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Berliner Zeitung 20.10.2018

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20 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 245 · 2 0./21. Oktober 2018<br />

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Berlin bewegt sich<br />

Wieauf einem Kahn bei Windstärke acht<br />

Reiten lernen als Erwachsene –gehtdas? Unsere Autorin hat auf einem Pferdehof am <strong>Berliner</strong> Stadtrand den Selbstversuch gewagt<br />

VonMartina Doering<br />

Die ersten Stunden auf dem Pferd verbringen Anfänger an der Longe. Leeroygeht an einer langen Leine im Kreis um Reitlehrer Sebastian Winter herum. Die Reitschülerin kann sich ganz darauf konzentrieren, richtig im Sattel zu sitzen.<br />

SABINE GUDATH<br />

Noch Tage danach stakst<br />

die Reit-Anfängerin<br />

ziemlich langsam und<br />

etwas O-beinig herum.<br />

Die Oberschenkel schmerzen, die<br />

Schienbeine und der Bauch. Dabei<br />

dauerte der erste Ritt auf dem Reiterhof<br />

der Familie Groke in Ahrensfelde<br />

nicht, wie es die Regel ist, eine halbe<br />

Stunde, sondern nur 20 Minuten.<br />

Aber der Muskelkater ist enorm.<br />

Das Pferd ist bei der Ankunft<br />

schon gesattelt. Leeroy ist nicht nur<br />

ein schönes Tier,sondernzum Glück<br />

auch eher mittelgroß und vor allem<br />

geduldig. Also schnallt man sich die<br />

Kappe auf, steigt in den Bügel und<br />

schwingt sich von einer kleinen<br />

Mauer in den Sattel, damit nicht<br />

gleich die gesamte Kilolast voll auf<br />

LeeroysRücken kracht.<br />

Nicht in den Sattel plumpsen<br />

Peggy Groke, die den Reitstall führt,<br />

und ihre knapp ein Dutzend Angestellten<br />

achten darauf, dass es auf<br />

dem Hof nicht nur den Menschen<br />

gut geht, sondern auch den Tieren.<br />

Beim Gang vom Stall zum Longierplatz<br />

stellt Peggy Groke die Pferde<br />

mit Namen vorund hat für jedes ein<br />

Adjektiv parat: Ulrike ist schnell,<br />

Athos nervös,Rigo besonnen.<br />

Beim Longieren geht das Pferd<br />

an einer langen Leine, der Longe,<br />

im Kreis um den Reitlehrer herum.<br />

Er hat die Kontrolle über das Pferd,<br />

der Reitschüler kann sich darauf<br />

SERVICE<br />

Der Reitunterricht: In Berlin und Brandenburg gibt es einigeReiterhöfe, die Unterricht für<br />

„Späteinsteiger“ anbieten, etwa der Reiterhof Groke, Tel. 030/937 55 96, www.reiterhofgroke.de;<br />

Reitverein-Karlshorst, Tel. 0178/660 69 90, www.reitverein-karlshorst.de sowie<br />

Reitschule Brand in Bötzow, Tel. 0173/ 614 03 60, www.reitschule-brand.de<br />

Der Hof: Man sollte sich einen zertifizierten Reiterhof suchen, das heißt, die Lehrer sollten<br />

geprüfte Pferdewirte sein, die Tiere in sauberen, luftigen Boxen stehen und gesund aussehen –<br />

und nicht klapprig,weil sie ständig „arbeiten“ müssen oder garschlecht behandelt werden.<br />

Die Ausrüstung: Pferd, Sattel und zumeist auch die Reiterkappe werden auf den Höfen gestellt.<br />

Empfehlenswert für erste Reitversuche sind Hosen ohne Nähte an der Beininnenseite<br />

(keine Jeans) sowie Schuhe oder Stiefel mit kleinem Absatz für den Halt im Steigbügel.<br />

Die Kosten: Eine Stunde (30 oder 45 Minuten) im Gruppenunterricht kostet durchschnittlich<br />

ab 15 Euro, im Einzelunterricht ab 20 Euro. Durch Vereinsmitgliedschaft oder Abonnements<br />

