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Berliner Zeitung 13.12.2018

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 291 · D onnerstag, 13. Dezember 2018 23 *<br />

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Feuilleton<br />

Erst einmal zuhören<br />

Die französisch-marrokanische Autorin Leila Slimani widmet sich in ihrem Reportageband „Sex und Lügen“ der Lage der Frauen in ihrem Geburtsland<br />

VonSchayanRiaz<br />

Mit „Dann schlaf auch<br />

du“ gelang der französisch-marokkanischen<br />

Schriftstellerin<br />

Leila Slimani der internationale<br />

Durchbruch. Auf eine raffinierte Art<br />

undWeise behandelte sie mit diesem<br />

Roman um ein Kindermädchen<br />

große bürgerliche Themen wie Erziehung,<br />

Klasse oder Rasse. Liest<br />

man die ersten paar Sätze, dann ist<br />

es unmöglich, das Buch einfach so<br />

zur Seite zu legen. „Das Baby ist tot.“<br />

Oder:„DieKleine dagegen war noch<br />

am Leben, als die Sanitäter kamen.“<br />

Regisseure wie Alfred Hitchcock<br />

oder Henri-Georges Clouzot hätten<br />

diesen Stoff vielleicht verfilmt. Leila<br />

Slimani begibt sich in die tiefsten Abgründe<br />

und je düsterer die von ihr<br />

kreierte Welt ist, desto sachlicher<br />

wirdihreSprache.<br />

DieAutorin hat ein gutes Auge und<br />

ein noch besseres Gehör. Beides<br />

kommt ihr für das journalistische<br />

Sachbuch „Sex und Lügen“ zugute.<br />

Als Reporterin reist Slimani durch ihr<br />

Geburtsland Marokko und interviewt<br />

eine ganze Reihe von Frauen und<br />

Mädchen zu vermeintlichen Tabuthemen<br />

wie Sexund Jungfräulichkeit.<br />

Außerdem spricht sie mit ihnen über<br />

die Liebe, über Ehe und Affären. Es<br />

kommen Menschen zu Wort,die sehr<br />

verschiedene Erfahrungen schildern.<br />

Mit„Sex und Lügen“ entsteht ein<br />

diverses und vor allem authenti-<br />

Die französisch-marrokanische Schriftstellerin Leila Slimani<br />

sches Bild einer Region, das man<br />

hierzulande aufgrund einer zumeist<br />

auf das Religiös-Politische bezogenen<br />

Berichterstattung kaum zu sehen<br />

bekommt. Und imGefolge der<br />

MeToo-Debatte ist dieses Buch eine<br />

essenzielle Lektüre. Slimani macht<br />

mit ihren Interviews genau das, was<br />

die Debatte von Anfang an vorurteilslos<br />

propagiert: Man muss<br />

Frauen (und auch Männern), die sexuell<br />

belästigt oder missbraucht<br />

wurden, erst einmal nur zuhören.<br />

Eine Frau namens Zhor spricht<br />

die in der Gesellschaft verankerte<br />

Doppelmoral an: „In diesem Land<br />

kannst du nicht anziehen, was du<br />

willst, obwohl überall Werbeplakate<br />

mit halb nackten Frauen hängen.“<br />

DieJournalistin und Kolumnistin Sanaa<br />

el Aji versteht nicht, warum man<br />

schockiert ist, „wenn Frauen unanständige<br />

Worte benutzen, während<br />

die Männer einen auf der Straße auf<br />

schier unfassbare Weise beschimpfen.“<br />

Asma Lamrabet, eine feministische<br />

Theologin, sieht Misogynie<br />

nicht als rein muslimisches Problem:<br />

„Ich wundere mich immer wieder<br />

darüber, dass es nach wie vor diese<br />

ethnologische Lesart gibt. Meiner<br />

Ansicht nach ist in Sachen Sexualität<br />

eine Religion so gut wie die andere.“<br />

VALERIE MACON<br />

Und auch Männer sprechen mit<br />

Leila Slimani, wie der Polizist Mustapha.<br />

