Berliner Zeitung 13.12.2018
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 291 · D onnerstag, 13. Dezember 2018 11 *<br />
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Berlin<br />
Eine Geschichte von Verfolgung und Haft<br />
Sara Mardini saß 106 Tage in Untersuchungshaft, weil sie Flüchtlingen in Not geholfen hat. Jetzt ist sie auf Kaution frei –und zurück in Pankow<br />
VonElmar Schütze<br />
Am Anfang waren die Kommilitonen<br />
dran, die<br />
Freunde, alle, die sich drei<br />
Monate lang für sie eingesetzt,<br />
mit ihr gebangt, Briefe geschrieben,<br />
ihr Mut gemacht, Petitionen<br />
ans Europaparlament geschrieben,<br />
Kontakt zum Auswärtigen Amt<br />
und dem Bundespräsidialamt gehalten<br />
haben. Umarmungen, Gespräche,Schultertätscheln<br />
in gelöster Atmosphäre.<br />
Am Mittwoch hatte Sara Mardini,<br />
23-jährige syrische Flüchtlingshelferinaus<br />
Pankow, ihren ersten öffentlichen<br />
Auftritt. 106 Tage hatte sie in<br />
griechischer Untersuchungshaft verbracht,<br />
weil sie Flüchtlingen geholfen<br />
hatte. Jetzt hat ihre Hochschule<br />
in Berlin, das private Bard-College in<br />
Niederschönhausen, zu einer kleinen<br />
Willkommensfeier samt Pressekonferenz<br />
eingeladen.<br />
Zusammen mit ihrem Freund<br />
und Kollegen Sean Binder, einem<br />
Deutsch-Iren, und ihrem griechischen<br />
Anwalt hat Sara Mardini viel<br />
zu erzählen. Vonihrer Haft –und davon,<br />
dass die Vorwürfe gegen sie<br />
falsch sind. Mardini, Binder und den<br />
anderen ehrenamtlichen Mitstreitern<br />
der Nichtregierungsorganisation<br />
ERCI werden Mitgliedschaft in<br />
einer kriminellen Vereinigung, Menschenschmuggel,<br />
Unterschlagung<br />
von Spendengeld und nicht zuletzt<br />
Spionage vorgeworfen. Das sind<br />
schwere Vorwürfe, die zu langen<br />
Haftstrafen führen können.<br />
Seit Jahren helfen ERCI-Freiwillige<br />
Flüchtlingen, die aus der Türkei<br />
kommend auf der griechischen Insel<br />
Lesbos in der Ägäis landen und dort<br />
in dem Lager Moria untergebracht<br />
werden. DasLager ist für 2500 Leute<br />
eingerichtet, derzeit sind mehr als<br />
7000 dort untergebracht. Die Helfer<br />
sind Rettungsschwimmer, Ärzte,<br />
Übersetzer –oft einfach nur Menschen,<br />
die die Not lindern wollen.<br />
Sara Mardini etwa hat Spendengeld<br />
unter anderem dazu verwendet,<br />
Waschmaschinen zu besorgen. Die<br />
Bedingungen in Moriasind katastrophal,<br />
der griechische Staat unternimmt<br />
wenig, dies zu ändern.<br />
Ende August wurden 37 Leute<br />
festgenommen, das gesamte Team<br />
von ERCI. Mittlerweile sind alle auf<br />
Kaution wieder frei. DieErmittlungsverfahren<br />
laufen unterdessen weiter<br />
– gut möglich, dass es tatsächlich<br />
noch zu einem Prozess kommt.<br />
Arbeit wirdkriminalisiert<br />
Sean Binder sagt: „Wir haben das<br />
Richtige getan.“ Sara Mardinis Anwalt<br />
sagt: „Wir bestreiten alle Anschuldigungen.“<br />
Sie seien nicht fair.<br />
In Wahrheit gehe es darum, humanitäre<br />
Arbeit zu kriminalisieren. Es<br />
gehe der griechischen Polizei und<br />
Justiz darum, dass die Helfer nicht<br />
unabhängig agieren dürften, sondern<br />
den Behörden zuarbeiten sollen,<br />
sagt er,sich ihnen unterwerfen.<br />
Sara Mardini am Mittwoch in ihrem College in Pankow.<br />
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />
Nach ihrer Festnahme im August<br />
war Mardini zunächst auf der Polizeistation<br />
