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Berliner Zeitung 07.12.2019

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6 7./8. DEZEMBER 2019<br />

Lisbeth<br />

Salander<br />

ist zu<br />

stark<br />

für mich<br />

David Lagercrantz<br />

schrieb die Biografie von<br />

Zlatan Ibrahimovic und<br />

die Millennium-Trilogie<br />

von Stieg Larsson weiter.<br />

Doch jetzt muss auch mal<br />

was Eigenes her.Ein<br />

echter Test<br />

VonSchayanRiaz<br />

„Die Sache hätte mich ruinieren können“: David Lagercrantz.<br />

RANDOMHOUSE/MAGNUS LIAM KARLSSON<br />

Claire Foyals Lisbeth Salander in „Verschwörung“ nach Lagercrantz.<br />

IMAGO IMAGES<br />

Wie es dazu gekommen ist, dass<br />

David Lagercrantz die„Millennium-Trilogie“<br />

um die Hackerin<br />

Lisbeth Salander und den<br />

Redakteur Mikael Blomkvist fortgeführt hat,<br />

hört sich an wie eine Szene aus eben dieser<br />

berühmten skandinavischen Krimireihe des<br />

verstorbenen Schriftstellers Stieg Larsson.<br />

Lagercrantz war zu dem Zeitpunkt dank seiner<br />

Biografie des schwedischen Fußballstars<br />

Zlatan Ibrahimovic ein etablierter Name,<br />

„Ich bin Zlatan“ ist nicht nur das meistverkaufte<br />

Buch Schwedens überhaupt, sondern<br />

inzwischen auch Lernmaterial in Schulen.<br />

Eines Tages wird Lagercrantz vom Stockholmer<br />

Verlag Nordstedts angerufen, sie wünschen<br />

sich ein heimliches Treffen. Zu dem<br />

Zeitpunkt weiß er noch nicht, worauf er sich<br />

einlässt, zumal er für die Konkurrenz<br />

schreibt. Dennoch packt ihn die Neugier,<br />

und er nimmt die Einladung an. Einzige Bedingung:<br />

Er darfdas Gebäude nicht über den<br />

Haupteingang betreten.<br />

Daswar 2013. Sechs Jahreund drei Bücher<br />

später muss Lagercrantz lachen, wenn er über<br />

diese Zeit nachdenkt.„Ich wurde vonder Hintertür<br />

reingeschmuggelt, weil Nordstedts<br />

nicht wollte,dass mich auch nur eine Person<br />

sieht. Ichbin natürlich mit dem Ganzen mitgegangen,<br />

weil ich als Journalist einen gewissen<br />

Riecher habe und wusste,dass es hier um<br />

etwas Großes geht. Undsiehe da, was für eine<br />

Sache! Stieg Larsson! In einem fensterlosen<br />

Kellerraum fragte mich die Verlegerin dann<br />

sehr ernst, ob ich mir vorstellen könnte, den<br />

vierten Band der Millennium-Reihe zu schreiben.<br />

So viel Nervenkitzel hatte ich in meinem<br />

ganzenLeben noch nicht!“<br />

Lagercrantz sitzt in einem Besprechungsraum<br />

seines deutschen Verlegers Heyne.<br />

Seine Lesetour läuft gerade auf Hochtouren,<br />

in den letzten zwei Wochen hat er ganze9000<br />

Bücher für seine amerikanischen, englischen<br />

und deutschen Fans signiert. Und das alles,<br />

weil Lagercrantz selbst ein Fanvon Stieg Larssons<br />

Arbeit war und nach dem plötzlichen<br />

Toddes Autors sein Vermächtnis fortführen<br />

durfte. „Die Presse war hinter mir her. Nicht<br />

nur in Schweden. Alle wollten, dass ich scheitere.<br />

Erst als das erste Buch rauskam, beruhigten<br />

sich die Gemüter einigermaßen.“<br />

Undnun ist Schluss.Nach dem insgesamt<br />

sechsten Band der Reihe und seiner eigenen<br />

Trilogie hat Lagercrantz angekündigt, dass er<br />

mit der Geschichte aufhört. „Ich respektiere<br />

Autoren, die 20 Bücher mit denselben Figuren<br />

schreiben können. Aber verstehen tue<br />

ich das nicht. Mein ganzer Körper sagt mir,<br />

dass mittlerweile Zeit für Neues ist. Ichspüre<br />

keine Leidenschaft mehr und muss meine<br />

