Berliner Zeitung 20.10.2018
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26 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 245 · 2 0./21. Oktober 2018<br />
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Feuilleton<br />
SONNTAGSKRIMI<br />
Die<br />
tödliche<br />
Maria<br />
VonFrank Junghänel<br />
Der „Tatort“ ist kein Tatort, als die<br />
Kommissareins Spiel kommen,<br />
sie leisten mehr oder weniger willig<br />
einen Freundschaftsdienst für ihren<br />
Kollegen Degner (Dirk Borchardt),<br />
dessen Tochter verschwunden ist<br />
und das nicht etwa spurlos. Esgibt<br />
zerbrochenes Glas im Wohnzimmer<br />
des Einfamilienhauses, in dem sie<br />
seit der elterlichen Scheidung allein<br />
mit ihrer Mutter (Lisa Martinek) lebt.<br />
Schon ein bisschen beunruhigend,<br />
aber streng genommen kein Fall für<br />
die Mordkommission, wie Leitmayr<br />
findet. DasMädchen ist 14 und wird<br />
schon wieder auftauchen. Als die<br />
mittelmäßig engagierten Polizisten<br />
den Laptop der vermissten Melanie<br />
aufklappen, werden sie von einer<br />
Stimme begrüßt, die sie aus einer Art<br />
magischem Auge heraus anspricht:<br />
„Mein Name ist Maria“. Maria –wie<br />
Alexa, Siri oder wie sich die digitalen<br />
Haushaltshilfen sonst noch nennen.<br />
DasGerede aus dem PC ist den eher<br />
analogen Ermittlern sofort suspekt.<br />
„Den nehm’mer mit“, sagt Leitmayr<br />
und verhaftet quasi den Computer.<br />
Undnun wirdeskompliziert, aber<br />
nicht unbedingt spannend. Hinter<br />
dem Namen Maria, das findet Tüftler<br />
Kalli mit ein paar Klicks am Bürocomputer<br />
heraus, versteckt sich „ein<br />
ziemlich krasses Programm“. Es geht<br />
um künstliche Intelligenz (KI), wie in<br />
letzter Zeit schon öfter im „Tatort“.<br />
Nach Bremen, Stuttgart, Saarbrücken<br />
und Kiel hat das Thema nun München<br />
erreicht. Das Problem mit diesen<br />
semifuturistischen Fällen ist immer<br />
das gleiche,die virtuelle Welt des<br />
Verbrechens lässt sich nur schwer in<br />
eine schlüssige und auch sinnliche<br />
Kriminalhandlung fassen. Selbst<br />
wenn es um ein vermisstes Kind geht.<br />
Wie fast immer in solchen Geschichten<br />
wird viel, oft und mit superschnellen<br />
Fingern indie Tasten gehauen,<br />
diesmal von der superjungen<br />
Programmiererin Anne (Janina<br />
Fautz), die eine superwichtige Rolle<br />
in jenem Rechenzentrum spielt, in<br />
dem „Maria“ entwickelt wurde. Der<br />
informatorische Anspruch ist hoch.<br />
Schließlich soll der Zuschauer immer<br />
auch etwas lernen. Am Ende mündet<br />
der ambitionierte Film des Schweizer<br />
Regisseurs Sebastian Marka ineinen<br />
moralphilosophischen Diskurs zwischen<br />
Mensch und Maschine.Dieser<br />
allerdings hat was für sich.<br />
Tatort–KISo.20.15Uhr,ARD<br />
Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, l.) und<br />
Ivo Batic (MiroslavNemec) mit der Programmiererin<br />
Anna (Janina Fautz). ARD<br />
TOP 10<br />
Donnerstag,18. Oktober<br />
1 Lena Lorenz ZDF 5,02 16 %<br />
2 Tagesschau ARD 4,48 15 %<br />
3 heute ZDF 4,25 18 %<br />
4 Babylon Berlin, 10 ARD 4,14 13 %<br />
5 Babylon Berlin, 9 ARD 4,13 13 %<br />
6 SOKOStuttgart ZDF 3,78 20 %<br />
7 heute-journal ZDF 3,77 13 %<br />
8 Notruf Hafenkante ZDF 3,57 13 %<br />
9 RTL aktuell RTL 3,31 15 %<br />
10 The Voice of... Vox 3,23 11 %<br />
ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %<br />
Iris Berben kommt pünktlich<br />
auf die Minute zum Interview.<br />
Sie sei so gut wie immer<br />
pünktlich, sagt sie. Das gehört<br />
zu ihren Prinzipien. Wir sind am<br />
Lützowufer verabredet, in der Produktionsfirma<br />
ihres Sohnes Oliver.<br />
Als sie den Raum betritt, beginnt sie<br />
sofort zuerzählen. Es soll um ihre<br />
Serie „Die Protokollantin“ gehen,<br />
die ab Sonnabend im ZDF zu sehen<br />
ist. Iris Berben spielt die Rolle der<br />
Freya Becker, einer Frau Anfang<br />
sechzig, die als Protokollantin der<br />
Mordkommission die Aussagen der<br />
Verdächtigen mitschreibt und auf<br />
diese Weise mit grausamen Verbrechen<br />
konfrontiert wird. Seit ihre<br />
Tochter verschwunden ist, hat sich<br />
Freya immer mehr zurückgezogen.<br />
Siespricht kaum mit ihren Kollegen,<br />
doch die Stimmen in ihrem Kopf<br />
werden immer lauter. Für Iris Berben<br />
ist diese spröde, unscheinbare<br />
Figur eine schöne Herausforderung.<br />
Frau Berben, wie geht es Ihnen, zwei<br />
Tage vorder Fernsehpremiere?<br />
Es ist ein merkwürdiges Gefühl.<br />
Man ist so isoliert, anders als beim<br />
Film mit rotem Teppich und einem<br />
Saal voller Menschen. Ich spiele für<br />
mich trotzdem so ein bisschen Premiere,<br />
weil ich mir vorstelle, dass es<br />
die Leute jetzt zum ersten Malsehen.<br />
Wenn ich am Sonnabend zu Hause<br />
bin, gucke ich es mir auch in Echtzeit<br />
an. Ich muss da immer an Kollegen<br />
denken, die mir sagen, dass sie sich<br />
ihre Filme nicht anschauen. Das ist<br />
mir so fremd. Ichmöchte sehen, wie<br />
alles ineinandergreift, Regie, Schnitt,<br />
Musik, Schauspiel.<br />
Steigt da der Adrenalinspiegel?<br />
Undwie! Dasist ja eine Arbeit, die<br />
mich persönlich auf eine neue Weise<br />
gefordert hat, sie gehört aber auch<br />
im Gesamtbild Fernsehen durchaus<br />
noch zu den Neuerungen, die Miniserie.Eshat<br />
ja doch etwas länger gedauert,<br />
bis wir uns nach dem Vorbild<br />
der Skandinavier und Amerikaner an<br />
dieses Format getraut haben. Das<br />
schießt mein Adrenalinspiegel ganz<br />
ordentlich in die Höhe,heute schon.<br />
DieRolle der Protokollantin ist ungewöhnlich<br />
für Sie…<br />
Weil die Figur so reduziert ist.<br />
Nicht nur äußerlich. Das mache ich<br />
nicht zum ersten Mal, aber es wird<br />
natürlich gernbemerkt.<br />
Wie lange wurden Sie geschminkt,<br />
um ungeschminkt auszusehen?<br />
Anderthalb bis zwei Stunden. Am<br />
aufwendigsten waren die Haare. Das<br />
ist eine Halbperücke,die täglich neu<br />
eingearbeitet wurde.<br />
Die Reduktion vermittelt sich ja vor<br />
allem in Ihrem Spiel. Wie Sie jeden<br />
Tag mit hängenden Armen an der<br />
Ampel stehen und allen anderen den<br />
Vortritt lassen.<br />
Das ist eine Frau, die sich in sich<br />
verschlossen hat. Was ihren Beruf<br />
widerspiegelt, wie ich finde. Sie sitzt<br />
immer dabei, wenn Menschen diese<br />
Verbrechen erklären wollen oder<br />
wenn sie weiter lügen, sich verstricken,<br />
Ausflüchte suchen. Sie sitzt<br />
stoisch an ihrem Schreibtisch, ohne<br />
die Möglichkeit einer Interaktion,<br />
wie es die Beamten haben, die die<br />
Befragung leiten oder die Polizisten,<br />
die das miteinander diskutieren und<br />
verarbeiten. Es bleibt alles bei ihr, in<br />
ihr, sie muss damit leben. Das hat<br />
