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30.2. AUSGEWÄHLTE WERKE 105<br />
weiten Umhang und einem träumerischen, leicht melancholischen<br />
Gesichtsausdruck gestaltete, die er auf einen<br />
oktogonalen Sockel stellte. Nur ein Kronreif kennzeichnet<br />
die Figur im höfischen Kostüm eines Edelknaben als<br />
Regenten, auf die Beigabe von Waffen verzichtete Kraus.<br />
Als Modell hatte dem <strong>Bildhauer</strong> <strong>der</strong> französische Cellist<br />
Paul Bazelaire gedient, <strong>der</strong> gerade in Berlin zu Gast war<br />
– zur Erinnerung schickte „<strong>der</strong> Chef des Geheimen Zivilkabinetts<br />
dem Musiker zwei Fotos des Denkmals.“ [8]<br />
Als Nebenfiguren wählte die historische Leitung <strong>der</strong><br />
Siegesallee Heinrichs Vormund Wartislaw IV. und den<br />
Prignitzer Ritter Wedigo von Plotho, genannt Der Bauernschlächter.<br />
Wedigo soll Waldemar „dem Großen“ in<br />
<strong>der</strong> Schlacht bei Woltersdorf 1317 das Leben gerettet<br />
haben. Die Büste Wedigos schrieb eine ganz beson<strong>der</strong>e<br />
Geschichte, denn Kraus’ Freund, <strong>der</strong> „Milljöh“-<br />
Zeichner Zille, <strong>der</strong> zu dieser Zeit noch nicht als sozialkritischer<br />
Maler bekannt war, hatte Modell gestanden. Die<br />
Kreuzzeitung amüsierte sich über den <strong>Bildhauer</strong>scherz in<br />
ihrem Bericht zur Einweihung des Denkmals (22. März<br />
1900): „So ist z. B. das bärbeißige Raubrittergesicht des<br />
bie<strong>der</strong>en Grafen Plotho mit <strong>der</strong> so charakteristischen urgermanischen<br />
Kartoffelnase, das die Heiterkeit des königlichen<br />
Auftraggebers in so hohem Maße erregte, nicht<br />
etwa ein Phantasiegebilde des Künstlers, son<strong>der</strong>n das<br />
wohlgelungene Porträt eines ehrbaren Charlottenburger<br />
Spießbürgers und technischen Leiters einer bekannten<br />
Großen Kunstanstalt […].“ [9]<br />
Die Wedigo/Zille-Büste wurde mehrfach repliziert, unter<br />
an<strong>der</strong>em für die Charlottenburger Gaststätte Zille-Eck.<br />
Der Verbleib <strong>der</strong> Figur ist unklar. Aus dem Nachlass<br />
von August Kraus bewahrt das Berliner Georg-Kolbe-<br />
Museum unter <strong>der</strong> Leihgabennummer 32 ein Gipsmodell<br />
<strong>der</strong> Büste auf, das „ein Relikt des Originalgipses sein<br />
könnte.“ [10]<br />
Die Originale selbst befanden sich mit starken Beschädigungen<br />
von 1978 bis 2009 im Lapidarium in Berlin-<br />
Kreuzberg und stehen seit Mai 2009 in <strong>der</strong> Zitadelle<br />
Spandau. An <strong>der</strong> Wedigo/Zille-Büste fehlt <strong>der</strong> Kopf,<br />
<strong>der</strong> bereits 1945 verschwunden ist. Auch am Heinrich-<br />
Standbild fehlt <strong>der</strong> Kopf und zudem <strong>der</strong> rechte Arm und<br />
das linke Bein. Die Wartislaw-Büste ist mit Konturschäden<br />
komplett. Insgesamt gehörte die Arbeit von August<br />
Kraus laut Ute Lehnert zu den wenigen ausgewogenen<br />
Denkmalkompositionen in dem kaiserlichen Monumentalboulevard.<br />
Gruppe 32<br />
Auf die Gestaltung <strong>der</strong> abschließenden Denkmalgruppe<br />
32 mit seinem kaiserlichen Großvater legte <strong>der</strong> Auftraggeber,<br />
