UNIon - Europa-Universität Viadrina Frankfurt
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[<strong>UNIon</strong>]<br />
Vom Zankapfel zum Versöhnungsmedium<br />
Tagung zum deutsch-polnischen Kulturerbe und der Zivilgesellschaft im heutigen Polen<br />
„Meins? Deins? Unser.“ Dieses Motto diente als<br />
programmatischer Grundsatz für die Konferenz<br />
über die Haltungen zum deutschen Kulturerbe<br />
in Polen. Knapp 30 Referenten und rund 100<br />
Tagungsgäste aus verschiedenen Bundesländern<br />
und Wojewodschaften saßen nebeneinander<br />
in der luftigen Aula des Collegium Polonicum<br />
vom 10. bis zum 12. März 2011. Die Veranstaltung<br />
wurde durch die Finanzierung der Stiftung<br />
für deutsch-polnische Zusammenarbeit<br />
und der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung<br />
ermöglicht, durch die Stiftung für das Collegium<br />
Polonicum unterstützt und von der Professur<br />
für Denkmalkunde durchgeführt. Die<br />
Schirmherrschaft übernahm das „National Heritage<br />
Board of Poland”.<br />
Die Gebiete des heutigen Westpolen wurden<br />
von der deutschen Bevölkerung größtenteils<br />
noch in der Endphase des Krieges fluchtartig<br />
verlassen. Nach der Verschiebung beider polnischer<br />
Ostgrenzen, die infolge der Potsdamer<br />
Konferenz 1945 erzwungen worden war, wurde<br />
die noch verbliebene deutsche Zivilbevölkerung<br />
weitgehend vertrieben. Die in das ehemalige<br />
Ostpreußen nachrückenden ostpolnischen Vertriebenen<br />
siedelten sich in den teilweise menschenleeren<br />
Orten an. Das Fehlen der geschichtlichen<br />
und sprachlichen Bezüge, eine<br />
ablehnende Haltung zum „Deutschtum“ sowie<br />
permanente politisch-territoriale Unsicherheit<br />
trugen damals nicht gerade zu einem pietätvollen<br />
Umgang mit den historisch gewachsenen<br />
Lebensräumen bei.<br />
Die Bodenreform und Enteignungen trafen allerdings<br />
gleichermaßen hart den deutschen<br />
wie auch den polnischen Landadel. Die neue,<br />
sozialistische Verwaltung hatte gar keine Vision<br />
und zunächst nicht einmal den Willen dazu,<br />
mit Zehntausenden von verlassenen ländlichen<br />
Residenzen pfleglich und wirtschaftlich umzugehen.<br />
Diese schwierige Beziehung verbesserte<br />
sich langsam – leider zu langsam – in den folgenden<br />
Jahrzehnten.<br />
Heute, zwanzig Jahre nach der politischen<br />
Wende, erleben wir immer wieder Streitigkeiten<br />
hinsichtlich individueller Restitutionsansprüche,<br />
die vom populistischen Lager in Polen<br />
für eigene Propagandazwecke genutzt werden.<br />
Dennoch ist das Verhältnis zur deutschen Geschichte<br />
der westpolnischen Gebiete weitgehend<br />
entspannt. Spätestens seit der lange verzögerten<br />
Anerkennung der Grenzen gehört der<br />
Tourismus aus Deutschland zum willkommenen<br />
Entwicklungspotenzial vieler Orte. Einige<br />
Deutsche haben es inzwischen geschafft, im<br />
Dialog mit der polnischen Bevölkerung vor Ort<br />
neue touristische oder kulturelle Einrichtungen<br />
in den einstigen Landresidenzen zu etablieren.<br />
Mehr noch, die vor 1945 geformten Großstadtzentren<br />
wie Breslau oder Stettin werden von<br />
vielen, auch jungen Polen neu entdeckt und interpretiert<br />
als Merkmal der eigenen Regionalidentität.<br />
Etwas schwieriger wird das in kleineren bzw.<br />
zerstörten und nicht gänzlich wieder aufgebau-<br />
ten Städten, die eigentlich für den polnischen<br />
Westen prägend sind.<br />
Die „Welt von gestern“ wurde hier durch sozialistische<br />
Stadtplanung gesprengt und fragmentiert.<br />
Diese Überlagerungen in Einklang zu<br />
bringen, aufzuwerten und in einen positiv besetzten<br />
transregionalen Lebensraum umzuwandeln<br />
ist eine wichtige Aufgabe für die<br />
nächsten Jahrzehnte.<br />
Die ersten Schritte sind schon getan. Die historischen<br />
Bauten werden zunehmend zum Anlass<br />
genommen, sich mit der älteren deutschen Geschichte<br />
und Kultur zu beschäftigen, obwohl<br />
viele von den Interessierten die deutsche Sprache<br />
gar nicht beherrschen. Dennoch wird hier<br />
die Kraft generiert, um bei der Gebäudesicherung<br />
mehrere komplexe finanzielle, rechtliche,<br />
technische wie auch politische Herausforderungen<br />
zu überwinden. Da hierbei die Bildung<br />
von binationalen Organisations- und Kooperationsstrukturen<br />
sinnvoll ist, könnten die westpolnischen<br />
Provinzgemeinden zu einem äußerst<br />
interessanten Laboratorium der europäischen<br />
Zivilgesellschaft werden.<br />
Genau diese Ansätze standen im Mittelpunkt<br />
der Konferenz. Während der erste Tag weitgehend<br />
einem interdisziplinären Überblick auf einer<br />