mich an diesem Charakter gereizt.<br />
Mansucht nach einer so langen Zeit<br />
im Geschäft natürlich immer wieder<br />
nach Stoffen und Figuren, die vielleicht<br />
etwas berühren, was noch<br />
nicht so auserzählt ist.<br />
In den unzähligen Krimis, die wir<br />
gesehen haben, saß noch nie eine<br />
Protokollantin mit im Verhörraum.<br />
Istdas nicht verrückt!<br />
Gibt es die wirklich?<br />
Soviel ich weiß, sind sie dabei,<br />
wenn es um Kapitalverbrechen geht.<br />
Und das, was ich erstaunlich finde,<br />
trotz unserer Möglichkeiten, sowieso<br />
alles zu überwachen und aufzuzeichnen.<br />
Aber die Protokollantin schreibt<br />
ja nicht nur mit, sie ist auch als Beobachterin<br />
gefragt. Sie notiert Reaktionen,<br />
Regungen, „weint“, „gestikuliert“,<br />
das wirdalles festgehalten. Der<br />
Schriftsteller Friedrich Ani hat bei sei-<br />
Du begreifst sie<br />
durch Blicke<br />
Iris Berben über ihre Rolle in der Serie<br />
„Die Protokollantin“ ,über die Kraft des Zweifels und<br />
die Geschlechterdebatte in der Filmbranche<br />
nen Recherchen einmal eine solche<br />
Protokollantin getroffen und ist mit<br />
dieser Idee zu Oliver Berben gegangen,<br />
meinem Sohn, der das Projekt<br />
dann vorangetrieben hat.<br />
Haben SiePolizeiprotokolle gelesen?<br />
Unsere Autorin und Regisseurin<br />
Nina Grosse hat mir einen Ordner<br />
mit Material zusammengestellt, zum<br />
Beispiel über den furchtbaren Missbrauchsfall<br />
in Saarbrücken, der vor<br />
ein paar Jahren publik wurde.Dawarenauch<br />
Verhörprotokolle dabei.<br />
Wie sind Ihnen die Täter in diesen<br />
Texten begegnet?<br />
Auf ganz verschiedene Weise. Es<br />
gab sachliche Berichte,mit einer gewissen<br />
Kälte und Distanz. Dann gibt<br />
es die Versuche, sich sehr emotional<br />
darzustellen, als Opfer.Das wirkt bei<br />
mir bis heute nach. Wenn ich jetzt<br />
zum Beispiel Artikel über Kinderpornografie<br />
lese, denke ich auch an die<br />
Menschen, die sich damit beschäftigen<br />
müssen, deren Beruf esist, dem<br />
nachzugehen, sich das alles anzuschauen.<br />
Wasdas mit ihnen macht.<br />
Du gehst ja inWelten rein, die wir uns<br />
in ihrer Abartigkeit gar nicht vorstellen<br />
wollen. Und als Ermittler musst<br />
du das. Die Empathie für die Opfer<br />
war bei mir immer da, dazugekommen<br />
ist die Perspektiveder Ermittler.<br />
Darüber habe ich mir früher nicht so<br />
viele Gedanken gemacht.<br />
Welche Lebensgeschichte hatten Sie<br />
für IhreFreya im Kopf? Manches wird<br />
im Film angedeutet, aber viel gibt sie<br />
nicht vonsich preis.<br />
Ich glaube, dass sie eine sehr offene,lebenslustige<br />
Frau war,mit einem<br />
großen Gerechtigkeitssinn.<br />
Daskann ich nachvollziehen, denn<br />
ich bin auch so ein Gerechtigkeitsfanatiker.<br />
Ich denke nicht einmal,<br />
dass Protokollantin ein Lebensund<br />
Berufswunsch für sie war.<br />
Durch bestimmte Umstände ist sie<br />
Zwischen Freya Becker (Iris Berben) dem Kommissar HenrySilowski (Peter Kurth)<br />
entspinnt sich eine zaghafte Liebesgeschichte.<br />
ALEXANDER FISCHERKOESEN<br />
„Schuhe geben<br />
einen Gang vor.<br />
Diese Schuhe sagen,<br />
die Frau steht auf<br />
dem Boden, sehr auf<br />
dem Boden. Ich<br />
habe mir viel dazu<br />
überlegt.“<br />
bei der Polizei gelandet und bei der<br />
Begegnung mit diesen entsetzlichen<br />
Verbrechen begreift sie, wie<br />