Seine Tochter darfausgehen, so<br />

oft sie möchte.<br />

Die Autorin tritt in diesen differenzierten<br />

Gesprächen nicht als<br />

emanzipierte Auswanderin auf, sie<br />

geht ehrlich interessiert auf die Sorgen<br />

und Ängste ihrer Mitmenschen<br />

ein. Sie möchte ihnen eine transparente<br />

Plattform bieten. Es gibt nicht<br />

die eine richtige Lösung, so wie auch<br />

in anderen Ländern nicht. Slimani<br />

schreibt, dass das Festhalten an traditionellen<br />

Werten und das Streben<br />

nach Modernität die Gesellschaft<br />

zerreißt. Klar,ein Wandel wäreangebracht,<br />

aber wo setzt man hierfür an?<br />

Wieumgeht man diese Spannung?<br />

Zeitgleich zur Veröffentlichung<br />

von„Sexund Lügen“ ist die vonLaetitia<br />

Coryn gezeichnete Graphic Novel„Hand<br />

aufs Herz“erschienen. Sie<br />

greift die wichtigsten Themen aus<br />

dem Sachbuch auf, obwohl man<br />

beim Lesen von „Sex und Lügen“<br />

nicht unbedingt denekn würde,dass<br />

dieser Stoff eine Graphic-Novel-<br />

Adaption nötig hat. Überhaupt ist<br />

vieles in dieser illustrierten Version<br />

überflüssig. Dadurch, dass Slimanis<br />

Gespräche bebildert werden (und<br />

auch sie als „Figur“ erscheint), verliertvieles<br />

an Tiefe.Was insofernironisch<br />

ist, da man ja annehmen<br />

könnte, dass manche Interviews<br />

durch grafische Elemente stärker<br />

wahrgenommen werden. Am Ende<br />

muss man feststellen, dass es zwar<br />

eine originelle Idee,aber letztlich ein<br />

gescheitertes Experiment ist. Ganz<br />

im Gegenteil zum Ausgangstext.<br />

LeilaSlimani Sexund Lügen. Ausdem<br />

Französischen vonAmelie Thoma. btb,München<br />

2018. 208 Seiten, 12 Euro.<br />

Leila Slimani,Laetitia Coryn „Hand aufsHerz“.<br />

Ausdem Französischenvon Kerstin Behre.<br />

Avant,Berlin 2018. 108 S.,25Euro.<br />

Die Mauer<br />

und ihr Wandel<br />

Der <strong>Berliner</strong> Fotokünstler Manfred Uhlenhut ist tot<br />

VonIngeborg Ruthe<br />

Lange Zeit ließ er sich nichts anmerken,<br />

das muss ihn unglaubliche<br />

Kraft gekostet haben: Als der<br />

<strong>Berliner</strong> Verlag Knesebeck vor neun<br />

Jahren das Fotobuch „Als die Mauer<br />

fiel“ herausbrachte, wussten die<br />

meisten Betrachter der Fotos in dem<br />

Band sowie die Leser der dazugehörigen<br />

berührenden, verrückten Geschichten<br />

nicht, dass der Fotokünstler<br />

Manfred Uhlenhut längst unheilbar<br />

an Parkinson erkrankt war. Nun<br />

kam die Nachricht, dass er bereits<br />

am Freitag im Alter von77Jahren gestorben<br />

ist.<br />

Fast noch bis zur Drucklegung<br />

des Mauer-Bildbandes war er mit<br />

der Kamera unterwegs, schon geschwächt<br />

und gehandicapt vondem<br />

Leiden. Noch der letzte Rest des Betonmonstrums<br />

des Kalten Krieges<br />

interessierte ihn, die Spuren und Zeichen<br />

darauf, die Geschichten dazu,<br />

schlimme, tragische, komische. Und<br />

das Danach. Plötzlich waren Areale<br />

und Landschaften von Berlin bis<br />

Potsdam zugänglich, die 40 Jahre<br />

lang verbotenes,ja, tödliches Terrain<br />

gewesen waren. Aufeinmal entstand<br />

an diesen Nicht-Orten, im Niemandsland,<br />

im Todesstreifen neues,<br />

ziviles Leben, es wurde gebaut, bepflanzt<br />

–und markiertfür das kollektiveGedächtnis.<br />

