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Berliner Zeitung 24.06.2019

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10 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 143 · M ontag, 24. Juni 2019<br />

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Stadtgeschichte<br />

Blick vom Turm des<br />

Alten Stadthauses<br />

auf die Ruinen des<br />

Grauen Klostersim<br />

Jahr 1949: Rechts<br />

die Franziskaner-<br />

Klosterkirche<br />

(dahinter das Amtsgericht),<br />

links die<br />

Reste von Refektorium<br />

und Kapitelsaal,<br />

die vom Gymnasium<br />

genutzt worden<br />

waren. Im Hintergrund<br />

links gut<br />

zu erkennen das<br />

Berolinahaus am<br />

Alexanderplatz.<br />

LANDESARCHIV BERLIN<br />

Campus Klosterviertel<br />

Das nächste historische Quartier wartet auf Gestaltungsvorschläge. Das Pläneschmieden für das Areal um die Ruine der Franziskaner-Klosterkirche beginnt<br />

VonMaritta Tkalec<br />

Mitleiderregend liegt seit<br />

Jahrzehnten die Franziskaner-Klosterkirche<br />

abgeschnitten von ihrem<br />

angestammten Stadtraum neben<br />

der Verkehrsschneise Grunerstraße.<br />

Zwar umgeben schöne alte<br />

Bäume gnädig die 700 Jahre alten<br />

Backsteinmauern, doch die menschenfeindliche<br />

Trasse aus Zeiten der<br />

autogerechten Stadt wirkt als Sperrzone<br />

gegen Bürgerkontakt.<br />

Museum? Schule? Grünanlage?<br />

Nichts mehr ist vondem gesellschaftlichen<br />

Zentrum Berlins zu spüren,<br />

das hier über Jahrhunderte lag, eines<br />

der ältesten und lebendigsten Viertel.<br />

„Immer zentral für die Stadtgesellschaft“<br />

sei es gewesen, sagt der <strong>Berliner</strong><br />

Landesarchäologe Matthias<br />

Wemhoff. Das lag zuerst an den zeitweise<br />

400 bis 500 Barfüßermönchen<br />

des Franziskaner-Bettelordens und<br />

nach der Reformation an der Präsenz<br />

des Gymnasiums zum Grauen Kloster.Dortlernte<br />

bis in die 1940er-Jahre<br />

die Elite Berlins: Friedrich Ludwig<br />

Jahn, Emil Rathenau, Karl Friedrich<br />

Schinkel, Otto von Bismarck gingen<br />

dort neben vielen anderen Prominenten<br />

zur Schule. Am3.April 1945<br />

wurde die Klosterkirche zerstört, die<br />

Ruine dann als Mahnmal gesichert.<br />

Die Trümmer der umliegenden Gebäude<br />

ließ die DDR-Politik nach 1950<br />

abräumen.<br />

Schwer zu glauben, dass wieder<br />

Lebens in das allzu stille Klosterviertel<br />

zieht –doch es wird geschehen.<br />

Diepolitischen Beschlüsse fielen vor<br />

mehr als 15 Jahren, doch jetzt wirdes<br />

langsam ernst –zumindest für die<br />

Planer. Die archäologischen Großausgrabungen<br />

in der unmittelbaren<br />

Nachbarschaft des Klosterviertels<br />

beginnen; dann wird am Molkenmarkt<br />

ein Stadtquartier entstehen<br />

und die Umgebung der Klosterruine<br />

erheblich verändern.<br />

Was wird dann aus diesem Ort<br />

mit seinen vielen historischen<br />

Schichten? Wie geht man mit der<br />

Ruine um? Sichern, so wie sie ist?<br />

Ganz oder teilweise wieder aufbauen<br />

und als Ausstellungsraum für die vielen<br />

wertvollen Objekte –Gemälde,<br />

Grabmale, Bücher aus dem Gymnasium<br />

–herrichten, die derzeit verstreut<br />