von Lesbos untergebracht.<br />
In dem Raum habe es drei<br />
Betten gegeben, „sonst nichts“, erzählt<br />
sie. Immer, wenn sie auf die<br />
Toilette gehen wollte, habe sie<br />
darum bitten müssen. „In der Zeit<br />
war mein Bett mein Wohnzimmer,<br />
meine Bibliothek und mein Essraum<br />
–…auch eine Erfahrung.“ Aber eine,<br />
auf die sie gerne verzichtet hätte.<br />
Später, im Gefängnis in Athen,<br />
habe sie viel Kontakt zu Mitgefangenen<br />
gehabt. Man habe einander gestützt<br />
und Kraft gegeben. Mardinis<br />
Fazit: „Es mögen Kriminelle sein,<br />
aber es sind Menschen.“ Auch Personal<br />
und Anstaltsleitung seien<br />
freundlich gewesen und hätten sie<br />
respektvoll behandelt. Als sie sagte,<br />
„genau so wie hier auf dem College“,<br />
hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.<br />
Ernster wurde die junge Frau wieder,<br />
als sie über Lesbos erzählte: „Dort<br />
war es ganz anders.“<br />
Die Insel hat vor fast vier Jahren<br />
erstmals eine entscheidende Rolle in<br />
Sara Mardinis Leben gespielt. Das<br />
war 2015, als Hunderttausende<br />
Flüchtlinge in Europa landeten. Am<br />
12. August 2015 flogen Sara und ihre<br />
drei Jahre jüngere Schwester Yusra<br />
von Damaskus in die Türkei. Von<br />
dort setzten sie in einem Schlauchboot<br />
nach Lesbos über.Während der<br />
Überfahrt fiel der Außenbordmotor<br />
aus, das Boot drohte zu sinken. Die<br />
Schwestern–damals 17 und 20 Jahre<br />
alt – und weitere Flüchtlinge, die<br />
schwimmen konnten, zogen das<br />
Boot mit seinen 18 Insassen bis ans<br />
rettende Ufer.<br />
DieMardini-Schwesternwaren in<br />
Syrien Leistungsschwimmerinnen,<br />
sie gehörten der Nationalmannschaft<br />
an. Dennoch waren sie völlig<br />
erschöpft, als sie nach etwa dreieinhalb<br />
Stunden endlich festen Boden<br />
unter den Füßen spürten. Das Boot<br />
und die Leute darin waren gerettet.<br />
Von Lesbos gelangten die<br />
Schwestern über die Balkanroute<br />
nach Berlin. Die Sportlerinnen landeten<br />
bei denWasserfreunden Spandau<br />
04, die sie in ihrem Vereinsheim<br />
im Olympiaparkunterbrachten.<br />
Getrennte Karrieren<br />
Doch bald trennten sich ihre Wege.<br />
Während Sara den Sportaufgab und<br />
sich am Bard-College für Sozialwissenschaft<br />
einschrieb,blieb Yusradabei<br />
und machte eine märchenhafte<br />
Karriere. Sie startete für das Flüchtlingsteam<br />
des IOC bei Olympia 2016<br />
in Rio de Janeiro. Tokio 2020 ist ihr<br />
nächstes Ziel.<br />
Der Flüchtlingshilfe bleiben<br />
beide Schwestern treu. Yusra wurde<br />
UN-Sonderbotschafterin für Flüchtlinge,<br />
Anfang dieses Jahres erschien<br />
ihre Biografie „Butterfly“. Sara entschied<br />
vor einem Jahr, mit dem Studium<br />
zu pausieren, um nach Lesbos<br />
zu gehen. Um zu helfen. Jetzt ist sie<br />
zurück in Berlin, ihrer zwischenzeitlichen<br />
Heimat.<br />
Die Linke will kein Hotel<br />
am Checkpoint Charlie<br />
Fraktion positioniert sich zu umstrittenen Bauplänen<br />
VonAnnika Leister<br />
Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus<br />
hat erstmals ein Positionspapier<br />
zu den hoch umstrittenen<br />
Bebauungsplänen am Checkpoint<br />
Charlie beschlossen. In mehreren<br />
Punkten listet die Fraktion ihreVorstellungen<br />
für den geschichtsträchtigen<br />
und stark frequentierten Platz<br />
auf. Neu darin sind vor allem zwei<br />
Punkte: Erstens fordert die Linksfraktion<br />