sind Ermäßigungen möglich. (doe.)<br />

konzentrieren, richtig im Sattel zu<br />

sitzen.<br />

„Rücken gerade!“, weist Reitlehrer<br />

Sebastian Winter die Anfängerin<br />

an. Beine fest in die Steigbügel, Fußspitzen<br />

nach innen, Bauchmuskeln<br />

anspannen und die Oberschenkel<br />

stramm an den Seiten des Pferdes.<br />

Auf einen leisen Zuruf hin setzt sich<br />

Leeroy mitsamt Reiterin in Bewegung,<br />

der Oberkörper schwankt, der<br />

Hintern wippt auf und nieder und<br />

man „soll ihn doch bitte schön sanft<br />

absetzen und nicht einfach in den<br />

Sattel plumpsen lassen“. Dasalles ist<br />

nicht so einfach: Es schaukelt wie auf<br />

einem Kahn bei Windstärke acht, die<br />

Füße rutschen im Bügel bis zum<br />

Spann nach vorn, die Hände halten<br />

sich krampfhaft am Sattel fest. Es ist<br />

ein Kraftakt, eine Übung in Balance –<br />

und einfach toll.<br />

Peggy Groke lernte schon als Kind<br />

reiten, 1988 haben ihreElterninAhrensfelde<br />

einen Reiterhof gegründet,<br />

bei dem man Kremser-, Kutsch- und<br />

Hochzeitsfahrten buchen und Reitunterricht<br />

nehmen konnte. Schon<br />

damals nahmen die Grokes auch<br />

Pferde anderer Leute als „Untermieter“<br />

auf, stellten sie also in ihren Boxen<br />

ein. Dabei ist es im Prinzip geblieben,<br />

als die Familie 2009 den Reiterhof<br />

an den Rand von Ahrensfelde<br />

verlegte.Dortgibt es Gatter undWiesen<br />

für Damwild, Ziegen, Schafe.Auf<br />

einer Koppel grasen Pferde, die ihre<br />

Rente genießen. Ihre jüngeren Kollegen,<br />

die gerade frei haben und keine<br />

Reiter durch die Gegend tragen, jagen<br />

sich spielerisch über die Weide.<br />

Auf dem Gelände stehen eine 80<br />

Meter lange und 20 Meter breite<br />

Reithalle, mehrere Reitplätze sowie<br />

große, lichte und hohe Ställe mit geräumigen<br />

Boxen für die Pferde. Zugleich<br />

ist der Reiterhof auch ein<br />

Landwirtschaftsbetrieb, wo Hafer<br />

und Stroh und schließlich auch Silage,<br />

das Winterfutter, für die Tiere<br />

produziert werden. Die Pferdewirtschaftsmeisterin<br />

Peggy Groke und<br />

ihreSchwester Sindy Antes übernahmen<br />

2011 den Hof ihrer Eltern, Michael<br />

Antes führt den Landwirtschaftsbetrieb.<br />

Reiten sei gut für Kinder wie für<br />

Erwachsene, sagt Peggy Groke, für<br />

sportliche genauso wie für unsportliche<br />

Menschen.„Es macht Spaß ,und<br />

man kann nach einem anstrengenden<br />

Tagauch gut abschalten“, sagt<br />

die 50-Jährige. „Reiten fördert die<br />

Körperspannung, schult das Balancegefühl<br />

und den Gleichgewichtssinn.“<br />

Das haben auch Hochglanzmagazine<br />

entdeckt. „Straffe Schenkel,<br />

flacher Bauch“, heißt es da. „Reiten<br />

ist als Full-Body-Work-out der neue<br />

Trendsport.“ Die Gewichtsverlagerungen<br />

beim Reiten, die Anspannung<br />

der Schenkel, die Zügelführung<br />

formten den kompletten Körper.Vielleicht<br />

haben deshalb Prominente<br />

wie die Models Gisele<br />

Bündchen und Gigi Hadid oder die<br />

Modedesignerin Victoria Beckham<br />

die Ballettstange mit den Zügeln getauscht.<br />

Zudem würden auch noch<br />

350 Kalorien pro Reitstunde verbrannt.<br />

Die Reiterin, die sich nur<br />

20 Minuten auf dem Pferd hielt, hat<br />

also rund 120 Kalorien zum Preis eines<br />

satten Muskelkaters verloren.<br />

Stars und Sternchen sind hier auf<br />

dem Groke-Hof nicht zu sehen. Nur<br />

eine grau-weiße Katze posiert als<br />

Model für die Fotografin, bis sie sich<br />

wieder auf eine Maus im Gras konzentriert.<br />

Doch gesagt werden muss,<br />

dass der Reitsport durchaus ein teuresVergnügen<br />

ist. Reithöfe liegen logischerweise<br />

meist außerhalb des<br />

Stadtzentrums. Also muss man erst<br />

mal hinkommen. Zudem sind die<br />

Stunden teuer,insbesondereals Einzelunterricht:<br />

Auf dem Groke-Hof in<br />

Ahrensfelde kosten 30 Minuten Einzelunterricht<br />

35 Euro; , für eine<br />

Stunde Gruppenunterricht sind<br />

20 Euro zu bezahlen.<br />

Es sei erstaunlich, sagt Peggy<br />

Groke, wer alles reiten lernen wolle.<br />

