Stahlreport 2020.04
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Messen<br />
und Märkte<br />
Bericht<br />
Fehlende Aufträge durch Umstellung auf Elektrofahrzeuge<br />
Werkzeugbau vor großen Herausforderungen<br />
In vielen Werkzeugbauten, insbesondere in der Zuliefererkette Automobil, spitzt sich die wirtschaftliche Situation zu,<br />
weil die Neuaufträge teilweise schon seit einem Dreivierteljahr zunehmend ausbleiben. Das sagte Volker Schäfer,<br />
neuer stellvertretender Vorsitzender des Fachverbands Werkzeugbau des Verbands Deutscher Maschinen- und<br />
Anlagenbau e.V. (VDMA). Viele Unternehmen hätten bereits mit der Freisetzung hochqualifizierter Facharbeiter<br />
begonnen, die Anzahl der Insolvenzen und Übernahmen stiegen. Es drohe ein Dominoeffekt, wenn diese<br />
Schlüsselbranche für die industrielle Serienproduktion nicht bald wieder auskömmliche Aufträge erhält, warnte Schäfer.<br />
Alfred Zedtwitz, VDMA: Herr<br />
Schäfer, Sie vertreten im Vorstand<br />
des VDMA Werkzeugbau seit Dezember<br />
2019 die Stanz- und Umformtechnik.<br />
Wie ist die aktuelle Situation<br />
in dieser Teilbranche?<br />
Volker Schäfer: Unterschiedlich:<br />
Im Kundensegment Automobil, zu<br />
dem auch mein Unternehmen Kuhn<br />
& Möhrlein gehört, ist es fünf vor<br />
Zwölf. Seit etwa einem Jahr laufen<br />
die Unternehmen leer, weil die Kunden<br />
in der Umbruchphase, aufgrund<br />
der Unsicherheit der zukünftigen<br />
Richtung im Automobilbau, keine<br />
Aufträge bei ihnen platzieren.<br />
Es ist fünf vor Zwölf in<br />
manchen Unternehmen<br />
Die Anfragetätigkeit ist ebenfalls<br />
extrem zurückgegangen. Anderen<br />
Kundensegmenten, die nicht direkt<br />
oder indirekt an der Automobilindustrie<br />
hängen, geht es zum Glück<br />
noch besser, aber auch sie spüren<br />
teilweise schon den allgemeinen<br />
Wirtschaftsabschwung in ihren Auftragsbüchern<br />
und den Preisverfall.<br />
Auch den Teilelieferanten für die<br />
Fahrzeugproduktion geht es nicht<br />
mehr gut. Deshalb gibt es bereits<br />
von Tier-1-Kunden den Versuch, sich<br />
beim Werkzeugbau Liquidität zu<br />
besorgen. So etwas ist allerdings<br />
zum Scheitern verurteilt, denn einem<br />
nackten Mann kann man nicht in<br />
die Tasche greifen, will sagen, die<br />
meisten Werkzeughersteller sind<br />
bereits am Ende ihrer eigenen Liquidität<br />
angelangt und müssen demnächst<br />
mit Entlassung beginnen,<br />
bzw. haben schon in erheblichem<br />
Umfang Personal abgebaut. Das hat<br />
allerdings dramatische Auswirkungen<br />
auf ihre zukünftige Lieferfähigkeit<br />
und Wettbewerbsfähigkeit am<br />
Weltmarkt.<br />
Es kommen doch weiterhin neue<br />
Fahrzeuge auf den europäischen<br />
Markt, so dass die Autohersteller<br />
eigentlich auch neue Werkzeuge<br />
benötigen müssten. Was verändert<br />
sich da gerade?<br />
Ihren Ankündigungen entsprechend<br />
wollen die meisten Autohersteller<br />
in den nächsten Jahren mit neuen,<br />
teilweise elektrisch oder hybrid<br />
angetriebenen Fahrzeugen auf den<br />
europäischen Markt kommen und<br />
diese auch in Europa produzieren.<br />
Die Durststrecke ist lang,<br />
für einige wahrscheinlich<br />
zu lang<br />
Dann werden auch wieder Werkzeuge<br />
gebraucht – doch die „Durststrecke“<br />
ist sehr lang, für einige Firmen<br />
wahrscheinlich zu lang.<br />
Damit wird die strategische Bedeutung<br />
des Werkzeugbaus verkannt,<br />
denn wie sagt es Bob Williamson, der<br />
Präsident des Werkzeugweltverbands<br />
ISTMA immer wieder so schön: „Es<br />
gibt keine Serienproduktion ohne<br />
Werkzeugbau!“ Er kommt aus Südafrika,<br />
wo in den letzten Jahren mit<br />
viel Geld und Mühe der Werkzeugbau<br />
als Schlüsselbranche für die heimische<br />
Industrieproduktion neu aufgebaut<br />
worden ist.<br />
Wie lange können die Werkzeugbauten<br />
den aktuellen Zustand noch überleben?<br />
Wird es in absehbarer Zeit zu<br />
einem regelrechten Werkzeugbausterben<br />
kommen, wenn die Kunden<br />
ihre Bestellungen noch weiter herauszögern?<br />
Uns läuft tatsächlich gerade die Zeit<br />
davon. Wir müssen leider davon ausgehen,<br />
dass den meisten Unternehmen<br />
in den kommenden drei Monaten<br />
die Liquidität knapp wird und einzelne<br />
deutsche Unternehmen unwiederbringlich<br />
vom Markt verschwinden.<br />
Danach werden die Kunden sich<br />
woanders in der Welt nach Karosseriewerkzeugen<br />
umsehen müssen.<br />
Weiterhin ist mit dem Verlust des<br />
jahrzehntelang aufgebauten Knowhows<br />
der Branche zu rechnen, das<br />
bis heute noch eine extrem hohe<br />
Werkzeugqualität und die mit den<br />
Werkzeugen produzierte Teilequalität<br />
garantiert.<br />
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