altlandkreis - das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel, Ausgabe März/April 2020
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Volle Konzentration? Hier beschreibt Niki Schelle (re.) eindrucksvoll, wie<br />
intensiv sich Rallye-Fahren <strong>für</strong> Geist und Körper anfühlt.<br />
Ich habe 1996 ein Angebot aus Argentinien<br />
vorliegen gehabt, was<br />
landschaftlich betrachtet gigantisch<br />
gewesen wäre, aber finanziell<br />
und in Sachen Professionalität ein<br />
Reinfall. Ich habe sehr viele tolle<br />
Sachen erleben dürfen, aber in<br />
erster Linie auch immer geschaut,<br />
<strong>das</strong>s ich damit auch Geld verdienen<br />
kann. Dass ist mir, unter anderem<br />
mit verschie<strong>den</strong>sten Jobs <strong>für</strong> Suzuki,<br />
immer gelungen, ohne unsere<br />
wunderbare Heimat fest verlassen<br />
zu müssen. Gibt es was schöneres,<br />
als nach der Arbeit schnell aufs<br />
Hörnle zu springen und die von<br />
dort geniale Aussicht zu genießen?<br />
Professionelles Rallye-Fahren und<br />
Jobs bei Suzuki waren und sind<br />
nicht ihre einzigen Einnahmequellen.<br />
Sie arbeiten seit knapp 15 Jahren<br />
auch <strong>für</strong>s Fernsehen.<br />
Angefangen hat alles bei Männer-<br />
TV, wo<strong>für</strong> ich richtig PS-starke<br />
Autos testen durfte. So bin ich in<br />
der TV-Branche bekannt gewor<strong>den</strong><br />
und schließlich zu „GRIP – <strong>das</strong><br />
Motorsportmagazin“ gekommen.<br />
GRIP ist eine deutschlandweit beliebte<br />
Motorsport-Sendung, die<br />
je<strong>den</strong> Sonntagabend auf RTL II gesendet<br />
wird. Ihre Aufgabe dort?<br />
Hauptsächlich bin ich dort als<br />
Testfahrer unterwegs, der sowohl<br />
während als auch nach diversen<br />
Fahrten unterhaltsame Resümees<br />
zu ziehen hat.<br />
Ist Böbinger Dialekt vor laufender<br />
Kamera überhaupt erlaubt?<br />
(grinst) Als ich zu Beginn meiner<br />
TV-Auftritte hochdeutsch sprechen<br />
musste, war allen schnell klar:<br />
Das bin nicht ich. Aber klar gibt<br />
es noch immer Szenen, vor allem<br />
in Norddeutschland mit norddeutschem<br />
Kamerateam, wo ich auch<br />
verstärkt hochdeutsch sprechen<br />
sollte.<br />
Wie sieht ein klassischer Drehtag<br />
aus?<br />
Sehr lang und anstrengend. Es<br />
geht in der Regel in der Früh um 8<br />
Uhr los. Das Kamerateam verbaut<br />
in <strong>den</strong> jeweiligen Autos mehrere<br />
GoPros. Die laufen dann oft<br />
eineinhalb Stun<strong>den</strong> <strong>für</strong> letztlich<br />
zwölf Minuten Sendezeit durch.<br />
Da wir auch nur ein Kamerateam<br />
zur Verfügung haben, fangen wir<br />
die unterschiedlichsten Fahrbilder<br />
Schritt <strong>für</strong> Schritt ein, was <strong>den</strong><br />
ganzen Tag andauert.<br />
Die verrückteste Challenge, die Ihr<br />
bislang <strong>für</strong> GRIP gedreht habt?<br />
Einer der Renner, auch auf You-<br />
Tube mit derzeit 2,4 Millionen<br />
Klicks: Als ich und Kollege Matthias<br />
Malmedie mit einem Lancia<br />
die Wallberg-Straße in Rottach-<br />
Egern hochgefahren bin – die<br />
einzige Sendung, in der beide<br />
keinen Ton gesagt haben, weil ich<br />
mich komplett am Limit bewegt<br />
habe.<br />
Wann und wo können Sie die<br />
„<strong>altlandkreis</strong>“-Leser im TV sehen?<br />
GRIP läuft immer am Sonntag um<br />
18.15 Uhr, wobei ich persönlich in<br />
nur 20 Sendungen pro Jahr vorkomme.<br />
Wann genau die gesendet<br />
wer<strong>den</strong>, ist schwer vorherzusagen,<br />
weil es häufig zu kurzfristigen Programmänderungen<br />
innerhalb des<br />
Motormagazins kommt.<br />
Ein anderes Highlight Ihrer Motorsport-Karriere:<br />
Weltrekord im Serpentinenfahren!?<br />