in der Stadt lagern? Soll dort<br />

wieder eine Schule entstehen? Oder<br />

soll man die Grünanlage erhalten?<br />

Die Komplexität des Ortes erfordert<br />

die Kooperation vieler Beteiligter.<br />

Ein wissenschaftliches Kolloquium<br />

bildete kürzlich einen ersten<br />

Höhepunkt der Wissenssammlung<br />

und Ideenfindung. Kultursenator<br />

Klaus Lederer (Linke) und Mitte-Kulturstadträtin<br />

Sabine Weißler (Grüne)<br />

steckten den politischen Rahmen,<br />

bekundeten den Willen, Geschichte<br />

wieder erfahrbar zu machen, den Ort<br />

aus dem Schatten zu holen, der<br />

Ruine Respekt zu zollen. Klaus Lederer<br />

nannte die mittelalterlichen<br />

800 JAHRE FÜR MÖNCHE UND SCHÜLER<br />

1250 1539 1945<br />

• • •<br />

Nur 40 Jahre nach der Gründung<br />

des Ordens der Minderen<br />

Brüder durch Franziskus<br />

vonAssisi entstand in Berlin<br />

die erste Franziskaner-Klosterkirche<br />

als Feldsteinbau,<br />

der bald als Backsteinbasilika<br />

erweitertwurde.<br />

Reste „den Höhepunkt des Quartiers“.<br />

Sabine Weißler sprach davon,<br />

„der Aura des Ortes“ durch künstlerische<br />

Nutzung nachzuspüren.<br />

So schön, so allgemein. Manfred<br />

Kühne, Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung<br />

für Stadtentwicklung<br />

und Wohnen, äußerte sich konkreter<br />

und ließ die Richtung erkennen: Den<br />

bislang geltenden Bebauungsplan<br />

nannte er „grob und holzschnittartig“.<br />

Seit er beschlossen wurde,hätten<br />

sich die Bedingungen „drastisch verändert“<br />

–Historiker, Denkmalschützer<br />

und Stadtplaner hätten neue<br />

Spielregeln für den Umgang mit historischen<br />

Orten erarbeitet. Es gelte<br />

nun: Geschichte erkennen, die Archäologie<br />

in eine zentrale Position<br />

bringen. Die Diskussion um das<br />

21 Jahre dauerte es vonder<br />

Verbreitung der Luther’schen<br />

Thesen 1518, bis sich in<br />

Brandenburg die Reformation<br />

durchsetzte. Das Kloster<br />

wurde aufgelöst, 1574 öffnete<br />

das Berlinische Gymnasium<br />

zum Grauen Kloster.<br />

Am 3. April, ganz kurz vor<br />

Kriegsende, fielen Bomben<br />

auf Kirche und Schulgebäude,<br />

die Kirchenruine<br />

wurde gesichert, die anderen<br />

Trümmer räumte man ab.<br />

Seither umgibt eine Grünanlagedie<br />

letzten Klosterreste.<br />

Graue Kloster halte das noch nicht<br />

ein, findet Manfred Kühne. Die abstrakte<br />

Entwicklung von bloßen Baukörpern<br />

führe indie Irre, und wenn<br />

Archäologen zeigen, dass ein Ort anderePotenziale<br />

habe als Rasen, dann<br />

müssten neue Ideen her.„DieAuseinandersetzung<br />

mit den Zukunftspotenzialen<br />

steht noch bevor“, sagte<br />

Kühne und fügte hinzu:„Das steht einer<br />

kreativen Stadt gut.“<br />

Diese Sichtweise öffnet interessante<br />

Aussichten. So läuft es wohl<br />

darauf hinaus, dass der Bebauungsplan,<br />

der ein Gymnasium vorsieht,<br />

im Sinne eines offenen Wissenschafts-<br />

und Bildungskonzeptes geändert<br />

wird. „Vielleicht kann man<br />

eine Art Campus entwickeln“, überlegt<br />

Manfred Kühne.Nach guter <strong>Berliner</strong><br />

Art seien auch Zwischennutzungen<br />

