altlandkreis - das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel, Ausgabe März/April 2020
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Böbing | Niki Schelle ist Vollblut-<br />
Motorsportler. Auch mit 53 Jahren<br />
brennt der Böbinger regelrecht<br />
darauf, Sportwagen ans Limit<br />
zu bringen. Zwar wer<strong>den</strong> seine<br />
Rallye-Einsätze altersbedingt immer<br />
weniger. Mit Fahrtrainings,<br />
TV-Auftritten und Weltrekordfahrten<br />
im In- und Ausland wird dem<br />
gelernten Kfz-Mechaniker und<br />
-Meister jedoch nicht langweilig.<br />
Was ein Schlagzeugsolo mit<br />
Rallye-Fahren zu tun hat? Warum<br />
er auf einer bayerischen Autobahn<br />
mit weit über 300 Stun<strong>den</strong>kilometern<br />
unterwegs war? Wo und wie<br />
er in jungen Jahren trainiert hat,<br />
obwohl es weit und breit keine<br />
offiziellen Trainingsstrecken gibt?<br />
Im großen Interview auf der Roten<br />
Couch hat uns der TV-Star und<br />
Inhaber von „Recce Rent GmbH“<br />
Einblick gewährt in eine ereignisreiche<br />
Welt voller halsbrecherischer<br />
Fahrten auf Schotter, Schnee<br />
und Asphalt.<br />
Herr Schelle, lieber schrauben oder<br />
fahren?<br />
Natürlich lieber fahren. Aber <strong>das</strong><br />
Schrauber-Verständnis hat mir<br />
<strong>für</strong>s Rallye-Fahren enorm viel gebracht.<br />
Wenn du weißt, wie weit<br />
du mit einem Auto gehen kannst,<br />
bis es auseinanderfliegt, hilft dir<br />
<strong>das</strong> auf der Strecke enorm. Die<br />
Kupplung mal länger gedrückt<br />
halten als die Konkurrenz, nicht in<br />
jedes Schlagloch Vollgas hineinfahren<br />
– im Detail achtet man als<br />
fahrender Mechaniker auf Dinge,<br />
worauf andere Fahrer nicht achten,<br />
was oft entschei<strong>den</strong>d ist, um<br />
es unfallfrei bis zur Ziellinie zu<br />
schaffen.<br />
Wie fühlt es sich an, ein Auto bei<br />
359 Stun<strong>den</strong>kilometern zu steuern?<br />
Erstmal musst du ein Auto fin<strong>den</strong>,<br />
<strong>das</strong> bei 300 Stun<strong>den</strong>kilometer<br />
überhaupt noch zulegen kann,<br />
was aufgrund eines extremen<br />
Luftwiderstands echt schwer ist.<br />
Gefahren bin ich schließlich mit<br />
einem getunten BMW M5, der von<br />
10 | <strong>altlandkreis</strong><br />
Haus aus wenige Spoiler hat – bereits<br />
bei leichten Wellen blinkte<br />
die Traktionsleuchte auf, weil alle<br />
vier Räder <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong>kontakt verloren<br />
haben. Und beim Vorbeifahren<br />
an einem Lkw – wir waren<br />
spät nachts auf einer Autobahn<br />
bei Dingolfing unterwegs – muss<br />
man bei mehr als 300 Stun<strong>den</strong>kilometern<br />
echt viel korrigieren.<br />
Vor allem dann, wenn bei diesen<br />
„unmenschlichen“ Geschwindigkeiten<br />
auch noch ein technischer<br />
Defekt passiert.<br />
Bei der Spitzengeschwindigkeit<br />
von 359 Stun<strong>den</strong>kilometer hat es<br />
die Zylinderkopfdichtung rausgehauen,<br />
woraufhin ich auf Leerlauf<br />
schalten und <strong>das</strong> Auto über mehrere<br />
Kilometer hinweg bis zur ersten<br />
Ausfahrt rollen lassen musste.<br />
Ich dachte erst, <strong>das</strong>s ich es niemals<br />
schaffen werde bis zur nächsten<br />
Ausfahrt – am Ende musste ich<br />
sogar stark runterbremsen, um<br />
sie zu schaffen. Da wurde mir erst<br />
so richtig bewusst, wie schnell<br />
wir wirklich unterwegs waren.<br />
Insofern war dieser Geschwindigkeitstest<br />
schon brutal und definitiv<br />
auch nicht ungefährlich. Zum Vergleich:<br />
Ein Passagierflugzeug hebt<br />
bei etwa 270 Stun<strong>den</strong>kilometern<br />
