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Wirtschaftszeitung_04122017

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26 LEBEN &WISSEN<br />

Für eine offene Gesellschaft<br />

Leeuwarden, Metropole der niederländischen Provinz Friesland, ist im kommenden Jahr Europäische<br />

Kulturhauptstadt. Schon bei der Programmgestaltung wurde „Iepen Mienskip“ gelebt.<br />

Die bekanntesten Kinder dieser<br />

Großstadt sind eine vermeintliche<br />

Spionin, die 1917 von den Franzosen<br />

hingerichtet worden ist, und ein Maler<br />

optischer Täuschungen, mit dem<br />

sich die Kunstgeschichte immer<br />

schwergetan hat. Wenn man nun die<br />

Namen Mata Hari und Maurits Cornelis<br />

Escher liest, werden jedoch die<br />

wenigsten wissen, wie der Geburtsort<br />

der beiden heißt.<br />

Mit großen Schritten in Richtung Kulturhauptstadt: das offizielle Plakat.<br />

Früher Teil der Stadtbefestigung, heute Wahrzeichen: das Wassertor inSneek von 1613, das einzige seiner Art inden Niederlanden. Die friesische Fahne (mit<br />

Herzchen) flattert von einem Schiffsbug ins Bild.<br />

Fotos: Ulrich Traub<br />

Leeuwarden, Hauptstadt der<br />

niederländischen Provinz<br />

Friesland im Nordwesten des<br />

Landes, steht bislang nicht unbedingt<br />

im Fokus der Touristen<br />

und Kulturreisenden. Zu abseits die<br />

Lage, zu gering die überregionale Bedeutung<br />

der Kulturangebote. Und doch darf<br />

sich Leeuwarden Europäische Kulturhauptstadt<br />

2018 nennen (neben Valletta<br />

auf Malta). Denn dieser Titel wird nicht<br />

aufgrundeiner Vielzahl vonMuseen und<br />

Theatern vergeben,sondern für den Entwurf<br />

eines thematisch ausgerichteten<br />

Kulturprogramms. Und der konnte die<br />

internationale Expertenjury, die imAuftrag<br />

der EU über die Vergabe entscheidet,<br />

überzeugen. So kames, dass Leeuwarden<br />

mit dem begehrten Titel werben kann<br />

und nicht die als chancenreicher eingestuften<br />

Konkurrenten Eindhoven und<br />

Maastricht.<br />

„Iepen Mienskip“ lautet das Thema des<br />

Programms. Das ist<br />

Friesisch und bedeutet<br />

offene, aber<br />

auch eigenwillige<br />

Gesellschaft. Die<br />

Wahl der Regionalsprache<br />

ist mehr<br />

als ein selbstbewusst<br />

gewähltes<br />

Symbol. Die gesamte<br />

Provinz ist<br />

zur Spielstätte der<br />

Kulturhauptstadt<br />

erklärt worden,<br />

und die Bevölkerung<br />

war aufgerufen,<br />

sich in organisatorischen<br />

und<br />

künstlerischen Belangen<br />

zu beteiligen.<br />

Internationales<br />

Staraufgebot ist<br />

ebenso Mangelware<br />