wichtig es ist, dass man die Menschen,<br />
die mit diesen Verbrechen in<br />
Berührung kommen, nicht alleine<br />
lässt. So habe ich mir das immer<br />
vorgestellt. Sie nimmt die Sache<br />
dann selber in die Hand, wobei sich<br />
Gerechtigkeit und Rache bei Freya<br />
immer mehr durchdringen. Das ist<br />
das Tragische daran.<br />
DieTraurigkeit mündet in Bitternis.<br />
Es gibt zwei Gelegenheiten, bei denen<br />
man in ihr altes Leben schaut.<br />
Beim Kindergeburtstag ihrer Nichte,<br />
wenn sie sich ein bisschen zurechtmacht.<br />
Da kann man sehen, wie sie<br />
vielleicht einmal war.Und dann ist da<br />
dieser wunderbare Moment, wenn<br />
sie nachts in der Wohnung mit dem<br />
Kommissar tanzt, wo man ganz kurz<br />
das Mädchen in ihr entdeckt. Daswar<br />
übrigens auch die Szene für das Casting.<br />
Ich war ja gesetzt, aber für die<br />
Rolle des Kommissars gab es einige<br />
Bewerber,von denen Peter Kurthdas<br />
Rennen gemacht hat. Zu den Besonderheiten<br />
dieser Geschichte gehört<br />
für mich, dass nicht sehr viel geredet<br />
wird und doch begreifst du die Menschen.<br />
Du begreifst sie durch Blicke,<br />
durch Gesten.<br />
Unddurch die Kleidung.<br />
Wir haben lange, lange Zeit an<br />
dem Look dieser Frau gearbeitet. Sie<br />
ist jemand, der nicht mehr auf sich<br />
achtet. Sie ist im Begriff, als Person<br />
zu verschwinden.<br />
Besonders faszinierthaben mich Ihre<br />
braunen Gesundheitsschuhe.<br />
Die habe ich mit nach Hause genommen.<br />
Das war ganz wichtig für<br />
mich. Schuhe geben einen Gang<br />
vor. Diese Schuhe sagen, die Frau<br />
steht auf dem Boden, sehr auf dem<br />
Boden. Ich habe mir so viel dazu<br />
überlegt. Mirwar auch wichtig, dass<br />
die Schuhe zuvor getragen wurden.<br />
Es sind gebrauchte Schuhe.Alles an<br />
Freya ist funktionell, sie verschwindet<br />
in den Farben ihrer Kostüme,sie<br />
sendet keinerlei Signale als Frau<br />
mehr aus.<br />
An einer Stelle sagt sie von sich: „Ich<br />
gehörenicht mehr dazu.“<br />
Dasist für mich der Satz, der alles<br />
erzählt. Er resultiert aus einem kleinen<br />
Flirt, dem sie sich abrupt entzieht,<br />
um sich dann später zu Hause<br />
wieder dem Gespräch mit ihrer<br />
Katzezuzuwenden.<br />
Diese Erfahrung wirdwahrscheinlich<br />
jeder Mensch in seinem Leben einmal<br />
machen müssen. Nicht mehr dazuzugehören,<br />
sei es in der Liebe, in der<br />
Familie, bei der Arbeit.<br />
Es ist ja auch ein Lebensdrama, das<br />
hier erzählt wird. Neben dem Krimi<br />
und der Liebesgeschichte. Freya<br />
sieht sich so.Nicht mehr zugehörig.<br />
Haben Siedas selbst einmal erlebt?<br />
Siehaben gerade gesagt, das passiert<br />
inder Liebe, ja, da ist mir das<br />
auch schon so gegangen, dass ich<br />
das Gefühl hatte, ich gehöre nicht<br />
mehr in diese Zweiergemeinschaft.<br />
Ich habe es nicht in der Familie erlebt.<br />
Da bin ich sehr gefestigt. Vielleicht<br />
liegt es daran, dass ich immer<br />
nur eine sehr kleine Familie hatte.<br />
Ich bin Einzelkind, meine Mutter<br />
war immer für mich da, die Eltern<br />
haben sich sehr früh getrennt. Ich<br />
habe einen Sohn und zwei Enkelkinder.Sehr<br />
überschaubar.Auf ganz andereWeise<br />
habe ich das Gefühl nicht<br />
dazuzugehören bei der Arbeit erlebt,<br />
als Verzweiflung im Beruf, zumal ich<br />
keine professionelle Ausbildung<br />