„Transparenz über die Finanzierungsquellen<br />
jedes potenziellen<br />
Investors“ –und zwar über die<br />
bisher zur Überprüfung der Investorenzur<br />
Verfügung stehenden Instrumente<br />
hinaus. „Wir müssen über<br />
eine neue Qualität der Investorengeflechte<br />
sprechen, wir müssen über<br />
neue Formen der Geldwäsche reden“,<br />
sagt Katalin Gennburg, linke<br />
Sprecherin für Stadtentwicklung,<br />
„das heißt, wir brauchen auch bei<br />
der Durchleuchtung offensichtlich<br />
neue Kriterien und Instrumente“.<br />
„Wir wollen die<br />
Verkitschung<br />
dieses Gedenkortes<br />
verhindern.“<br />
Katalin Gennburg, Sprecherin für<br />
Stadtentwicklung (Linke)<br />
Wie die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> berichtete,<br />
steht hinter dem lange vom Senat<br />
präferierten Investor Trockland<br />
ein kompliziertes und weit verzweigtes<br />
Geflecht aus Firmen und Tochterfirmen,<br />
die teilweise mit der Familie<br />
eines Despoten verflochten<br />
sind: mit der des verstorbenen turkmenischen<br />
Staatschef Saparmurat<br />
Niyasov. Dass erst Investigativ-Recherchen<br />
vonJournalisten und nicht<br />
die Überprüfung der Finanzverwaltung<br />
dieseVerbindung zutage brach-<br />
ten, kritisiert Gennburg scharf: „Das<br />
müssen wir ändern.“<br />
Zweitens lehnt die Linke in ihrem<br />
Positionspapier den Bau eines Hotels<br />
oder anderer „Beherbergungsbetriebe“<br />
ab.InBerlin gebe es genügend<br />
Hotels,inder Innenstadt sogar<br />
so viele, dass sie nicht ausgelastet<br />
seien, heißt es. Die Verkehrslage in<br />
der angrenzenden Zimmerstraße,<br />
verkehrspolitisches Sorgenkind,<br />
würde ein Hotel außerdem verschlechtern.<br />
Gennburg: „Ein Hotel –<br />
noch dazu ein ,HardRock Hotel’–ist<br />
wesensfremd an diesem Ort. Wir<br />
wollen weitere Billig-Angebote und<br />
die Verkitschung dieses Gedenkortes<br />
verhindern.“<br />
Trockland zeigt sich auf Nachfrage<br />
der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> „überrascht<br />
über die plötzliche Kehrtwende“<br />
der Linken. Die Absichtserklärung<br />
zur Bebauung des Areals sei<br />
vondreiStaatssekretären der Senatsverwaltungen<br />
unterschrieben worden,<br />
teilte eine Sprecherin mit. Zwei<br />
dieser Senatsverwaltungen –Stadtentwicklung<br />
und Wohnen sowie Kultur<br />
–seien mit Senatoren der Linksfraktion<br />
besetzt. „Was sagt das über<br />
die rechtliche Verlässlichkeit und<br />
Planungssicherheit eines <strong>Berliner</strong><br />
Senats aus?“, fragt die Sprecherin.<br />
Gennburgsieht das Problem hingegen<br />
beim Investor. Die Absprachen<br />
mit der Verwaltung in Form eines<br />
sogenannten „Letter of intent“<br />
seien nicht zwangsweise bindend,<br />
der demokratische Prozess im Parlament<br />
folge erst später. Das solle jedem<br />
Investor auch bewusst sein.<br />
„Man kann nicht mit Geheimverträgen<br />
mit der Verwaltung Fakten<br />
schaffen“, so Gennburg. Wenn es öffentlichen<br />
Diskussionsbedarf, neue<br />
Informationen und neue Einwände<br />
gebe, dann müsse darüber gesprochen<br />
und danach gehandelt werden.<br />
Trockland wollte rund um den<br />
Checkpoint ursprünglich einen<br />
Komplex mit Wohnungen, Geschäften,<br />
Büros und einem „Hard Rock<br />
Hotel“ mit knapp 400 Zimmern<br />
bauen. Dagegen gibt es seit Wochen<br />
massiven Protest.<br />
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