Es seien –ganz wie das Klischee besagt<br />

–tatsächlich viele Mädchen und<br />

junge Frauen. „Wahrscheinlich sind<br />

sie von diesen schönen Tieren mit<br />

den sanften Augen fasziniert“, versuchtsich<br />

die Pferdefachwirtin an einer<br />

Erklärung. „Vielleicht kommt es<br />

ihrem Drang, sich zu kümmern und<br />

Verantwortung zu übernehmen,<br />

sehr entgegen.“ Sie brächten dafür<br />

ihr Taschengeld auf oder nähmen<br />

Jobs an, umihr Hobby zufinanzieren.<br />

Inzwischen kämen jedoch vorwiegend<br />

Erwachsene und sogar<br />

Rentner. Der älteste Reitschüler sei<br />

mehr als 80 Jahrealt gewesen.<br />

Schweiß auf Fell und Stirn<br />

Beiden Grokes wirdaberjeder Schüler<br />

vordem ersten Ritt unter die Lupe<br />

genommen. Einem Gespräch zum<br />

Warum, Wieso und eventuellen Vorkenntnissen<br />

folgt ein Probe-Unterricht,<br />

denn Schüler,Tier und Reitlehrermüssenharmonieren.<br />

Wenn aber<br />

alles zusammenpasst, die Probe bestanden<br />

ist und der Reitanfänger dabeibleibt,<br />

lernt er auf dem Pferd<br />

Schritt, Trab und Galopp. Erdankt<br />

seinem Pferd, sattelt sein Tier selbst<br />

auf und ab, wischt ihm den Schweiß<br />

vomFell und sich vonder Stirn.<br />

Bis man dann wirklich reiten<br />

kann, wirdesdauern, einiges kosten<br />

und etlichen Muskelkater mit sich<br />

bringen.<br />

Schlau, nervenstark, unkompliziert<br />

Wendig und schnell –diese Eigenschaften<br />

werden den Deutschen<br />

Reitponys zugeschrieben. IMAGO<br />

Ponys<br />

Das Deutsche Reitpony, eine<br />

deutsche Züchtung, ist eigens<br />

als Kinder- und Jugendreitpony gezüchtet<br />

worden und sowohl für<br />

Dressur wie für das Springreiten geeignet.<br />

Die Pferde zeichnen sich generell<br />

durch stämmigen Wuchs und<br />

kurze, kräftige Beine aus, sind wendig<br />

und schnell. Manche Rassen sind<br />

stark genug, Erwachsene zu tragen.<br />

Die Pferde gelten zwar allgemein als<br />

Einsteigerpferde für Kinder, zumal<br />

sie wegen ihres kleinen Wuchses,der<br />

zotteligen Mähne und der großen<br />

Augen sehr niedlich sind.<br />

Einige Rassen seien jedoch nur<br />

bedingt für Kinder als Reitanfänger<br />

geeignet, sagt Pferdeexpertin Peggy<br />

Groke.„Ponys sind schlau, aber nicht<br />

berechenbar.“ (doe.)<br />

Haflinger Amato ist bereits 32 Jahre<br />

alt. Er zog auf auf dem Groke-<br />

Hof Kremser und Kutschen. S. GUDATH<br />

Haflinger<br />

Haflinger stammen aus dem Gebirge,<br />

aus Südtirol, und haben<br />

einen relativ robusten Körperbau,<br />

starke Muskeln und einen sicheren<br />

Tritt.Vorzugsweise wurden sie früher<br />

in der Landwirtschaft als Zugpferde<br />

eingesetzt, aber auch vom Militär.<br />

Auch heute arbeiten die nervenstarken<br />

und ausgeglichenen Tiere noch<br />

in der Forstwirtschaft, sie werden vor<br />

Kutschen und Kremser gespannt<br />

und dienen als Reitpferde.<br />

Charakteristisch ist ihreFärbung:<br />

fuchsfarbenes Fell mit heller Mähne<br />

und hellem Schweif. Haflinger sind<br />

größer als Ponys, aber nicht so groß<br />

wie normale Pferde. Ihr Stockmaß –<br />

die Höhe vom Boden bis zum Halsansatz<br />

–beträgt 138 bis 155 Zentimeter.<br />

(doe.)<br />

Das Deutsche Sportpferd<br />

Leeroywurde auf dem Groke-Hof<br />

geboren.<br />

S. GUDATH<br />

Deutsches Sportpferd<br />

Die Züchtung der Warmblüter<br />

unter dem Namen Deutsches<br />

Sportpferdbegann erst 2003, als sich<br />

die Zuchtverbände von Sachsen,<br />

Sachsen-Anhalt, Thüringen und Berlin-Brandenburg<br />

vereinten und ein<br />

gemeinsames Zuchtbuch gründeten.<br />

Ziel war es,qualitätsvolle Sportpferde<br />

für alle Disziplinenund Kategorien<br />

zu züchten, aber auch Tiere<br />

für Menschen ohne Turnierambitionen.<br />

Deutsche Sportpferde gelten als<br />

sehr unkompliziertund umgänglich,<br />

lernbereit und nervenstark. Die<br />

Pferde werden vorallem im Freizeitsporteingesetzt.<br />

Deutsche Sportpferde haben<br />

meist ein Stockmaß vonetwa 160 bis<br />

170 Zentimeter, esgibt sie in allen<br />

Farben. (doe.)

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