denkbar – „mit Schülern,<br />

Märkischem Museum, Nostalgikern<br />

und Superkreativen“.<br />

Amtsentsprechend zurückhaltend<br />

ist Landeskonservator Christoph<br />

Rauhut, Chef des Landesdenkmalamtes.<br />

Erpräferiert eine sanfte<br />

Nutzung des Areals, also eher Kunst<br />

und Erholung –das sei womöglich<br />

besser für die Wahrnehmung des<br />

Mahnmals Franziskanerkirche. In<br />

den 70 Jahren ihrer Existenz als<br />

Ruine stecke auch schon wieder eine<br />

neue,zuerhaltende Zeitschicht. Sein<br />

Votum: „Weite Perspektive vor kurzenIdeen.“<br />

Die weite Perspektive wählten<br />

auch die meisten der vortragenden<br />

Experten. Leidenschaftlich rief der<br />

Mittelalterforscher Heinz-Dieter<br />

Heimann die grenzübergreifende,<br />

europaweite und bis in die Gegenwartwährende<br />

Wirkung der Franziskanerbewegung<br />

in Erinnerung. Er<br />

beschrieb die enge Wechselbeziehung<br />

zwischen der Stadt, ihren Bürgern<br />

und den seelsorgenden, asketischen<br />

Mönchen und stellte einige<br />

der überkommenen Kunstwerke vor.<br />

Sein Plädoyer: Es solle ein Museum<br />

geben für das franziskanische Wirken<br />

am Ort.<br />

Naturgemäß sprach man viel<br />

über das Gymnasium zum Grauen<br />

Kloster –über die im 19. Jahrhundert<br />

neu einsetzende Wertschätzung für<br />

die gotische Backsteinarchitektur<br />

und die Aufwertung des historischen<br />

Schulkomplexes durch Stadtbaumeister<br />

Ludwig Hoffmann (1852-<br />

1932). DerBaugeschichtler Wolfgang<br />

Schäche erinnerte an Hoffmanns<br />

1945 zerstörte bemerkenswerte Bauten<br />

wie das Direktorenwohnhaus<br />

und vor allem an die einzigartige<br />

Turnhalle mit Giebel im Stil hanseatischer<br />

Backsteingotik, fast wie St.<br />

Nikolai in Stralsund. Vom„Lächeln<br />

des Wilhelminismus“ war im Zusammenhang<br />

mit den Hoffmann’schen<br />

Bauten die Rede.<br />

Bloß kein banaler Beton<br />

Schließlich inspirierte der Historiker<br />

Guido Hinterkeuser mit Beispielen<br />

für den Umgang mit Ruinen, zeigte<br />

romantische Stimmungsträger à la<br />

Caspar David Friedrich, Kriegstrümmer<br />

mit Teilrekonstruktionen und<br />

modernen Ergänzungen.<br />

Das Wissen um das Vergangene<br />

wendete Manfred Kühne in die Zukunft:<br />

Er teilte mit, dass die Stadt soeben<br />

ein „furchtbares“ Gebäude an<br />

der Klosterstraße, derzeit Sitz eines<br />

IT-Unternehmens, gekauft habe.<br />

Dort müssten keineswegs (nur) Verwaltungen<br />

einziehen. Denn im Klosterviertel<br />

könne ein Wegmit „völlig<br />

neuen Qualitäten“ entstehen. Er soll<br />

vom wieder erstehenden Jüdenhof,<br />

vorbei an Kloster- und Parochialkirche<br />

über eine neueWaisenbrücke bis<br />

zum Märkischen Museum reichen.<br />

Ein solcher historischer Pfad würde<br />

scheitern, wenn dort banale Betonteile<br />

herumstehen. Hört, hört!<br />

DAS IST<br />

DAS WAR<br />

DAS KOMMT<br />

Brose-Haus<br />

Deutscher Soldatensender 953<br />

Über Thälmann<br />

Das Domizil des Freundeskreises der Chronik Pankow<br />

e.V. trägt den Namen vonChristian Wilhelm Brose (1781-<br />

1870), ein <strong>Berliner</strong> Bankier,der seit 1811 in Niederschönhausen<br />

