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TASSILO - Das Magazin rund um Weilheim und die Seen, Ausgabe März/April 2020

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Akutbegleitung <strong>und</strong> Selbsthilfegruppen für verwaiste Eltern <strong>und</strong> trauernde Geschwister<br />

Zuhören, Aushalten, <strong>Das</strong>ein<br />

Tassiloland | Es ist wohl so ziemlich<br />

das Schlimmste, was einem<br />

auf <strong>die</strong>ser Welt widerfahren kann:<br />

<strong>Das</strong> eigene Kind stirbt. Egal ob<br />

durch Unfall, Krankheit, Suizid,<br />

Gewaltverbrechen, plötzlichen<br />

Kindstod oder Fehlgeburt – für<br />

Eltern <strong>die</strong> Hölle auf Erden. Für Außenstehende<br />

hingegen ka<strong>um</strong> vorstellbar,<br />

welchen Schmerz Betroffene<br />

aushalten müssen <strong>und</strong> nicht<br />

selten damit ganz alleine sind. Dabei<br />

sei es das Wichtigste, über das<br />

Geschehene zu reden. <strong>Das</strong> wissen<br />

Angelika Wakolbinger, Sylvia<br />

Maurer, Ingrid Hahn <strong>und</strong> Andrea<br />

Strobel ganz genau. Die vier sind<br />

Trauerbegleiterinnen bei „Primi<br />

Passi – erste Schritte“, eine Akutbegleitung<br />

<strong>und</strong> Unterstützung für<br />

betroffene Eltern <strong>und</strong> Geschwister<br />

nach Tod eines Kindes. Alle vier<br />

mussten selbst <strong>die</strong> erschütternde<br />

Erfahrung machen, ihr eigens Kind<br />

zu Grabe zu tragen – haben daher<br />

<strong>um</strong>so mehr Verständnis.<br />

Begleitung <strong>und</strong><br />

wertvolle Tipps<br />

<strong>Das</strong> Team von „Primi Passi Oberland“: Andrea Strobel (v.l.), Sylvia Maurer,<br />