eigenen Geschichten erzählen. Ichmuss beweisen,<br />

dass ich auch gute Bücher schreiben<br />

kann, ohne einen bereits bestehenden Erfolg<br />

zu übernehmen. Ichmuss beweisen, dass ich<br />

auch ohne Lisbeth Salander kann.“<br />

DAVID LAGERCRANTZ WAR VON KINDHEIT<br />

an umgeben von Literatur. Erist Sohn des<br />

bekannten Publizisten und Kritikers Olof Lagercrantz,<br />

der Biografien über James Joyce,<br />

Marcel Proust und Dante veröffentlichte.<br />

Der Sohn trat also in die Fußstapfen seines<br />

Vaters, ging aber danach auch seinen eigenen<br />

Weg. Tatsächlich fing er bei einem Boulevardblatt<br />

an. Wollte er gegen die Hochkultur<br />

seines Vaters rebellieren? „Aber nein. Ich<br />

dachte nur, wenn ich die Klatschpresse einmal<br />

hinter mir habe, dann werde ich in der<br />

Lage sein, über alles schreiben zu können.“<br />

Der Plan ging in etwa auf; Lagercrantz<br />

stieg zum Kriminalreporter auf und schrieb<br />

später auch ein Buch über den britischen<br />

Mathematiker Alan Turing. Was sein Vater<br />

wohl davon halten würde, wenn er noch am<br />

Leben wäreund sehen würde,dass sein Sohn<br />

erfolgreiche Krimis schreibt?„MeinVater war<br />

ein sehr seriöser Schriftsteller.Erwürde das,<br />

was ich mache, als Kuchenliteratur bezeichnen.<br />

Kuchen schmecken fantastisch, sie sind<br />

aber nicht wirklich nahrhaft. Deswegen gebe<br />

ich immer mir immer Mühe, sowohl zu unterhalten<br />

als auch gesellschaftlicheWahrheiten<br />

wiederzugeben.“<br />

Mit Letzterem hält sich Lagercrantz an<br />

Stieg Larssons Stil. In der ursprünglichen Trilogie<br />

geht es um Themen, die auch heute unseren<br />

gesellschaftspolitischen Diskurs reflektieren:<br />

sexuelle Gewalt gegen Frauen,<br />

Rechtsradikalismus, Erinnerungskultur, die<br />

Gefährdung der Demokratie. Lagercrantz<br />

versucht den Zeitgeist gleichermaßen einzufangen:<br />

„Larsson hat sich mit zeitgenössischen<br />

Themen auseinandergesetzt, und<br />

auch ich bin daran interessiert, aktuelle Fragestellungen<br />

spannend zu verarbeiten, damit<br />

sie bei den Lesern hängenbleiben. Vielleicht<br />

denken sie dann mehr über Politik<br />

oder soziale Ungerechtigkeit nach. Literatur<br />

kann ein Juwel sein, wodurch alles besser<br />

wird. Literatur kann die Sichtweise der Leser<br />

verändern. Siekann dafür sorgen, dass Leser<br />

mehr Einfühlungsvermögen zeigen. Daran<br />

denke ich immer,wenn ich schreibe.“<br />

Im Grunde hört sich das richtig und äußerst<br />

vornehm an, doch ist Lagercrantz tatsächlich<br />

in der Lage, soheikle Themen wie<br />

Stieg Larsson anzusprechen und seine Leser<br />

ähnlich zu sensibilisieren? Larsson galt als einer<br />

der führenden Experten für faschistische<br />

Bewegungen weltweit und bekam ständig<br />

Morddrohungen von rechts. Dass sich der<br />

erste Teil seiner Romanreihe so intensiv mit<br />

Neonazis beschäftigt, hat vorallem damit zu<br />

tun, dass der Autor seine freie Zeit damit verbrachte,die<br />

rechte Szene in Schweden unter<br />

die Lupe zu nehmen. Dies hat Lagercrantz in<br />

seiner Trilogie weitgehend abgeschwächt,<br />

im letzten Buch kommt Mikael Blomkvist sogar<br />

mit der Redakteurin einer populistischen<br />

Zeitschrift zusammen.<br />

Wenn Lagercrantz also Fake News, Troll-<br />

Armeen und die NSA-Spionageaffäre anspricht,<br />

alles wichtige und tagesaktuelle Diskurse,dann<br />

fühlt es sich etwas oberflächlicher<br />