wierepräsentative<br />

Neubauprojekte,<br />

wie man sie aus<br />

Hauswand in Leeuwarden: Die ehemalige anderen Kulturhauptstädten<br />

Spionin Mata Hari ist allgegenwärtig –<br />

Gleiches gilt für die Fahrräder.<br />

kennt. Selbst die<br />

alsHöhepunkteangekündigten<br />

Veranstaltungen nehmen<br />

sich eher bescheiden aus. Das bedeutet<br />

jedoch nicht, dass sich der Besuch nicht<br />

lohnt.<br />

Auf nach Friesland –und als Erstes ins<br />

Fries Museum. Sieh an, Mata Hari ist<br />

schon da (und M.C. Escher wird ihr später<br />

folgen). Eine Ausstellung erinnert an<br />

das Leben der 1876 geborenen Leeuwardenerin<br />

und die Legenden, die sich darum<br />

ranken (bis 2. April). Ein Pfl<br />

ichtbesuch<br />

ist die Einführung ins Friesische in<br />

der Dauerausstellung. Sie erzählt vonKönigen<br />

und von Kühen, vom Segeln und<br />

vom Schlittschuhlaufen. Man lernt:<br />

Friesland ist mehr als nur plattes Land am<br />

Meer.<br />

Das 2013 eröffneteMuseum liegt am Wilhelminaplein.<br />

Hier ist das kaum 100000<br />

Einwohner große Leeuwarden ganz Metropole.<br />

Vis-à-vis vomMuseumskomplex,<br />

der die Dimensionen der eher kleinteilig<br />

gebauten, von Grachten durchzogenen<br />

Stadt zu sprengen scheint, steht der historische<br />

Justizpalast, der seine Tempelfront<br />

dem Platz zuwendet. Ausdem Hintergrund<br />

grüßt ein 115 Meter hoher Büroturm,<br />

der am Museumshafen steht. Alt<br />

und Neuinteils heftiger Konfrontation –<br />

dieses bauliche Merkmal vieler niederländischer<br />

Städtefindetman auch in der<br />

friesischen Metropole.<br />

Am Rande der Altstadt, in der Blokhuispoort<br />

aus dem 16.Jahrhundert, liegt die<br />

Zentrale der Kulturhauptstadt mit Infozentrum,<br />

Café sowie Ausstellungs- und<br />

Projekträumen. In dem Kulturkomplex<br />

war bis 2007 das Gefängnis. Das neue<br />

Hostel erinnert daran, man schläft in Zellen.<br />

Opulenter nächtigten die Damen und<br />

Herren des Hauses Oranien-Nassau. Bis<br />

zum Ende des 18. Jahrhunderts residierten<br />

sie in Leeuwarden als Statthalter für<br />

die nördlichen Provinzen. Ihre Paläste<br />

bereichern noch an vielen Stellen das<br />

Stadtbild, allerdings mit höchst unterschiedlicher<br />

Nutzung. Während das Nationale<br />

Keramikmuseum im Prinzessinnenpalast<br />

seine Schätze zeigt, so ist aus<br />

dem Sitz des Statthalters ein Hotel geworden.<br />

In einem der ältesten Gebäude,<br />

der Kanselarij aus dem 16. Jahrhundert,<br />

Bald Weltkulturerbe? Einige der alten Siedlerhäuser der Landwirtschaftskolonie<br />