eine Gesprächsrunde von <strong>Berliner</strong>n versammelte,<br />

darunter Beuth, die Brüder Gropius etc., und die<br />

Gemeinde beträchtlich unterstützte. Mit Hilfe Schinkels<br />

gestaltete er ein Bauensemble von Herren- und Gartenhäuschen<br />

um. Nur ein Haus überdauerte den Zweiten<br />

Weltkrieg, wurde nach der Wende aus dem Siechtum errettet<br />

und steht nun als Juwelinder Dietzgenstraße 42.<br />

Brose-Haus, ehemals Küster-Palm-Haus, heute Vereinshaus, geöffnet immer<br />

mittwochs und sonntags 14 bis 17 Uhr<br />

Im Funkhaus Grünau an der Regattastraße 267 arbeitete<br />

zehn Jahre lang ein propagandistischer Hörfunksender<br />

der DDR, der laut Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates<br />

vom 15. Juni 1960 die Angehörigen der Bundeswehr<br />

ideologisch beeinflussen sollte. Von 1960 bis<br />

1972 wurde der Geheimsender auf Mittelwelle Burg 935<br />

kHz betrieben. Obwohl er sich gen Westen richtete,hörten<br />

Jugendliche in Teilen des Bezirks Halle den Sender<br />

gern –nicht wegen seiner DDR-Propaganda, sondern<br />

weil er für die West-Soldaten attraktive Musik brachte,<br />

zum Beispiel die Hitparade um 18.50 Uhr. DieRedaktion<br />

in Grünau arbeitete unter perfekter Tarnung: Im selben<br />

Haus hatte der Ruderclub ZSK Vorwärts Berlin (später<br />

ASK Vorwärts) seinen Sitz –die Studios waren als Bootshaus<br />

getarnt. Im Erdgeschoss arbeiteten zwei Studios mit<br />

entsprechender Technik, in der oberen Etage lagen Redaktionsräume.<br />

Wer an den Sender schreiben wollte,<br />

richtete sich an die Tarnadressen Werner Schütz (oder:<br />

Kathrin Jäger), Berlin W8,Postfach 116. Werner und<br />

Kathrin –sonannten sich zwei der Moderatoren. Diese<br />

Artder psychologischen Kriegsführung passte bald nicht<br />

mehr zur Entspannungspolitik: Am 30. Juni 1972 um 24<br />

Uhr machte der Deutsche Soldatensender unvermittelt<br />

Schluss. Ein halbes Jahr waren die Mitarbeiter noch mit<br />

der Spurenbeseitigung beschäftigt. Etliche Journalisten<br />

wechselten zum Fernsehen der DDR. (mtk.)<br />

Das Ernst-Thälmann-Denkmal am Ernst-Thälmann-<br />

Park ist immer wieder in den Schlagzeilen. Während die<br />

Jugendorganisation der FDP eine symbolische Sprengung<br />

initiieren wollte, hat die Bezirksverordnetenversammlung<br />

Pankow einen Wettbewerb ausgelobt, der<br />

Vorschläge zur Kommentierung des Denkmals entwickeln<br />

soll und ein Kolloquium zu Denkmal und Park organisiert.<br />

Zum 75. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns<br />

wird bei einer Führung an Geschichte und Zukunft<br />

vonDenkmal und Park erinnert.<br />

Thälmann-Park und Arbeiterwiderstand. Führung u.a. mit York Rieffel<br />

(Landesdenkmalamt), 29. Juni, 14 Uhr,Ernst-Thälmann-Denkmal

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