Angelika Wakolbinger <strong>und</strong> Ingrid Hahn.<br />

„Für mich war <strong>die</strong> Gruppe <strong>und</strong><br />

schließlich <strong>die</strong> Ausbildung zur<br />

Trauerbegleiterin das Hilfreichste<br />

während des Trauerprozesses“,<br />

sagt Ingrid Hahn, <strong>die</strong> vor elf Jahren<br />

ihre Tochter verloren hat. Im<br />

G<strong>r<strong>und</strong></strong>e gibt es beim „Verwaiste<br />

Eltern <strong>und</strong> trauernde Geschwister<br />

e.V.“ zwei Angebote: „Primi<br />

Passi Oberland“ ist <strong>die</strong> im Verein<br />

integrierte Akutbegleitung für <strong>die</strong><br />

unmittelbare Phase nach dem<br />

Tod des eigenen Kindes. „Es wäre<br />

gut, wenn betroffene Eltern möglichst<br />

vor der Beerdigung Kontakt<br />

aufnehmen“, sagt Sylvia Maurer.<br />

Schließlich können <strong>die</strong> vier Trauerbegleiterinnen,<br />

<strong>die</strong> alle hierfür<br />

extra ausgebildet wurden, wertvolle<br />

Unterstützung geben in einer<br />

Zeit, in der man völlig selbstverständlich<br />

nicht an alles denkt.<br />

„Wir geben Tipps“, spricht Sylvia<br />

Maurer etwa an, dass Eltern ihr<br />

verstorbenes Kind z<strong>um</strong> Beispiel<br />

für bis zu drei Tage im eigenen<br />

Zuhause aufbahren dürfen <strong>um</strong><br />

sich zu verabschieden. „Ausreichend<br />

Zeit für <strong>die</strong> Verabschiedung<br />

zu haben ist enorm wichtig“, weiß<br />

Andrea Strobel. „Im Nachhinein<br />

hätte ich mich gefreut, wenn mir<br />

vor 15 Jahren jemand gesagt hätte,<br />

ich solle ein letztes Foto von<br />

meinem Sohn machen“, bedauert<br />

Sylvia Maurer z<strong>um</strong> Beispiel noch<br />

heute. Neben den Gesprächen,<br />

dem Zuhören, dem <strong>Das</strong>ein, sind<br />

es letztlich viele kleine praktische<br />

Hinweise, mit welchen <strong>die</strong> Damen<br />

von „Primi Passi“ helfen.<br />

Während Unterstützung <strong>und</strong> Zuspruch<br />

aus dem Umfeld in der<br />

unmittelbaren Phase nach dem<br />

Tod eines Kindes enorm hoch<br />

sind, lassen <strong>die</strong>se im Laufe der<br />

Zeit rasch nach, wie <strong>die</strong> vier Trauerbegleiterinnen<br />

aus eigener Erfahrung<br />

berichten. „Niemand will<br />

mehr darüber reden“, sagt Ingrid<br />

Hahn, zudem stellt Sylvia Maurer<br />

klar: „Mein Sohn ist bereits tot,<br />

ich will ihn nicht auch noch totschweigen.“<br />

Da <strong>die</strong>ses „Darüber-<br />

Reden“ auf dem Weg der Trauer<br />

so essentiell ist, es gleichzeitig<br />

vielen Außenstehenden so ungemein<br />

schwer zu fallen scheint,<br />

bietet „Verwaiste Eltern <strong>und</strong><br />

trauernde Geschwister e.V.“ monatliche<br />

Selbsthilfegruppen an –<br />

Ortsgruppen des deutschlandweit<br />

tätigen Vereins gibt es unter anderem<br />

auch in Starnberg. Im G<strong>r<strong>und</strong></strong>e<br />

kann man bei den Treffen einfach<br />

vorbeischauen, „ein kurzes Telefonat<br />

z<strong>um</strong> Kennenlernen ist aber<br />

stets eine gute Basis“, wie Sylvia<br />

Maurer erklärt, <strong>die</strong> gemeinsam<br />

mit Andrea Strobel <strong>die</strong> Gruppen<br />

leitet. „Die meisten sagen, dass<br />

Leute außerhalb der Gruppe wenig<br />

Ahnung von dem Schmerz<br />

hätten“, sagt Andrea Strobel.<br />

Umso mehr Halt gibt <strong>die</strong> Selbsthilfegruppe,<br />

das Gemeinsam-Durchgemachte<br />

schweißt zusammen,<br />

nicht zuletzt deshalb sind viele<br />

Fre<strong>und</strong>schaften entstanden.<br />

Worte nicht<br />

entscheidend<br />

„Viele denken, bevor sie etwas<br />

falsch machen, tun sie lieber gar<br />

nichts“, berichtet Andrea Strobel,<br />

deren Sohn vor drei Jahren verstorben<br />

ist. Einige Bekannte wechselten<br />

gar <strong>die</strong> Straßenseite, <strong>um</strong> ja<br />

nichts verkehrt zu machen. Deshalb<br />

sollten Außenstehende wissen: Für<br />

Betroffene gibt es keinen Trost. Der<br />

Schmerz über den Tod des eigenen<br />

Kindes kann gar nicht gemindert<br />

werden, er kann nur mit-ausgehalten<br />

werden. Ein generelles Richtig<br />

oder Falsch gibt es in einer solchen<br />

Situation ohnehin nicht. „Kein du<br />

musst das <strong>und</strong> jenes“, sagt Sylvia<br />

Maurer, weswegen <strong>die</strong> Betonung<br />

bei Trauerbegleitung auch auf<br />

dem „begleiten“ liegt. Kein Trauerlöser,<br />

kein Trauerverhinderer.<br />

„Die richtigen Worte sind gar nicht<br />

> > > KONTAKT<br />

entscheidend“, so Ingrid Hahn.<br />

„Eine Berührung, ein warmherziger<br />

Blick in <strong>die</strong> Augen, auch mal<br />

gemeinsam zu weinen, ist weitaus<br />

bedeutender.“ Den Verlust zu ignorieren<br />

sei dagegen mit Abstand<br />

das Schlimmste, <strong>die</strong> Trauer ja auch<br />

keine ansteckende Krankheit. Ehrlichkeit<br />

hilft, Interesse ebenso.<br />

Sylvia Maurer, Ingrid Hahn, Andrea<br />

Strobel <strong>und</strong> Angelika Wakolbinger<br />

haben selbst allesamt erst nach<br />

einer gewissen Zeit vom Angebot<br />

des „Verwaiste Eltern <strong>und</strong> trauernde<br />

Geschwister e.V.“ gehört. Hätten<br />

sich im Nachhinein einerseits<br />

gewünscht, früher davon zu erfahren,<br />

anderseits sich eher durchzuringen,<br />

<strong>die</strong>se Hilfe in Anspruch<br />

zu nehmen. Umso wichtiger ist<br />

es ihnen heute, das Angebot einer<br />

breiten Öffentlichkeit publik<br />

zu machen. Denn auch wenn<br />

sich Nicht-Betroffene ein solch<br />

schreckliches Szenario wie den<br />

Tod des eigenen Kindes ka<strong>um</strong> vorstellen<br />

können <strong>und</strong> möchten, ist es<br />

allemal gut zu wissen, dass es ein<br />

solches Angebot gibt. „Es ist <strong>die</strong><br />

wichtigste Sache, über das Kind<br />

reden zu können“, sagen <strong>die</strong> vier<br />

Trauerbegleiterinnen abschließend,<br />

denn: „Familie ist wie ein<br />

Ba<strong>um</strong> – bricht ein großer Ast weg,<br />

wächst dort nichts mehr nach.“ tis<br />

„Primi Passi Oberland“ ist telefonisch täglich von 9 bis 19 Uhr<br />

erreichbar unter 0175 / 4206014, oder per Mail unter primipassioberland@web.de.<br />

Die Gruppe von „Verwaiste Eltern <strong>und</strong> trauernde<br />

Geschwister e.V.“ trifft sich in der Regel jeden dritten Montag<br />

im Monat von 19.30 bis 21.30 Uhr im AOK-Gebäude <strong>Weilheim</strong>, Waisenhausstraße<br />

3. Kontakt: 08824 / 2190022 (Sylvia Maurer) oder<br />

0176 / 44612301 (Andrea Strobel).<br />

märz / april <strong>2020</strong> | 59

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