Der inMagedburg geborene Uhlenhut,<br />

in den 70er-Jahren zum Fotografiker<br />

ausgebildet von Werner<br />

Tübke an der Leipziger Hochschule<br />

für Grafik und Buchkunst, hatte da<br />

schon eine Laufbahn als Bildreporter<br />

beim Neuen Leben, bei <strong>Zeitung</strong>en<br />

und Magazinen des Ostens hinter<br />

sich. Schon zu DDR-Zeit schätzten<br />

Redaktionen seinen besonderen<br />

Blick, das Alltags-Poetische seiner<br />

Bilder,die immer einen Subtext mitlieferten.<br />

Nach dem Mauerfall arbeitete er,<br />

zusammen mit seiner Frau, der Fotografin<br />

Inge Uhlenhut, für „Grünstift“,<br />

Berlins Naturschutzmagazin<br />

als freier Fotokünstler. Porträts,<br />

Landschaften, der ständige Wandel<br />

des Lebens und seiner Umgebung<br />

waren seine Motive. Dasbleibt.<br />

Für2019 bereitet Glashaus e.V., Brotfabrik am<br />

CaligariplatzinPrenzlauerBerg eine große<br />

Gedenkausstellung mit der ganzen Bandbreite<br />

vonManfred Uhlenhuts Fotokunst vor.<br />

VERANSTALTUNGSTIPP<br />

Militär- und Blasmusik<br />

kommt nach Berlin<br />

MUSIKPARADE – Europas größtes Tournee in der Max-Schmeling-Halle<br />

Neues Programm 2019: Mehr als 400 Musiker aus sieben Nationen<br />

Manfred Uhlenhut 1967 auf einer Baustelle am Alexanderplatz.<br />

PRIVAT/INGE UHLENHUT<br />

Berlin – Die MUSIKPARADE kommt mit neuen<br />

Orchestern und neuer Show in die Max-Schmeling-Halle.<br />

Am Samstag den 23. Februar 2019<br />

(Beginn 15.30 Uhr) präsentieren mehrere Hundert<br />

Künstler das europaweit einzigartige Livemusik-Spektakel<br />

der Blasmusik: Sieben Orchester<br />

aus verschiedenen Nationen zeigen ein<br />

Programm mit Titeln von Military über Klassik<br />

oder Swing bis hin zu Rock und Pop: Klassische<br />

Märsche sind ebenso vertreten wie aktuelle<br />

Songs von Bon Jovi, Rihanna, Helene Fischer<br />

und vielen anderen.<br />

Mit jährlich mehr als 100.000 Besuchern ist die<br />

MUSIKPARA DE die größte und erfolgreichste<br />

Tournee ihrer Art.<br />

Pipes and Drums<br />

Wie in den schottischen Highlands dürften sich<br />

Fans der Dudelsackmusik fühlen: Dutzende Pipes<br />

and Drums nehmen an der MUSIKPARADE<br />

teil, die sich somit an das Edinburgh-Tattoo in<br />

Schottland anlehnt und eine einzigartige Präsentation<br />

schottischer Musik ist. Neben den Dudelsackspielern<br />

stehen die internationalen Stars der<br />

Blasmusik im Mittelpunkt der Show, von denen<br />

viele durch zahlreiche TV-Auftritte nicht nur Kennern<br />

ein Begriff sind.<br />

Beeindruckendes Finale mit 400 Künstlern<br />

Höhepunkt ist das große Finale, bei dem sich alle<br />

Teilnehmer zum Orchester der Nationen vereinen,<br />

um gemeinsam zu musizieren – neben Klassikern<br />

wie Amazing race oder dem Radetzky<br />

Marsch gibt es auch ganz aktuelle Hits. Die<br />

Besucher der MUSIKPARADE 2019 erwartet in<br />

der rund dreistündigen Show, neben fesselnden<br />

horeograen und beeindruckenden Uniformen,<br />

eine überaus anspruchsvolle, moderne Livemusik-Show<br />

rund um die Blasmusik – ein Feuerwerk<br />

an Musik und Farben.<br />

TICKETS<br />

Tickets ab 33 Euro zzgl. ebühren gibt es bei<br />

allen bekannten VVK-Stellen, ohne VVK-ebühr<br />

nur direkt unter Tel. 0441-2050920 sowie<br />

www.musikparade.com

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