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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 143 · M ontag, 24. Juni 2019<br />
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Feuilleton<br />
Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft<br />
Das Goethe-Institut fragte beim diesjährigen Kultur-Symposium in Weimar nach Autonomie und Orientierung<br />
VonHarry Nutt<br />
WennesanKlarheit und<br />
Überblick mangelt,<br />
helfen vielleicht Affen<br />
weiter. Sodurfte man<br />
den Vortrag des Leipziger Schimpansen-Forschers<br />
Roman Wittig verstehen,<br />
der im Rahmen des dreitägigen<br />
Kultursymposiums des Goethe-Instituts<br />
in Weimar einen Eindruck davon<br />
vermittelte, wie Schimpansen die<br />
Welt sehen. Das darf man sich nicht<br />
tierisch einfach vorstellen.<br />
Wittig, der an der Elfenbeinküste<br />
das Tai-Schimpansen-Forschungsprojekt<br />
leitet, führte vielmehr ein in<br />
eine komplexe Primatengesellschaft,<br />
in der Gemeinschaften gebildet,<br />
aber auch wieder aufgelöst werden.<br />
Kooperationen und strategische<br />
Partnerschaften, wohin man<br />
schaut. Außerdem verstehen sich<br />
Schimpansen auf die Kunst der Fellpflege,<br />
die nicht nur der Körperhygiene<br />
dient, sondern ganz entschieden<br />
zum sozialen Wohlempfinden<br />
beiträgt. Freundschaften werden<br />
vertieft und bestätigt, und als wichtiges<br />
Instrument sozialer Interaktion<br />
verweist sie auf den die Gattung stabilisierenden<br />
Zusammenhang von<br />
Freundschaft und Gesundheit. Fellpflege<br />
verschafft Weltvertrauen.<br />
Kommunikation und Fremdheit<br />
Im Kontext derWeimarer Tagung unter<br />
dem Titel„Die Route wirdneu berechnet“,<br />
zu der das Goethe-Institut<br />
rund 70 Referenten und über 300<br />
Teilnehmer aus zahlreichen Ländern<br />
eingeladen hatte, stellte das Affenbeispiel<br />
eine Art Erweiterung des<br />
Blickfelds dar. Wer nach Orientierung<br />
sucht, sollte Abschweifung und<br />
Assoziation nicht scheuen. Und so<br />
ging es unmittelbar nach der Affenexkursion<br />
auf einem Schriftsteller-<br />
Panel um die Rolle vonVerlorenheit<br />
als Ausgangspunkt und Topos der Literatur.Wer<br />
vollends mit sich im Reinen<br />
ist, für den stellt Schreiben eine<br />
Möglichkeit, aber keinen inneren<br />
Drang dar. Für den israelischen<br />
Schriftsteller Assaf Gavron geht es<br />
indes auch darum, eine stets mitschwingende<br />
Angst vor der Leere zu<br />
füllen, so gern ersie in Form einer<br />
Landschaft oder eines Strandes auch<br />
genießen mag. Die chinesische<br />
Schriftstellerin Jjngfang Hao hat<br />
stets die anderen im Blick, denen sie<br />
ihreWelt erklären will, und für die in<br />
Simbabwe geborene und in Südafrika<br />
aufgewachsene Schriftstellerin<br />
Panashe Chigumadzi stellt sich<br />
die Orientierungsfrage gleich mehrfach.<br />
Obwohl ihre Muttersprache<br />
das lokale Shona war,schreibt sie auf<br />
Englisch. Die Fremdheitserfahrung<br />
„Die Route wird neu berechnet“, so betitelte das Goethe-Institut sein Weimarer Kultur-Symposium<br />
ist so gesehen impliziter Bestandteil<br />
der kommunikativen Mitteilung.<br />