an als bei Stieg Larsson. Spricht man ihn darauf<br />

an, möchte er seine politische Überzeugung<br />

klarstellen: „Ich teile Stieg Larssons<br />

Werte absolut. Ich habe Todesangst vor<br />

Rechtsextremisten und hoffe, dass das auch<br />

durch meine Bücher klar wird. DieZeit, in der<br />

wir heute leben, ist vollkommen verrückt und<br />

gefährlich. Auch in Deutschland. Es fühlt sich<br />

manchmal so an, als wären wir wieder in den<br />

30er-Jahren. Narzisstische Populisten kommen<br />

mithilfe von Desinformation an die<br />

Macht, und keiner will die Wahrheit hören.<br />

Ichsageimmer wieder gerne,wie wichtig unabhängiger<br />

Journalismus ist. Dafür steht ja<br />

auch die Figur des Mikael Blomkvist.“<br />

ES WIRD SPANNEND ZU BEOBACHTEN SEIN,<br />

wie sich Lagercrantz’ literarische Karriere<br />

weiterentwickelt. Er sieht ein, dass er bislang<br />

nur Aufträge erledigt hat und zukünftig vor<br />

einemechten Test steht. Er schreibt nämlich<br />

seinen ersten originären Roman. Fühlt er<br />

denn gar keine Autorenschaft, wenn es um<br />

Lisbeth Salander oder Mikael Blomkvist<br />

geht?„Doch, anders hätte das gar nicht funktioniert.<br />

Ich musste das Ganze soangehen,<br />

als wäreesmeine Story. Aber ichhabe oft die<br />

Grenzendes Machbaren gespürt, weil ichdie<br />

Figuren nicht erfunden habe.Lisbeth ist eine<br />

sehr starke Figur,vielleicht zu starkfür mich.<br />

Ich muss Figuren schreiben, die verletzlich<br />

sind, so wie ich selbst.“<br />

DerAspekt des Auftrags erinnertingewisser<br />

Weise an Fußballspieler, die von Stadt zu<br />

Stadt ziehen und im Dienste ihres aktuellen<br />

Vereins auf Pokaljagd gehen. Lagercrantz<br />

kennt sich gut mit Fußball aus, schließlich<br />

hat er viel Zeit mit Zlatan Ibrahimovic verbracht.<br />

Zieht der Vergleich für ihn? „Ja, so<br />

kann man das schon betrachten. Ich habe<br />

sogar mit Zlatan darüber gesprochen. Ihm<br />

gefällt der ganze Trubel um einen Vereinswechsel,<br />

dass sich dann alle für ihn interessieren<br />

und dass er sich immer wieder aufs<br />

Neue beweisen muss. ObinParis oder Mailand.<br />

Undich als Autor bin auch so.Für mich<br />

war diese Trilogie ein Abenteuer, eine komplett<br />

verrückte Sache. Sie hätte mich ruinieren<br />

können, aber ich habe zum Glück überlebt.<br />

Ichhoffe,dass mein Vater vomHimmel<br />

aus zuschaut und stolz auf mich ist, dass ich<br />

mir auch als Bestsellerautor treu geblieben<br />

bin und endlich etwas Neuesanfange.“<br />

Und Ibrahimovic? Ist der auch ein bisschen<br />

stolz auf ihn? HaterLagercrantz’Krimis<br />

gelesen?„Zlatan hat in seinem ganzen Leben<br />

nur ein einziges Buch gelesen und das auch<br />

nur,weil er sich für das Thema besonders interessierthat.<br />

Natürlich meine ich seine Biografie.“<br />

Sein Kichern verrät, dass ihm das<br />

überhaupt nichts ausmacht. Lagercrantz hat<br />

genügend Leser, die auf sein nächstes Werk<br />

warten.<br />

SchayanRiaz<br />

wäre bereit, die nächsten drei Bände<br />

der Millennium-Trilogie zu schreiben.<br />

GERADE EBEN<br />

Paulus Ponizak sieht die Stadt<br />

Paulus Ponizak präsentiertandieser<br />

Stelle regelmäßig seinen ganz persönlichen<br />

Blick auf Berlin. Mit seiner Street<br />

Photographyist er in diesem Jahr schon<br />

zum dritten Mal auf der ArtBasel<br />

Miami. Das Bild rechts ist vom5.bis<br />

zum 8. Dezember im HistoryMiami<br />

Museum ausgestellt.<br />

Botanischer Garten, Steglitz

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