LAUFZEIT&CONDITION
eMag_lzco_11_2016
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thon auf den letzten Kilometern gewonnen<br />
wird. Sie hörte auf ihn und ordnete<br />
sich hinter ihm ein. „Er weiß genau, was<br />
ich kann, und er selbst ist schon unzählige<br />
Marathons gelaufen, also vertraute<br />
ich ihm. Wir unterhielten uns und sofort<br />
fühlte sich alles wie eine Trainingseinheit<br />
mit ihm zusammen an, die aber in dieser<br />
einzigartigen Atmosphäre stattfand. So<br />
viele fröhliche Menschen. Alle sangen,<br />
riefen, klatschten, lachten. Ich fühlte<br />
mich wie beim Rosenmontagszug mit<br />
Opa auf dem Gardewagen, nur dass die<br />
Leute irgendwann alle meinen Namen<br />
riefen. Eine Straße war mir bekannter als<br />
die nächste und jede weckte unzählige<br />
Erinnerungen. Ich begann zu träumen<br />
und merkte nicht einmal mehr, dass ich<br />
lief.“ Christian passte auf, dass sie an ihm<br />
dranblieb und sagte alle 5 km Bescheid,<br />
wenn Marcel wieder am Versorgungstisch<br />
stand, um ihr ihre Flaschen zu reichen.<br />
Unterwegs mit Pacemaker Christian (90) zur Endzeit von 2:47:51 h – Maike läuft gleich beim Debüt das<br />
Rennen ihres (bisherigen) Lebens. <br />
Foto: privat<br />
Bei km 30 wurde es anstrengender. Ihr<br />
Temposchnitt lag noch wie geplant bei<br />
3:50 min/km. Zuerst dachte Maike daran,<br />
zu kämpfen, um das Tempo zu halten, erinnerte<br />
sich dann aber an die Worte von<br />
Thomas Eickmann, ihrem Trainer, dass<br />
sie beim ersten Marathon nur Spaß haben<br />
und, bevor die Qual beginne, das Tempo<br />
rausnehmen sollte. Sodann schaute sie<br />
nicht mehr auf die Uhr und lief lockerer.<br />
Auf Christian, der sie dazu bewegen wollte,<br />
das Tempo zu halten, reagierte sie nicht<br />
mehr. Sie schüttelte den Kopf und sagte,<br />
es mache so Spaß, sie wolle sich nicht<br />
quälen. Er lachte und sie liefen fortan das<br />
Tempo, das Maike vorgab, bis Christian<br />
plötzlich die zweite Frau 400 m vor ihnen<br />
sah und Maike drängte, nochmals anziehen,<br />
weil er wisse, dass sie es schaffe. Es<br />
waren „nur“ noch 6 km bis zum Ziel. Sie<br />
versuchte, auch die Beine wieder schneller<br />
zu bewegen, die wollten aber nicht. Sie<br />
waren müde und schwer. Ihre Beine klebten<br />
gefühlt am Boden. Es floss ihr sogar<br />
eine kleine Träne übers Gesicht. Christian<br />
ließ sie in Ruhe. Aber bei km 37 fühlte<br />
sie sich dann doch wieder besser und sie<br />
zogen an der zweiten Frau vorbei. „Ich<br />
schaute ihr in die Augen und nickte. Nickte,<br />
dass sie auch nochmals kämpfen solle.<br />
Keine Regung im Gesicht. Kein Schmerz<br />
in den Gesichtszügen, kein Leid, eher Verwunderung.“<br />
Die Frau war noch ein paar<br />
hundert Meter zu hören, bis Christian und<br />
Maike nochmals anzogen.<br />
„Ich war so voller Glücksgefühle“<br />
Die Zuschauer riefen ihr voller Begeisterung<br />
zu, dass sie Zweite sei. Die Platzierung<br />
war Maike aber nicht wichtig.<br />
Die Zeit auch nicht mehr. Sie wollte das<br />
Rennen gut zu Ende zu bringen, den<br />
Marathon freudig durchlaufen und gemeinsam<br />
mit Christian ankommen. Sie<br />
freute sich, einfach so. „Plötzlich war<br />
ich so voller Glücksgefühle und weiß<br />
gar nicht warum. Vielleicht durch das<br />
lange Laufen.“ Sie schaute nochmals<br />
auf die Uhr und sah, dass sie es noch<br />
unter 2:48 h ins Ziel schaffen könnten.<br />
Sie erinnerte sich an die vielen Trainingskilometer<br />
mit Christian, bei denen<br />
sie sich am Ende immer gesteigert und<br />
gekämpft hatten. Warum jetzt nicht genauso?<br />
Und so zog ich an ihm vorbei.<br />
Er lachte und brauchte ein paar Meter,<br />
um wieder neben mir zu laufen. Im<br />
Ziel dankte sie als Erstes Christian, bevor<br />
ihre Beine wegsackten. Ihre Freundin<br />
Marlen kam und half ihr hoch. Da<br />
überströmten sie Glücksgefühle. „Ich<br />
war vollkommen am Ende meiner Kräfte,<br />
aber so glücklich wie vielleicht noch<br />
nie zuvor.“ Nach dem Lauf waren noch<br />
mehr Freunde und ihre Mutter da, was<br />
sie vollends überwältigt hat. Marcel und<br />
Christian haben Maike noch bis hinter<br />
die Dopingkontrolle begleitet. „Das war<br />
die einzig widerliche Erfahrung des ganzen<br />
Tages.“<br />
Das war Maikes erste Marathonerfahrung,<br />
aber wer ist Maike sonst, fragt sich<br />
vielleicht jemand. Sie studiert Informatik<br />
und Physik. In Physik schreibt sie bereits<br />
an ihrer Masterarbeit, in Informatik hat<br />
sie den Bachelor fast beendet. Seit vier<br />
Jahren arbeitet sie als Systemadministratorin<br />
und in der Softwareentwicklung<br />
und hält zweimal im Jahr einen Programmierkurs<br />
als freie Dozentin an der Universität<br />
zu Köln. Dass sie zeitweise mehr<br />
arbeitet als studiert, liegt an den hohen<br />
Lebenshaltungskosten in Köln. Sie ist die<br />
Älteste von fünf Kindern.<br />
Von der Joggerin zum Lauftalent<br />
Die Geschwister begleiteten sie oft beim<br />
Laufen. Das wechselnde geschwisterliche<br />
Geplauder macht die langen Läufe angenehm.<br />
Maikes Vater ist seit 28 Jahren<br />
selbstständiger Fahrradkurier in Köln. Acht<br />
Jahre hat sie ihn als Fahrradkurier in Köln<br />
unterstützt, hilft jetzt aber nur noch bei<br />
väterlichen Arztterminen aus. Aus dieser<br />
Zeit komme ihre enge Verbindung zu Köln.<br />
„Ich kenne jede Straße, jede Gasse, jeden<br />
Hinterhof und war schon in fast jedem Gebäude.<br />
So bin ich auch stolz für Bunert, den<br />
Kölner Laufladen, zu laufen.“ Neben der<br />
Unterstützung, die auch durch die Mutter<br />
immer da war, hat Maike heute auch ihren<br />
Lebensgefährten Marcel, der auch regelmäßig<br />
mit ihr trainiert. Dazu kommen noch<br />
viele sehr gute Freunde wie Christian.<br />
11/2016 | LAUFZEIT&<strong>CONDITION</strong> 43