Autonomie, Orientierung, Regression<br />
und digitale Ökonomie lauteten<br />
die übergeordneten Arbeitsbegriffe<br />
der Tagung, und die vielfältige<br />
Zusammensetzung der Podien verwies<br />
nicht zuletzt darauf, dass Orientierungsarbeit<br />
auch in der Bereitschaft<br />
zum Perspektivwechsel besteht.<br />
Das Netzwerk des Goethe-Instituts<br />
bietet dazu beste<br />
Voraussetzungen. Es ist immer wieder<br />
beeindruckend, wie die Mittlerorganisation<br />
es versteht, vielsprachige,multi-ethnische,interdisziplinär<br />
arbeitende und oft auch sehr<br />
junge Intellektuelle zusammenzuführen.<br />
Das Treffen in Weimar<br />
konnte man denn auch als Plädoyer<br />
verstehen, nicht immer auf dieselben<br />
Experten zurückzugreifen.<br />
Das Tagungsmotto „Die Route<br />
wird neu berechnet“ erlaubte mindestens<br />
zwei Sichtweisen, die danach<br />
verlangten, miteinander abgeglichen<br />
zu werden. Nichts scheint<br />
angesichts einer allgemeinen Desorientierung<br />
in Politik, Wirtschaft<br />
und Lebenswelt derzeit dringlicher<br />
als der Wunsch nach Neuausrichtung.<br />
Gleichzeitig wächst das Unbehagen,<br />
längst ein Spielball vielfältiger<br />
Neuberechnungen zu sein, in der<br />
der Einzelne kaum mehr ist als eine<br />
Nichts scheint angesichts der Desorientierung<br />
in Politik, Wirtschaft und Lebenswelt dringlicher<br />
als der Wunsch nach Neuausrichtung.<br />
Gleichzeitig wächst das Unbehagen, Spielball<br />
von Neuberechnungen zu sein, in denen der<br />
Einzelne nur eine vermessene Größe ist.<br />
vermessene Größe. Unter der Herrschaft<br />
der Algorithmen wird alles<br />
permanent neu berechnet, und das<br />
Bedürfnis nach gesellschaftlicher<br />
Kontrolle erweist sich dabei als eine<br />
längst abgeschriebene Illusion.<br />
Auf erschütternde Weise wurde<br />
dies deutlich in den Vorträgen und<br />
Diskussionen über sogenannte Killerroboter,<br />
die als autonome Waffen<br />
die Vorstellungswelt des Science Fiction<br />
vor geraumer Zeit verlassen haben.<br />
Ausgestattet mit digitaler Gesichtserkennung<br />
können menschliche<br />
Ziele mühelos ausfindig gemacht<br />
werden, und von den schlimmsten<br />
Befürchtungen gegenüber der Drohnentechnologie<br />
werden die Killerroboter<br />
noch dadurch übertroffen, dass<br />
sie keiner Menschen mehr bedürfen,<br />
die abdrücken.<br />
Vonder Öffentlichkeit weitgehend<br />
unbemerkt, verweigert die große<br />
IMAGO<br />
Weltpolitik eine klare Entscheidung,<br />
Waffensysteme dieser Art zuächten<br />
und zu verbieten. Der Rechtswissenschaftler<br />
Thompson Chengeta verwies<br />
auf die Schwierigkeit, die neuen<br />
Waffensysteme dem gültigen Kriegsrecht<br />
zu unterwerfen. Die Privatisierung<br />
des Krieges ist erschreckende<br />
Realität, und Russland, die USA, Australien<br />
und Israel bilden dabei eine<br />
unheimliche Koalition der Blockierer.<br />
Noel Sharkey, der britische Informatiker<br />
und Professor für Künstliche<br />
Intelligenz, forderte ausdrücklich<br />
Deutschland auf, sich an die Spitze<br />
einer internationalen Verbotsinitiative<br />
zusetzen. An der Einsicht des<br />
deutschen Außenamtes mangele es<br />
