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LAUFZEIT&CONDITION

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Kritiker könnten den Leistungsrückgang bei Laufveranstaltungen<br />

als Beweis sehen, dass heute viele Hobbyläufer schlecht vorbereitet<br />

in einen Wettkampf steigen und so die eigene Gesundheit gefährden.<br />

Eine langsamere Zeit bei einem Marathon lässt sich aber<br />

nicht einfach mit schlechter Vorbereitung gleichsetzen. Auch die<br />

meisten der vielen langsameren Läufer, für die Spaß und Erlebnis<br />

im Vordergrund stehen, bereiten sich in der Regel sehr seriös auf<br />

ihr Abenteuer vor.<br />

Der große Schweizer Laufpionier Markus Ryffel, Olympia-Silbermedaillengewinner<br />

1984 über 5.000 m, hat diese Entwicklung wie<br />

kein anderer miterlebt. Bereits 1979, als 24-jähriger Weltklasseläufer,<br />

organisierte er mit seinen Laufkollegen Thomas Wessinghage<br />

und Dietmar Millonig in St. Moritz das erste Laufseminar.<br />

Im Oktober war es das 38. Mal! Und Wessinghage war auch diesmal<br />

dabei. Ryffel erinnert sich noch gut an die ersten Laufwochen:<br />

„Bei der Premiere waren 17 Männer und eine Frau dabei.<br />

Die Männer waren alle gekommen, um schneller zu werden. Sie<br />

wollten mit uns trainieren und uns etwas abschauen. Im Laufe der<br />

Zeit nahm die Zahl der Frauen zu, was angenehm für uns war,<br />

und die Männer nahmen es immer gemütlicher – was uns auch<br />

entgegenkam, denn auch wir werden mit zunehmendem Alter<br />

nicht schneller!“<br />

dem Spitzenbereich zuzuordnen sind. Vorn ein paar Afrikaner,<br />

dann nichts, dann Europa. Das hat für den Nachwuchs<br />

einer Sportart fatale Folgen. Keine Identifikationsfiguren, kein<br />

Nacheifern, keine Chance. Also rutscht die Leichtathletik immer<br />

mehr in die Kategorie einer Freizeitsportart. Und die Ziele<br />

werden entsprechend modifiziert. Das ‘zweite Glied’, die vielen<br />

guten Athleten von früher, die es nicht ganz in die Spitze<br />

schafften, ist weg.“<br />

Wessinghage, der mit 38 Jahren den Marathon 1990 in 2:24 h<br />

lief (Rang 57 in Berlin) und damit im fortgeschrittenen Läuferalter<br />

selbst einer dieser „zweiten Garnitur“ war – und entsprechend<br />

dafür trainiert hatte –, stellt nüchtern fest: „Diese<br />

Breite ist verloren gegangen. Dafür haben wir eine andere Breite.<br />

30.000 Teilnehmer beim B2Run-Lauf in München über eine<br />

Distanz von 6,2 km. Die Zeit interessiert keinen – na gut, vielleicht<br />

die ersten vier oder fünf Läufer. Das Laufen von früher<br />

ist heute Joggen, ein zeitgemäßer Ausgleich zu beruflichen und<br />

sonstigen Belastungen, ein Instrument zum Stressausgleich, somit<br />

weit entfernt vom Leistungssport vergangener Tage. Und<br />

darum ist man als 50. bei einem großen Marathon heute viel<br />

langsamer als früher.“ <br />

•<br />

Leichtathletik wirkt breitensportlich<br />

Ryffel hat diesen neuen Approach auch bei den Events festgestellt,<br />

die er in der Schweiz organisiert oder im Ausland begleitet.<br />

„Der Laufsport wird immer mehr zum Erlebnissport. Für viele<br />

Läuferinnen und Läufer ist es ein ganz besonderes, motivierendes<br />

Ereignis, eine Startnummer zu tragen und die einzigartige Stimmung<br />

mitzuerleben; die Zeit ist oft zweitrangig.“ Was Ryffel im<br />

Vergleich zu früher ebenfalls auffällt: Das Interesse an Themen<br />

wie Trainingslehre, Ernährung und Lauftechnik ist größer geworden.<br />

Auch in dieser Beziehung hat sich seit den 1980er-Jahren<br />

zum Glück einiges getan: Es gibt ein sehr breites Informationsangebot<br />

für jede Geldbörse, von Trainingsplänen im Internet über<br />

Fachzeitschriften und Messgeräte am Handgelenk bis hin zum<br />

Personal Coach.<br />

Thomas Wessinghage, Europameister 1982 über 5.000 m und<br />

seit 36 Jahren deutscher Rekordmann über 1.500 m (3:31,58<br />

min), inzwischen u.a. ärztlicher Direktor des Medical-Parks<br />

in Bad Wiesseee, geht in seiner Analyse noch einen Schritt<br />

weiter: „Die Leichtathletik hat sich im Bewusstsein einer<br />

breiten Öffentlichkeit vom Spitzensport hin zu einer primär<br />

breitensportlich geprägten Sportart entwickelt. Heute findet<br />

die Leichtathletik vordergründig in Form großer und teilnehmerstarker<br />

Straßenläufe statt. Im Fernsehen (Deutschland) ist<br />

Leichtathletik vor allem anhand von Berichterstattungen über<br />

Marathonläufe wahrnehmbar. Ausnahmen sind Olympische<br />

Spiele.“<br />

Leistungsentwicklung bei<br />

ausgewählten Läufen 1986 bis 2016<br />

New-York-City-Marathon (42,195 km)<br />

Jahr Unter 3 h Unter 4 h Platzierte<br />

1986<br />

1996<br />

2006<br />

2016<br />

973 (4,58 %)<br />

700 (2,48 %)<br />

889 (2,34 %)<br />

787 (1,58 %)<br />

Berlin-Marathon (42,195 km)<br />

1986<br />

1996<br />

2006<br />

2016<br />

1.840 (16,07 %)<br />

1.864 (11,69 %)<br />

818 (2,71 %)<br />

1.606 (4,45 %)<br />

9.878 (46,50 %)<br />

9.797 (34,76 %)<br />

12.167 (32,07 %)<br />

12.441 (26,57 %)<br />

8.954 (78,20 %)<br />

11.775 (73,89 %)<br />

11.642 (38,56 %)<br />

15.981 (44,28 %)<br />

Bemerkung: 2006 war es sehr heiß (26° C um 12 Uhr)<br />

100-km-Lauf von Biel<br />

21.244<br />

28.180<br />

37.936<br />

49.828<br />

11.450<br />

15.935<br />

30.190<br />

36.089<br />

Jahr Unter 10 h Unter 15 h Platzierte<br />

Es fehlt die zweite Reihe<br />

Daraus folgert Wessinghage: „Die großen Laufveranstaltungen<br />

stehen unter der Dominanz afrikanischer Läufer. Das hat für<br />

die deutschen oder schweizerischen Teilnehmer oder Zuschauer<br />

den Effekt, dass die einheimischen Athleten nicht mehr<br />

1986<br />

1996<br />

2006<br />

2016<br />

420 (17,21 %)<br />

304 (16,03 %)<br />

177 (13,77 %)<br />

98 (11,80 %)<br />

1.553 (63,64 %)<br />

1.393 (73,47 %)<br />

1.025 (79,76 %)<br />

613 (73,85 %)<br />

2.440<br />

1.896<br />

1.285<br />

830<br />

11/2016 | LAUFZEIT&<strong>CONDITION</strong> 21

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