habe und manchmal mit großartigen<br />
Kollegen gearbeitet habe, die<br />
mir zwar nicht das Gefühl gegeben<br />
haben, ich aber hatte es. Was auch<br />
ein Ansporn sein kann. Der Zweifel<br />
an den eigenen Fähigkeiten ist ein<br />
guter Motor für mich. Ich würde ja<br />
überhaupt gern Iris Zweifel heißen.<br />
Mitdem Zweifel fängt alles an.<br />
DerFall, der die Protokollantin nicht<br />
loslässt, behandelt den Missbrauch<br />
eines jungen Mädchens. Ich weiß<br />
nicht, inwieweit sich das kriminalstatistisch<br />
belegen lässt, aber nach<br />
meinem Empfinden werden in den<br />
Fernsehkrimis überwiegend Frauen,<br />
Mädchen und Kinder zu Opfern von<br />
Gewalttaten, die immer öfter auch<br />
explizit gezeigt werden.<br />
Dasist mir so noch nicht aufgefallen,<br />
aber wo Sieessagen …Ist es das<br />
schwache Geschlecht, das dadurch<br />
gezeigt werden soll, ist es die Dominanz<br />
der Männer? Spiegelt es etwas<br />
wider in unserer Gesellschaft? Wir<br />
führen diese Diskussion in letzter<br />
Zeit relativ lautstark. Ich habe ja ein<br />
ambivalentes Verhältnis zu dieser<br />
ganzen MeToo-Debatte,falls Siedarauf<br />
hinauswollen. Für mich widerspricht<br />
der feministische Gedanke,<br />
der dort teilweise wieder hochkommt,<br />
dieses Ausgrenzen von<br />
Männern, meiner gesamten Erfahrung<br />
und meinem Anspruch, Veränderungen<br />
im Machtverhältnis zwischen<br />
den Geschlechtern einzufordern.<br />
Ich kann mich erinnern, dass<br />
es in der Emanzipationsbewegung<br />
der 60er-und 70er-Jahredie Vorstellung<br />
gab, als Frau nur noch mit Regisseurinnen<br />
und Kamerafrauen zusammenzuarbeiten.<br />
Das war mir<br />
von jeher unverständlich, womöglich,<br />
weil ich in einem Haushalt mit<br />
einer sehr selbstbestimmten Mutter<br />
aufgewachsen bin, die mir ein sehr<br />
emanzipatorisches Leben vorgelebt<br />
hat. Aber jetzt sind wir ein bisschen<br />
vonIhrer Frage abgekommen. Wenn<br />
es so ist, dass Frauen und Mädchen<br />
in unseren Filmen über Gebühr als<br />
Opfer vonGewalt inszeniertwerden,<br />
müssen wir darüber sprechen. Vielleicht<br />
hat es den banalen Grund,<br />
dass man auf diese Weise stärker das<br />
Mitgefühl der Zuschauer mobilisierenmöchte.<br />
Sie haben diesmal in den Schlüsselpositionen<br />
Buch und Regie mit<br />
Frauen zusammengearbeitet …<br />
Undwir haben schon vorvier Jahren<br />
mit dem Projekt begonnen, als<br />
vonMeToo noch nicht die Rede war.<br />
Bemerken Sieatmosphärische Unterschiede,<br />
wenn Sie mit Männern oder<br />
Frauen zusammenarbeiten?<br />
Ichweiß, dass ich mich immer auf<br />
dünnem Eis bewege, wenn ich das<br />
sage,von wegen weiblicher Solidarität.<br />
Aber ich habe mit so vielen verschiedenen<br />
Männern und Frauen<br />
gearbeitet, dass Unterschiede für<br />
mich vor allem als Wesensart zuerkennen<br />
sind. Es gibt sehr polternde,<br />
fordernde,laute Männer,esgibt sehr<br />
zurückhaltende, sensible, fast verklemmte<br />
Männer. Und das alles<br />
habe ich auch bei Frauen erlebt. Der<br />
Machtmissbrauch ist eine strukturelle<br />
Angelegenheit.Wergeht wie mit<br />
Macht um. Da kann der Mann seit<br />
Jahrtausenden auf Strukturen<br />
bauen, die ihn bevorteilen. Aber natürlich<br />
gibt es auch Frauen, die ihre<br />
Macht missbrauchen. Am Ende ist es<br />
eine Charakterfrage.Wichtig ist, dass