Frederiksoord bilden heute ein Museum.<br />

in dem der Hof vonFriesland zusammentrat,<br />

wirdder Blickindie Zukunft gerichtet.<br />

„Places of Hope“ stellt Pioniere und<br />

Projekte nachhaltiger Lebensformen zur<br />

Diskussion.<br />

Das postmoderne Theater der Stadt, De<br />

Harmonie, ist ebenso Austragungsstätte<br />

der Kulturhauptstadt wie das Naturmuseum,<br />

das im alten Stadtwaisenhaus seinen<br />

Sitz hat, und die Jakobinerkirche, wo<br />

die Nassauer ihre letzte Ruhestätte gefunden<br />

haben. Heutegibt es in dem Gotteshaus<br />

einen mobilen Altar, der weggerollt<br />

werden kann, damit Konzerte stattfinden<br />

können. Einnahmen sind nötig,<br />

um die Existenz der Kirche zu sichern.<br />

Auch das ehemalige jüdische Viertel und<br />

der heutigeMultikulti-Stadtteil Vorstreek<br />

und seine Bewohner werden ins Programm<br />

einbezogen.<br />

Wer den Kalender der Kulturhauptstadt<br />

überfl<br />

iegt, dem wird auffallen, dass sehr<br />

viele Veranstaltungen imFreien stattfinden.<br />

Was wohl nicht zuletzt dem Leitgedanken<br />

„offene Gesellschaft“ geschuldet<br />

ist und dem Anliegen, auf die noch vielfältige<br />

Landschaftsstruktur Frieslands<br />

aufmerksam zu machen. Vom Wattenmeer<br />

und den westfriesischen Inseln bis<br />

in die Wälder an der Grenze zur Provinz<br />

Drenthe werden vor allem Musik- und<br />

Kunstprojekte realisiert.<br />

Landschaftskunst wirddie Küsteanmehreren<br />

Orten verändern. Auf einem Bauernhof<br />

im DorfHúns soll gezeigt werden,<br />

wie biologischer Anbau und Kunst zusammenfinden<br />

können, während man in<br />

der früheren Kolonie Frederiksoord die<br />

Gründung der „Gesellschaft für Wohltätigkeit“<br />

vor 200 Jahren feiert. Sie hatte<br />

seinerzeit mit landwirtschaftlichen Maßnahmen<br />

erfolgreich die Armut bekämpft.<br />

Die Kolonie soll 2018 in die Weltkulturerbeliste<br />

aufgenommen werden. In Drachten,<br />

einem der Zentren der De Stijl- wie<br />

auch der Dada-Bewegung, wird imMuseum<br />

Dr8888 nach den Folgen dieser<br />

Kunst-Avantgarden geforscht. Theo van<br />

Doesburg und Kurt Schwitters hatten<br />

Freunde in dem friesischen Städtchen.<br />

Eine Wohnung nach Van Doesburg-Entwürfen<br />

kann im Rahmen von Stadtführungen<br />

besichtigt werden.<br />

Eine besondere Rolle kommt den friesischen<br />

Dörfern zu.Veranstaltungen sollen<br />

nicht nur das Publikum dorthin locken,<br />

sondern auch das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

der Bevölkerung stärken. Tatsächlich<br />

sind viele Dörfer und ihre alten<br />

Kirchen sehenswert, nicht nur bekannte<br />

Örtchen wie Hindeloopen am IJsselmeer<br />

oder das idyllische IJlst bei Sneek.Ein roterFaden<br />

ist das Thema Wasser,naheliegend<br />

bei so viel Meer und Seen, Kanälen<br />

und Grachten. Bei der Wasserparade in<br />

Leeuwarden widmen sich Künstler dem<br />

Thema. Und auf dem dortigen Wassercampus<br />

wirdeinefuturistische Bar Gäste<br />

empfangen. Hier darf dann genetzwerkt<br />

werden, schließlich ist die Uni-Stadt<br />

europäischer Marktführer in Sachen<br />

Wassertechnologie.<br />

Friesland ist bekannt für den Schlittschuh-Marathon<br />

der Elf-Städte-Tour,der<br />

über zugefrorene Wasserläufeführt, was<br />

allerdings seit 1997 nicht mehr der Fall<br />

war. Nun bekommen all diese Städte<br />

einen von internationalen Künstlern wie<br />

Stephan Balkenhol, Mark DionoderJaume<br />

Plensa entworfenen Brunnen. Eine<br />

Liebeserklärung an das Wasser und ein<br />

Bekenntnis zur „Iepen Mienskip“, denn<br />

die Bevölkerung hat am Auswahlprozess<br />

und an der Standortsuche teilgenommen.<br />

Ulrich Traub<br />

INFOS<br />

–Leeuwarden-Fryslân 2018: Blokhuisplein<br />

40, 8911 LJ Leeuwarden;<br />

0031/58/7512018, www.2018.nl<br />

–Merk Fryslân: Zuidergrachtswal 2,<br />

8933 AD Leeuwarden;<br />

0031/58/2330740, www.friesland.nl/<br />

de -Eröffnungswochenende: 26./27.<br />

Januar

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