Altavista: Ausgabe Sommer 2017
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S<br />
ie haben das Gefühl, diesen<br />
Text irgendwo schon einmal<br />
gelesen zu haben? Klassischer<br />
Fall des Déjà-vu! Bisher ist<br />
man davon ausgegangen, dass<br />
ein Déjà-vu entsteht, wenn sich das Gehirn<br />
«falsch» erinnert. Akira O’Connor<br />
von der University of St Andrews, Schottland,<br />
und sein Team haben jetzt nachgewiesen,<br />
dass diese Annahme nicht stimmt.<br />
Es war lange ein Rätsel, wie ein Déjà-vu<br />
funktioniert, denn es ist so flüchtig und<br />
unvorhersehbar, dass es sich nur schwer<br />
erforschen lässt. Daher haben sich O’Connor<br />
und seine Kollegen überlegt, wie sie<br />
ein Déjà-vu im Labor erzeugen können.<br />
Sie griffen auf eine Standardmethode zurück,<br />
mit der falsche Erinnerungen erzeugt<br />
werden. Dazu wird Versuchspersonen<br />
eine Reihe von Begriffen vorgelesen,<br />
die alle aus demselben Bereich stammen,<br />
etwa Bett, Kopfkissen, Nacht, Traum.<br />
Aber der Schlüsselbegriff, der diese Wörter<br />
verbindet, ist nicht dabei – in diesem<br />
Falle «Schlaf». Wenn die Versuchspersonen<br />
später die Begriffe wiedergeben sollen,<br />
die sie gehört haben, meinen die meisten,<br />
dass sie auch den Oberbegriff «Schlaf» gehört<br />
haben – eine falsche Erinnerung.<br />
Um das Gefühl eines Déjà-vu zu erzeugen,<br />
fragte O’Connors Team die Versuchspersonen<br />
zunächst, ob sie sich an<br />
Begriffe erinnerten, die mit einem «S»<br />
begonnen haben. Die Versuchspersonen<br />
verneinten die Frage. Als sie später gefragt<br />
wurden, ob sie das Wort «Schlaf»<br />
gehört hätten, war ihnen klar, dass sie es<br />
nicht gehört haben konnten – und doch<br />
fühlte sich der Begriff so bekannt an.<br />
«Die Teilnehmer berichteten von einem<br />
Déjà-vu-Erlebnis», so O’Connor.<br />
Im Alter, wenn unser<br />
Gedächtnis nachlässt,<br />
sind auch Déjà-vus<br />
seltener.<br />
Widerspruch im Gehirn<br />
Die Forscher bildeten die Hirnaktivität von<br />
21 Freiwilligen während dieses bewusst<br />
hervorgerufenen Déjà-vus mit der sog.<br />
funktionellen Magnetresonanztomographie<br />
(fMRT) ab. Dabei erwarteten sie, dass<br />
die Hirnareale, die mit der Erinnerung zusammenhängen,<br />
also etwa der Hippocampus,<br />
während dieses Phänomens aktiv sind.<br />
Aber das war nicht der Fall. Vielmehr, so<br />
stellte O’Connors Team fest, waren die vorderen<br />
Gehirnareale aktiv – dort, wo Entscheidungen<br />
gefällt werden. O’Connor<br />
stellte seine Ergebnisse kürzlich auf der<br />
International Conference on Memory in<br />
Budapest, Ungarn, vor. Er nimmt an, dass<br />
die vorderen Gehirnareale wahrscheinlich<br />
unser Gedächtnis durchsuchen und Signale<br />
senden, wenn ein Gedächtnisfehler auftaucht<br />
– ein Konflikt zwischen etwas, was<br />
wir tatsächlich erlebt haben, und etwas, von<br />
dem wir nur glauben, dass wir es erlebt haben.<br />
«Das lässt die Annahme zu, dass während<br />
eines Déjà-vus ein Konfliktlösungsprozess<br />
in unserem Gehirn abläuft», erklärt<br />
Stefan Köhler von der University of Western<br />
Ontario in Kanada.<br />
Ein gesunder Kopf<br />
Sollten diese Forschungsergebnisse bestätigt<br />
werden, ist ein Déjà-vu ein Zeichen<br />
dafür, dass die «Suchmaschine» des<br />
Gehirns gut funktioniert, wodurch die<br />
Wahrscheinlichkeit von Erinnerungstäuschungen<br />
sinkt.<br />
Das würde zu dem passen, was wir<br />
bereits über die Auswirkungen des Alterungsprozesses<br />
auf das Gedächtnis wissen:<br />
Déjà-vu-Ereignisse kommen häufiger bei<br />
jungen Menschen vor. Im Alter, wenn unser<br />
Gedächtnis nachlässt, sind auch Déjà-vus<br />
seltener. «Es könnte sein, dass die Leistungsfähigkeit<br />
des allgemeinen Suchsystems<br />
nachlässt und wir deshalb Erinnerungstäuschungen<br />
nicht mehr erkennen»,<br />
so O’Connor.<br />
Für Christopher Moulin von der<br />
Universität Pierre Mendès-France in<br />
Grenoble sind diese Erkenntnisse<br />
schlechte Nachrichten für Menschen, die<br />
nie Déjà-vu-Erlebnisse haben. «Ich<br />
möchte nicht unhöflich sein, aber das<br />
spricht nicht für ihre Gedächtnissysteme»,<br />
so der Wissenschaftler.<br />
«Vielleicht», so hält O’Connor dagegen,<br />
«haben Menschen, die keine Déjà-vu-Erlebnisse<br />
kennen, grundsätzlich ein<br />
besseres Gedächtnissystem. Wenn sie keine<br />
Fehler machen, gibt es auch keinen Auslöser<br />
für ein Déjà-vu-Erlebnis.»<br />
«Wir wissen immer noch nicht, ob ein<br />
Déjà-vu nützlich ist», sagt Köhler. «Es ist<br />
durchaus möglich, dass ein Déjà-vu-Erlebnis<br />
die Menschen vorsichtig werden lässt,<br />
weil sie ihrem Gedächtnis nicht mehr vertrauen»,<br />
gibt er zu bedenken. «Aber dafür<br />
haben wir noch keine Belege.»<br />
Forschung Déjà-vu <strong>Sommer</strong> <strong>2017</strong> ALTA VISTA 25