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UNIon - Europa-Universität Viadrina Frankfurt

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[<strong>UNIon</strong>]<br />

Uni-Campus<br />

Anzüge vom Thailänder Jim: „Welcher Schneider kommt schon an<br />

die Uni?” – ein Bericht von Louisa Thomas aus „Spiegel.online”<br />

Der Thailänder Jim reist wie ein Hofschneider<br />

an deutsche Unis, um Aufträge für Maßanzüge<br />

einzusammeln. Ein gut sitzender Anzug steigert<br />

schließlich das Selbstbewusstsein. Ein Professor<br />

holte ihn nach Franfurt (Oder) – und die<br />

Studenten starten nun mit Maßanzügen ins erste<br />

Praktikum.<br />

„Wie viele Knöpfe soll das Sakko haben? Hinten<br />

einen Schlitz oder zwei?”, Philipp Biermann<br />

guckt ratlos an sich herunter, während der<br />

Schneider mit Turban kleine Zeichnungen mit<br />

vielen Zahlen in sein Notizbuch kritzelt. Er<br />

guckt wieder hoch: „Soll die Hose eine oder<br />

zwei Taschen haben?”. Biermann kräuselt die<br />

Stirn. Schließlich entscheidet er: „Zwei Knöpfe,<br />

ein Schlitz, zwei Taschen, in einer italienischen<br />

Cashmere-Woll-Mischung in Steingrau.”<br />

Der Schneider ist Jim, einfach nur Jim, 61, aus<br />

Bangkok, der Kunde BWL-Student Philipp Biermann,<br />

20, von der <strong>Europa</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Viadrina</strong><br />

<strong>Frankfurt</strong> (Oder). Der Treffpunkt: ein Seminarraum<br />

der Uni.<br />

Bereits seit 1990 lebt der gelernte Herrenmaßschneider<br />

Jim aus Bangkok zwischen zwei Kontinenten:<br />

<strong>Europa</strong>, dem zahlenden, und Asien,<br />

dem herstellenden. Seine Geschäftsidee ist einfach:<br />

Weil potenzielle Kunden von billigen<br />

Maßanzügen eher selten zu Jim nach Bangkok<br />

kommen, kommt Jim zu ihnen. Auch wenn er<br />

dafür auf einen anderen Kontinent reisen<br />

muss. „Meistens reise ich zwei Mal im Jahr für<br />

circa zehn Tage nach Deutschland”, sagt Jim, zu<br />

dessen Kunden viele Hochschulen wie die private<br />

Wirtschaftsuni WHU, aber auch Unternehmen<br />

wie „Goldman Sachs” gehören. „Finanziell<br />

lohnt es sich fast immer, manchmal mache ich<br />

es aber auch nur, um die Kontakte zu pflegen.”<br />

Zu Jims Angebot gehören maßgeschneiderte<br />

Anzüge, Hemden und Krawatten. Die Stoffe<br />

stammen aus Italien und England. Jedes Detail<br />

von der Farbe zur Knopfanzahl über eingestickte<br />

Initialen oder die Art des verwendeten Stoffs<br />

bestimmt der Kunde. Sind alle Maße genommen,<br />

fliegt der Schneider mit seinem Auftragsbuch<br />

nach Hause. Dann beginnt die Arbeit für<br />

seine 70 Mitarbeiter: schneiden, nähen, bügeln.<br />

Acht Wochen später ist der Anzug fertig.<br />

Das beliebteste Angebot mit einem Anzug,<br />

zweiter Hose, zwei Hemden sowie einem<br />

Schlips kostet gerade einmal 360 Euro. Ein vergleichbares<br />

Set in Deutschland läge mindes -<br />

tens bei dem doppelten Betrag.<br />

Jim erklärt: „Die Stoffe sind die gleichen, die die<br />

europäischen Herrenschneider auch benutzen.<br />

Nur wegen der niedrigen Löhne in Thailand<br />

sind unsere Anzüge viel billiger.” Einen Studenten<br />

wie Philipp Biermann freut das natürlich:<br />

265 Euro kostet ihn sein erster Maßanzug.<br />

Wenig Geld, aber Anzugpflicht – ein Dilemma,<br />

vor dem die meisten Wirtschaftsstudenten spätestens<br />

beim ersten Praktikum stehen. Georg<br />

Stadtmann, VWL-Professor an der <strong>Viadrina</strong>, hat<br />

den Hofschneider Jim genau deshalb nach<br />

<strong>Frankfurt</strong> Oder geholt: „Ein Anzug ist nicht nur<br />

Berufskleidung, sondern auch eine zweite Haut<br />

und ein Statussymbol. Da muss alles gut sitzen.<br />

Dann stimmt auch das Selbstbewusstsein, beispielsweise<br />

bei der Bewerbung.”<br />

„Deutschland kann Autos und<br />

Maschinen – Thailand kann Anzüge”<br />

Drei Anzüge hat der Master-Absolvent Marc<br />

Zurhold (26) schon. Alle von der Stange. Kurz<br />

vor dem Berufseinstieg noch einen richtig guten<br />

Anzug, diese Chance wollte er sich nicht<br />

entgehen lassen. Gleich zwei Anzüge bestellt er<br />

bei dem Schneider Jim. „Ich möchte kein normaler<br />

Krawattenträger sein”, sagt Zurhold. „So<br />

ein Anzug ist auch etwas Persönliches. Deshalb<br />

nehme ich einen hellen und einen dunkelbraunen.<br />

Das ist mal was anderes.” 500 Euro blättert<br />

er dafür auf den Tisch. Die gehen direkt<br />

nach Thailand.<br />

Darf man das? Die deutsche Wirtschaft so im<br />

Stich lassen? Professor Stadtmann sagt ja.<br />

„Deutschland kann Autos und Maschinen und<br />

Thailand kann Anzüge”, sagt er, in der globalisierten<br />

Welt zähle auch Spezialisierung. Er vertraue<br />

an dieser Stelle lieber auf internationale<br />

Kooperation, statt auf gut gemeinte, aber verfehlte<br />

Deutschland-Unterstützung.<br />

Der 21-jährige Max Völkl steht zwar gerade<br />

noch am Anfang seines Studiums, findet aber,<br />

für ordentliche Hemden ist es nie zu früh. Vorsichtshalber<br />

hat er die Preise noch einmal im<br />

Internet verglichen. „Unter 80 Euro kriegt man<br />

nirgendwo ein maßgeschneidertes Hemd. Hier<br />

kriege ich sechs für 200 Euro”, sagt er. Aber<br />

nicht nur der Preis überzeugt ihn. „So einen<br />

Service bekommt man nirgendwo. Welcher<br />

Schneider kommt schon an die Uni?”<br />

25 Aufträge hat Jim allein an dem einen Tag in<br />

<strong>Frankfurt</strong> angenommen. Kriegt er pro Auftrag<br />

circa 250 Euro, hat ihm der Ausflug ins östlichste<br />

Brandenburg 6.250 Euro eingebracht. Hochgerechnet<br />

auf zehn Tage in Deutschland sind<br />

das rund 62.000 Euro Umsatz pro Reise. Davon<br />

lässt es sich gut leben. So gut, dass Jim schon<br />

über das Aufhören nachdenkt. Deshalb führt er<br />

langsam seinen Sohn ins Gewerbe ein. An die<br />

<strong>Viadrina</strong> kommt er wieder.<br />

http://www.spiegel.de/unispiegel

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