ab.<br />
Woher rührt Ihre grenzenlose Lei<strong>den</strong>schaft<br />
<strong>für</strong> Motorsport?<br />
Als Kind habe ich bei damaligen<br />
Fahrern zugeschaut und gewusst:<br />
Ich möchte später auch was mit<br />
Motorsport machen. Der Rest war<br />
eine schrittweise Entwicklung,<br />
was auch gar nicht anders möglich<br />
gewesen wäre. Allein die finanzielle<br />
Hürde ist im Motorsport extrem<br />
hoch und ganz anders als beispielsweise<br />
beim Fußball, wo es in<br />
jedem Dorf einen Verein gibt, man<br />
bereits als Kind zum Probetraining<br />
gehen kann. Zum Rallye-Fahren<br />
aber musst du erst mal volljährig<br />
wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong> Führerschein machen,<br />
enorm viel Geld investieren,<br />
um ein passendes Auto kaufen zu<br />
Keine Verkleidung, da<strong>für</strong> jede Menge Überrollbügel: Niki Schelle zeigt<br />
„<strong>altlandkreis</strong>“-Redakteur Johannes Schelle seinen Suzuki von innen.<br />
können, beziehungsweise teure<br />
Teile besorgen, um es dir selbst<br />
aufzubauen. Insofern war es mir<br />
nie möglich, bereits als Kind zu<br />
sagen: Ich fange jetzt sofort an,<br />
Rallye-Fahrer zu wer<strong>den</strong>.<br />
Trotzdem waren Sie bereits mit 14<br />
Jahren als Beifahrer aktiv bei Rallyes<br />
dabei. Mit 18 dann als Fahrer.<br />
Was war rückblickend Ihr größter<br />
Erfolg?<br />
Für mich persönlich gleich bei<br />
meiner fünften oder sechsten Rallye.<br />
Ich war gerade mal 19 Jahre<br />
jung, bin mit einem ganz normalen,<br />
nur 60 PS starken Auto gefahren<br />
und habe von 159 Startern<br />
<strong>den</strong> vierten Platz erreicht. Dass<br />
ich damals trotzdem nicht in <strong>den</strong><br />
Förderkader aufgenommen wurde,<br />
obwohl ich schneller war als<br />
andere, deutlich ältere Kaderfahrer,<br />
hat mich natürlich noch mehr<br />
angespornt – ich wollte es allen<br />
beweisen.<br />
Wo und wie haben Sie trainiert?<br />
Meistens war ich bis elf Uhr<br />
abends bei meiner damaligen<br />
Freundin und bin dann mitten in<br />
der Nacht nochmals raus ins Gelände,<br />
um <strong>für</strong> rund zwei Stun<strong>den</strong><br />
zu trainieren. „Wenn ich bis zwei<br />
Uhr nicht zurück bin, solltest du<br />
nach mir schauen“, habe ich ihr<br />
immer gesagt. Natürlich durfte<br />
davon keiner wissen, schließlich<br />
gab und gibt es in unserer Gegend<br />
keine ausgewiesenen Rallye-Strecken<br />
zum Trainieren. Oft bin ich<br />
zigfach mit 80 Stun<strong>den</strong>kilometern<br />
in die gleiche Kreuzung gefahren,<br />
um ein Gefühl <strong>für</strong>s richtige Bremsen<br />
zu bekommen – <strong>das</strong> A und O<br />
beim Rennen fahren.<br />
Das nächtliche Geheimtraining hat<br />
Früchte getragen. Ihr größter Erfolg<br />
als Profi ?<br />
Sicherlich die Teilnahme an der<br />
Rallye-Weltmeisterschaft im Jahr<br />
2002, wo ich stärkster Deutscher<br />
Fahrer war. Im gleichen Jahr<br />
wurde ich auch im Rahmen der<br />
Deutschland-Rallye dritter, obwohl<br />
ich mit meinem Suzuki ein<br />
wesentlich schwächeres Auto hatte<br />
als der Erst- und Zweitplatzierte.<br />
Viele Topfahrer haben damals<br />
<strong>den</strong> Hut vor mir gezogen und mir<br />
realistische Siegchancen attestiert,<br />
hätte ich ein stärkeres Auto gehabt.<br />
Teil des Geschäfts waren auch bittere<br />
Niederlagen.<br />
Meistens die, die man sich selbst<br />
zuzuschreiben hatte, weil man<br />
sein eigenes Auto zu Schrott gefahren<br />
hat. Es gab mal eine Saison,<br />
in der mein Team nicht mehr<br />
in der Lage war, ausreichend Ersatzteile<br />
zu besorgen.