nicht. Aber da ein Verbot nicht als<br />
realistisch angesehen werde, habe<br />
Deutschland sich auf die Verhandlung<br />
ethischer Rahmenrichtlinien<br />
beschränkt. Laut Sharkey und dem<br />
australischen Wissenschaftsautor<br />
Toby Walsh eine fatale Sicht der<br />
Dinge.Esbleibe nicht mehr viel Zeit.<br />
Die Rolle der Zeit bei den Fragen<br />
jeglicher Neuorientierung war auch<br />
das Thema der beiden Stars der Weimarer<br />
Tagung, die sich auf sympathische<br />
Weise einfügten in das abwechslungsreiche<br />
Programm. Der<br />
indische Schriftsteller und Journalist<br />
Pankaj Mishra kam noch einmal auf<br />
die kritische Rezeption seines Bestsellers<br />
„Das Zeitalter des Zorns“ zurück,<br />
in dem er die weltweit zu einer<br />
politischen Kraft sich formierenden<br />
Hassgefühle als mentale Kompensation<br />
jener deutete,die im Prozess der<br />
Modernisierung zu spät gekommenen<br />
sind und ausgegrenzt wurden.<br />
Wir wachen, so Mishra, allmählich<br />
auf aus einer falsch verstandenen<br />
Aufklärung. Die Demokratie werde<br />
nicht gleich sterben, aber erstmals<br />
hätten die Menschen den Glauben<br />
an eine bessereZukunft aufgegeben.<br />
Eine Zukunft ohne Fakten<br />
Eine prinzipielle Zukunftslosigkeit<br />
markierte auch der amerikanische<br />
Historiker Timothy Snyder in einem<br />
zeittheoretischen Exkurs, dem er<br />
Nachdruck allein dadurch verlieh,<br />
dass er ihn rasend schnell vortrug.<br />
Der Demokratie, soseine Pointe, sei<br />
nach 1989 auf spektakuläre Weise<br />
der Raum abhandengekommen, der<br />
Aufenthalt in der digitalen Welt forciere<br />
eine radikale Gegenwärtigkeit,<br />
in der es nahezu unmöglich werde,<br />
eine Welt zu bewahren, in der Fakten<br />
zählen. Und während es den liberalen<br />
Demokratien an überzeugenden<br />
Zukunftsideen ermangele, machten<br />
die populistischen Bewegungen gar<br />
keinen Hehl daraus, die Zukunft zu<br />
verweigern. Auch Donald Trump beabsichtige<br />
nicht unbedingt, eine<br />
Mauer an der Grenze zuMexiko zu<br />
bauen. Es genüge ihm, vom Bau einer<br />
Mauer zu sprechen. Was alle<br />
rechtspopulistischen Gruppierungen<br />
eint, sei eine Art Ewigkeitsversprechen,<br />
das seine Energie durch<br />
Beschwörung des Nationalismus aus<br />
der Vergangenheit bezieht.<br />
Düstere Aussichten. Dem wollte<br />
die griechische Politikwissenschaftlerin<br />
Daphne Halikiopoulou bereits<br />
in der Eröffnungsveranstaltung<br />
nicht zustimmen. Sie beklagte eine<br />
historische Vergesslichkeit gegenüber<br />
den Phänomenen des europäischen<br />
Rechtspopulismus. Was derzeit<br />
wie eine plötzliche und in der<br />
Form noch nie dagewesene Bedrohung<br />
der Demokratie erscheint, hat<br />
eine Geschichte, die man erzählen<br />
und analysieren kann.<br />
Die Route wird neu berechnet. In<br />
der Weimarer Innenstadt für sie indes<br />
häufig über den Frauenplan, als<br />
sei eine derartige Verortung des<br />
Weiblichen bereits ein wichtiger Teil<br />
künftiger Navigation.<br />
Dieser Beitrag wurde unterstützt durch eine<br />
Einladung des Goethe-Instituts.<br />
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