Kaiser Wilhelm, beson<strong>der</strong>en Wert und übertrug<br />
die Arbeit deshalb Reinhold Begas. Begas hatte allerdings<br />
für sein pompöses Nationaldenkmal von 1897 heftige<br />
Kritik, in gewissem Sinne auch von Wilhelm II., einstecken<br />
müssen. Möglicherweise hat er sich deshalb bei<br />
dieser Arbeit „einer äußerst schlichten Formensprache“<br />
bedient. Doch auch sein Erstmodell für die Siegesallee<br />
von 1899 fiel beim Kaiser durch. „In Verbindung mit dem<br />
Pickelhelm machte das Modell […] einen zu soldatischen<br />
Eindruck, das heißt, es brachte die Herrscherwürde nicht<br />
angemessen zum Ausdruck.“ (Lehnert). [11]<br />
Daraufhin hat sehr wahrscheinlich August Kraus in Begas<br />
Werkstatt das Standbild für den ersten deutschen Kaiser<br />
Wilhelm I. entworfen und modelliert, während die Nebenfiguren<br />
(Humboldt und Rauch) wohl tatsächlich von<br />
Kraus Meister Begas stammen. Ein Zeitgenosse berichtete:<br />
„Auf <strong>der</strong> rechten Seite erhebt sich die Statue<br />
Kaiser Wilhelms I., eine schlichte, dem Leben<br />
abgelauschte Figur […]. Der Künstler, <strong>der</strong><br />
an diesem Werke modelliert, ist einer <strong>der</strong> begabtesten<br />
Schüler und Mitarbeiter des Meisters,<br />
<strong>Bildhauer</strong> August Kraus.“ [12]<br />
Kraus selbst teilte später mit:<br />
„In <strong>der</strong> Siegesallee habe ich für Begas die<br />
Statue Kaiser Wilhelms I. geschaffen, nachdem<br />
Begas mit seinem ersten Entwurf Schiffbruch<br />
erlitten hatte.“ [13]<br />
Zwar behielt Kraus den Pickelhelm und die militärische<br />
Auffassung <strong>der</strong> Figur aus Begas Entwurf bei, doch gelang<br />
ihm die Darstellung so zurückhaltend, dass er Wilhelm I.<br />
in Verbindung mit einer ungezwungenen Schrittstellung<br />
und einem abgeklärten, aber festen Gesichtsausdruck „eine<br />
Noblesse“ verleihen konnte, „in <strong>der</strong> die Herrscherwürde<br />
zum Ausdruck kommt.“ [14] Die Nebenfiguren <strong>der</strong> am<br />
30. März 1901 enthüllten Gruppe sind verschollen, während<br />
die Kaiserstatue mit starken Beschädigungen im Gesicht<br />
seit Mai 2009 in <strong>der</strong> Zitadelle Spandau ruht.<br />
30.2.2 Iltis-Denkmal und Männeken Pis<br />
Einen <strong>der</strong> ersten größeren Aufträge erhielt Kraus von<br />
<strong>der</strong> Kaiserlichen Marine mit <strong>der</strong> Gestaltung des Iltis-<br />
Denkmals für Shanghai. Das deutsche Kanonenboot Iltis<br />
war in einem Taifun in <strong>der</strong> Nähe des Kap Shandong<br />
(Kap Shantung) gesunken. Von 85 Besatzungsmitglie<strong>der</strong>n<br />
überlebten nur 14 das Drama. Kraus modellierte<br />
nach einer Skizze des Kapitäns Müller einen zersplitterten,<br />
6 Meter hohen Mast aus Bronze mit deutscher Fahne<br />
und Lorbeerkranz an dessen Fuß. Das Denkmal wurde<br />
am 21. November 1898 in Gegenwart des Prinzen Heinrich,<br />
<strong>der</strong> ein Jahr später Chef des Ostasiengeschwa<strong>der</strong>s<br />
<strong>der</strong> Kaiserlichen Marine wurde, enthüllt und im Ersten<br />
Weltkrieg zerstört. [15]<br />
1908 verschmähte seine Vaterstadt Ruhrort ein Geschenk,<br />
das Kraus ihr mit <strong>der</strong> Figur des Männeken Pis<br />
hatte zukommen lassen. Aus sittlichen Gründen lehnten