Meta-Ebene gewidmet war, standen am<br />
zweiten Tag „best practics“ und am dritten Tag<br />
das Thema der Projektfinanzierung im Fokus<br />
der Betrachtung.<br />
Die Begrüßung durch den Uni-Präsidenten Dr.<br />
Gunter Pleuger und den Direktor des Collegium<br />
Polonicum, Dr. Krzysztof Wojciechowski, stimmte<br />
das Publikum auf die Thmen ein. Der Rückblick<br />
und die gegenwärtigen Herausforderungen,<br />
aber auch Chancen für das deutsch-polnische<br />
Kulturerbe sowie eine empirisch-statistische<br />
Zusammenfassung zu den NGOs im kulturellen<br />
Sektor Polens waren der Hauptinhalt des<br />
Einführungsvortrags von Prof. Dr. Paul Zalewski.<br />
Das National Heritage Board of Poland, eine koordinierende<br />
Hauptagentur des Warschauer<br />
Kultusministeriums, repräsentierte die Generaldirektorin<br />
Paulina Florjanowicz. Sie berichtete<br />
ausführlich über eine Vielzahl von denkmalpädagogischen<br />
Projekten, die von ihrer Einrichtung<br />
u. a. im westlichen Polen betreut werden.<br />
Die folgenden Vorträge reflektierten meist mit<br />
rein kulturwissenschaftlichen Methoden das<br />
Verhältnis der polnischen Ortsbevölkerung zum<br />
lokalen Kulturerbe. In diesem Sinne wurde beispielsweise<br />
über die Wahrnehmung des öffentlichen<br />
Raums in der Stettiner Grenzregion berichtet.<br />
Diese Mikrostudie wurde im vergangenen<br />
Jahr von Dr. Kaczmarek und Dr. Ładykowski,<br />
Kulturanthropologen der <strong>Universität</strong> Stettin, im<br />
Rahmen von „Internationalisierungsstipendien“<br />
des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung<br />
und Kultur des Landes Brandenburg an<br />
der <strong>Viadrina</strong>-Professur für Denkmalkunde<br />
durchgeführt.<br />
Eine äußerst lebhafte und eineinhalbstündige<br />
Tagungen<br />
Abschlussdiskussion ergab sich nach dem abschließenden<br />
Vortrag von Prof. Robert Traba,<br />
Leiter des Berliner Zentrums für historische<br />
Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften.<br />
Am zweiten Tag wurden die konkreten NGOs<br />
und deren Zusammenarbeit mit den Institutionen<br />
des staatlichen Denkmalschutzes vorgestellt.<br />
Als Repräsentanz der Letzteren konnten<br />
glücklicherweise die Leiterinnen der Konservatorenämter<br />
von Stettin und Gorzów Wielkopolski<br />
als Referentinnen gewonnen werden.<br />
Die Vereinigung „Borussia“, die sich seit 20 Jahren<br />
auf hohem methodischen Niveau für die Erforschung,<br />
Erhaltung und Popularisierung des<br />
regionalen Kulturerbes einsetzt, wurde von<br />
Iwona Liżewska aus Allenstein vorgestellt.<br />
Langfristige und komplexe Projekte präsentierten<br />
die deutsch-polnischen Bürgerinitiativen<br />
aus dem Grenzgebiet, die sich in Gubin/Guben,<br />
Chojna/Königsberg und Słońsk/Sonnenburg für<br />
die Erhaltung von großen, stadtprägenden Sakralbauten<br />
einsetzen.<br />
Projektleiter aus dem Hirschberger Tal und aus<br />
dem gesamten Grenzgebiet präsentierten Arbeitsweisen<br />
der angewandten Geschichte, die<br />
aktive Miteinbeziehung von Freiwilligen in die<br />
denkmalpflegerischen und gartendenkmalpflegerischen<br />
Aufgaben (Jugendbauhütten, Gartenkunstseminare)<br />
bis hin zu konkreten Maßnahmen<br />
des kulturtouristischen Marketings.<br />
Die aktuellen Bemühungen um die Denkmalerhaltung<br />
in Słubice wurden den Gästen vom Institut<br />
für Angewandte Geschichte der <strong>Viadrina</strong><br />
vorgestellt.<br />
Abends wurde das Empfangsprogramm ergänzt<br />
durch die öffentliche Filmvorführung<br />
„Häuser des Herrn. Kirchengeschichten aus<br />
Niederschlesien“. Am dritten Tag präsentierten<br />
fünf deutsch-polnische Kulturstiftungen ihre<br />
Förderschwerpunkte und gelungene Projekte.<br />
Das Internationale Kulturzentrum aus Krakau<br />
stellte eine neue polnisch-englischsprachige<br />
Zeitschrift „Herito“ vor, die sich mit der Kulturgeschichte<br />
Mitteleuropas befasst.<br />
Das sehr gemischte deutsch-polnische Publikum<br />
führte eine äußerst ehrliche und direkte,<br />
immer erstaunlich konstruktive Diskussion, obwohl<br />
hierbei auch die Emotionen nicht fehlten.<br />
„Uns war das überhaupt nicht bewusst …!“<br />
wurde zur häufigsten Begleitaussage der Konferenzteilnehmer.<br />
Fazit: Nicht der vielfach politisch bekundete<br />
„gute Wille“ allein, sondern eine Verbesserung<br />
der – extrem schwachen – Landes-, Gesellschafts-<br />
und „System-”Kenntnis (auf beiden<br />
Seiten) wäre dringend erforderlich. Dies wäre<br />
der erste Ausgangspunkt, um das deutsch-polnische<br />
Kulturerbe für <strong>Europa</strong> zu retten – bevor<br />
es von der aktuellen Modernisierungswelle dezimiert<br />
wird. PROF. DR. PAUL ZALEWSKI