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altlandkreis - das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel, Ausgabe März/April 2020

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Leben wie im Jahre 1558<br />

„Man muss sich halt<br />

warm anziehen“<br />

Wessobrunn | Es war Liebe auf<br />

<strong>den</strong> ersten Blick. Eine schicksalhafte<br />

Begegnung, an die sich Brigitte<br />

Mitschke noch heute genau<br />

erinnert. Vor bald 60 Jahren fand<br />

die damals 30-jährige Gymnastiklehrerin<br />

und Masseurin mit ihrem<br />

Mann Wilhelm zusammen<br />

ihr Traumhaus. Dem damaligen<br />

Zeitgeist entsprach ihr Traum aber<br />

nicht. In <strong>den</strong> 1960er Jahren wollten<br />

fast alle „modern“ bauen. Es begann<br />

die Zeit, in der alte Bausubstanz<br />

ersetzt wurde. Bausubstanz,<br />

die über Jahrhunderte weitgehend<br />

unverändert Lebensraum von Generationen<br />

gewesen war und die<br />

Dörfer geprägt hatte. Ersetzt durch<br />

Standardbauten, die sich kaum<br />

mehr unterschie<strong>den</strong> von <strong>den</strong>en in<br />

anderen Regionen. „Zeitgemäße“<br />

Wohnräume mit Normmaßen, deren<br />

Einhaltung die Baubehör<strong>den</strong><br />

überwachten. Mit höheren Deckenhöhen.<br />

Mit Türen, bei <strong>den</strong>en man<br />

nicht <strong>den</strong> Kopf einziehen musste.<br />

Mit großen Fenstern, viel Licht.<br />

Mit Annehmlichkeiten durch neue<br />

Wasser- und Strominstallation. Mit<br />

angenehmer Wärme in allen Räumen.<br />

Mit Beton statt Holz aus <strong>den</strong><br />

umliegen<strong>den</strong> Wäldern. Mit soli<strong>den</strong><br />

Fundamenten und großen Kellerräumen.<br />

Das „alte Glump“ hatte<br />

<strong>für</strong> die meisten keinen Wert mehr.<br />

Wer es sich leisten konnte, riss ab<br />

oder baute um.<br />

Die Mitschkes hatten einen völlig<br />

anderen Traum. Sie suchten 1960<br />

genau <strong>das</strong>, was andere verschmähten:<br />

ein altes Haus. Eines mit Charakter.<br />

Dem man seine Geschichte<br />

ruhig ansehen durfte. So schauten<br />

Wohlfühl-Umgebung seit bald 60 Jahren: Jh die heute 89-jährige Brigitte<br />

i<br />

Mitschke in ihrer historischen Stube mit Kassettendecke.<br />

sie sich am zweiten Advent 1960<br />

auch in der Gemeinde Haid um,<br />

heute Ortsteil von Wessobrunn. Ihr<br />

Spaziergang über die damals nur<br />

aufgekieste und schlaglochreiche<br />

Hauptstraße führte sie an der – an<br />

sich unscheinbaren – Stallseite eines<br />

Bauernhauses vorbei, <strong>das</strong> sie<br />

irgendwie anzog. Die Mistlege war<br />

fast leer, es scharrten nur einzelne<br />

Hühner herum, bemerkte Wilhelm<br />

Mitschke. War <strong>das</strong> Haus aufgelassen,<br />

unbewohnt? Ihrem Gefühl<br />

folgend, gingen sie um <strong>das</strong> Haus<br />

herum.<br />

Das älteste<br />

Haus Haids<br />

Auf der Wohnhausseite die erste<br />

Überraschung: Eine Hauswand aus<br />

Baumstämmen – ein offensichtlich<br />

uralter Blockbau aus Rundhölzern.<br />

Sie stan<strong>den</strong> vor dem ältesten<br />

noch erhaltenen Haus des Dorfs,<br />

Hausname „beim Brender“. Die<br />

Rundhölzer stammen, wie spätere<br />

Untersuchungen belegen, aus<br />

dem Jahr 1558. Die zweite Überraschung:<br />

Das Haus war doch bewohnt.<br />

Aber der Eigentümer, der<br />

„Brender Ferdl“, sagte gastfreundlich<br />

zu ihnen: „Wenn sie sich <strong>für</strong><br />

sowas interessieren, müssen sie<br />

schon reinkommen. Hier gibt es<br />

Sachen, die sie sonst nirgends zu<br />

sehen bekommen.“ Da hatte er<br />

Recht. Als er sie durch die niedrige<br />

Tür in die kleine Stube auf der<br />

Südseite führte, waren die Mitschkes<br />

sofort fasziniert. Eine alte, gut<br />

erhaltene Kassettendecke aus Holz.<br />

Alte, kleine Fenster mit Scheiben<br />

aus mundgeblasenem Glas. Ein<br />

Raum mit besonderer Atmosphäre.<br />

Auch wenn man ihm und dem<br />

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