Diese durchaus verrückte Idee hatte<br />
<strong>das</strong> Deutsche Institut <strong>für</strong> Weltrekorde,<br />
zustande gekommen ist<br />
<strong>das</strong> ganze letztlich über Mazda.<br />
Die Vorgabe war: In zwölf Stun<strong>den</strong><br />
2 000 Serpentinen zu fahren. Umgesetzt<br />
haben wir die Challenge<br />
auf der Kaunertaler Gletscherstraße<br />
in Österreich. Mit drei weiteren<br />
Fahrern im Wechsel sind wir eine<br />
ganze Nacht lang rauf- und runtergebolzt.<br />
Insgesamt haben wir<br />
sogar 2 900 Serpentinen geschafft,<br />
was echt gut war <strong>für</strong> uns. Einziger<br />
Nachteil dieser Aktion: Von der<br />
dort traumhaften Landschaft haben<br />
wir im Grunde nichts gehabt,<br />
weil wir bei Dunkelheit fahren<br />
mussten, damit die Strecke <strong>für</strong> <strong>den</strong><br />
Tourismus tagsüber wieder aufgemacht<br />
wer<strong>den</strong> konnte.<br />
Eine Nacht lang Serpentinenfahren<br />
klingt extrem anstrengend.<br />
Es kommt noch besser: Ich habe<br />
hinterher in meinem Bus eine<br />
Stunde geschlafen, in der Früh<br />
noch kurz Fotos geschossen, bin<br />
dann nach Reutte gefahren, von<br />
dort in einer Propeller-Maschine<br />
eines Bekannten nach Daun,<br />
Rheinland-Pfalz, mitgeflogen, um<br />
dort noch am selben Nachmittag<br />
eine Rallye zu fahren.<br />
Macht Ihnen diese ständige Reiserei,<br />
gepaart mit Nachtschichten<br />
und viel zu wenig Schlaf, <strong>den</strong>n gar<br />
nichts aus?<br />
Neulich bin ich von Schwe<strong>den</strong>, wo<br />
ich regelmäßig Driving-Events <strong>für</strong><br />
Mercedes betreue, zurückgekommen,<br />
dann gleich in <strong>den</strong> Bayerischen<br />
Wald, anschließend <strong>für</strong><br />
wenige Tage heim nach Böbing<br />
und schließlich wieder <strong>für</strong> zehn<br />
Tage nach Schwe<strong>den</strong>. Das stresst<br />
schon irgendwann. Auch deshalb,<br />
weil ich mit 53 nicht mehr der Allerjüngste<br />
bin. In Summe aber ist<br />
es schon ein geniales, abwechslungsreiches<br />
Berufsleben.<br />
Was macht Niki Schelle, wenn Motorsport-technisch<br />
mal nichts mehr<br />
auf dem Programm stehen wird?<br />
Da ich durch Skitouren und Radl<br />
fahren kein Geld verdienen werde,<br />
bin ich echt froh, <strong>das</strong>s es noch<br />
viele weitere Möglichkeiten gibt,<br />
mein Fahrkönnen auch weiterhin<br />
beruflich einsetzen zu können.<br />
Ich teste nicht nur Fahrzeuge auf<br />
Herz und Nieren, sondern gebe<br />
auch Fahrtrainings <strong>für</strong> angehende<br />
Rennfahrer sowie Fahrsicherheitstrainings<br />
<strong>für</strong> <strong>den</strong> einfachen<br />
Bürger. Richtig bremsen, richtig<br />
ausweichen – da kann ich auch<br />
im hohen Alter noch viel weitergeben.<br />
Könnten Sie an dieser Stelle nochmals<br />
versuchen zu beschreiben: Wie<br />
fühlt es sich an, Rallye zu fahren?<br />
Es ist ein bisschen wie beim<br />
Schlagzeuger, der ein Solo spielt.<br />
Ein Fuß bremst, der andere gibt<br />
Gas, eine Hand lenkt, die andere<br />
schaltet und betätigt die Handbremse.<br />
Man braucht Koordination,<br />
Kondition, Konzentration, ein<br />
gutes Auge, muss im Schlaf sein<br />
Auto richtig bedienen können,<br />
muss einem Beifahrer, ohne <strong>den</strong><br />
überhaupt nichts funktionieren<br />
würde, zu 100 Prozent vertrauen<br />
können und nonstop in Bruchteilen<br />
von Sekun<strong>den</strong> die richtigen<br />
Entscheidungen treffen. Deshalb<br />
ist mentale und körperliche<br />
Fitness so immens wichtig <strong>für</strong>s<br />
Rallye-Fahren – nach einem Lauf<br />
läuft Dir die Soße runter von Kopf<br />
bis Fuß, du bist komplett durchgeschwitzt.<br />
js<br />
märz / april <strong>2020</strong> | 13