dass man eine Zeit lang an Läufen teilnimmt, danach aber zu<br />
einem anderen Sport wechselt.<br />
Das „Stadion Natur“ liegt für die meisten Deutschen in unmittelbarer<br />
Nähe. Schuhe schnüren, rausgehen und loslaufen! Kein<br />
Wunder, dass immer mehr Menschen die einfachste und billigste<br />
Sportart für sich entdecken. Alle großen Laufveranstaltungen<br />
melden Rekorde; die größten internationalen Marathons haben<br />
längst Teilnahmebeschränkungen eingeführt. Aber das Leistungsniveau<br />
geht zurück. Was sind die Gründe? Hatten die Jogger<br />
in den 1980er-Jahren, als die Welle eben erst von den USA<br />
rübergeschwappt war, mehr Respekt vor einem Wettkampf und<br />
nahmen erst teil, wenn sie wirklich gut vorbereitet waren? War<br />
die Gesellschaft damals allgemein leistungsorientierter als heute?<br />
Der Züricher Sportsoziologe Dr. Markus Lamprecht sagte dazu:<br />
„Der Läufer von 1980 war ein Leichtathlet, er war vor allem an<br />
der Verbesserung seiner Leistung interessiert. Diesen Läufer gibt<br />
es auch heute noch, aber er macht nur noch einen kleinen Teil<br />
der Joggingbewegung aus. Heute sind andere Beweggründe im<br />
Vordergrund: Gesundheit, Ausgleich, Natur, Begegnungen mit<br />
Gleichgesinnten.“<br />
Lamprecht weist darauf hin, dass das Erlebnis wichtiger geworden<br />
ist als das Ergebnis. „Man will einmal dabei sein, einmal<br />
einen Marathon schaffen, am besten gleich New York, London<br />
oder Berlin. Bezeichnenderweise gibt es bei diesen Marathons<br />
auch sehr viele Erstteilnehmer. Dies erklärt auch, warum viele<br />
Laufveranstaltungen, die ein gutes Erlebnis und vielleicht auch<br />
etwas Prestige bieten, boomen.“ Damals trainierte einer vielleicht<br />
vier- oder fünfmal in der Woche, wenn er sich auf einen Marathon<br />
vorbereiten wollte, heute weiß man, dass es auch mit weniger<br />
geht – wenn man keine Rekorde brechen will.<br />
Nicht nur eine Sportart<br />
Die magische Drei-Stunden-Marke beim Marathon – in den Anfängen des<br />
Marathonbooms noch erstrebenswertes „Markenzeichen“, ist heute für die<br />
meisten im Feld kaum noch ein Thema. Foto: LZ&CO/Weising<br />
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11/2016 | LAUFZEIT&<strong>CONDITION</strong>