Stahlreport 2020.04
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Wo werden die Autohersteller dann<br />
in Zukunft ihre Werkzeuge beziehen,<br />
wenn es keine ausreichende Kapazität<br />
in Deutschland/Europa mehr gibt?<br />
In China existieren bereits staatlich<br />
subventionierte, vollautomatisierte<br />
Werkzeugfabriken, die in den letzten<br />
Jahren zunehmend mit heftigen Preiskämpfen<br />
die europäischen Werkzeugbauten<br />
in arge Bedrängnis gebracht<br />
haben. Dort entsteht gerade eine<br />
marktmächtige Werkzeugbaubranche,<br />
in deren Abhängigkeit unsere<br />
Kunden gelangen könnten.<br />
Es spricht nichts<br />
gegen Wettbewerb –<br />
wenn er fair ist<br />
Im Grunde spricht nichts gegen Wettbewerb<br />
– und wenn dieser fair ist,<br />
dann stellen wir uns diesem auch<br />
gerne mit unseren hervorragenden<br />
Produkten.<br />
Bezüglich China habe ich da aber<br />
so meine Bedenken ob der Fairness.<br />
Wir fordern ein Level-playing-field!<br />
Gefährlich für den Standort<br />
Deutschland und Europa ist auch,<br />
dass der politische Einfluss der chinesischen<br />
Regierung auf solche teilstaatlichen<br />
Unternehmen nicht zu<br />
unterschätzen sein dürfte. Und ich<br />
kann mir gut vorstellen, dass ausländische<br />
Konkurrenten der chinesischen<br />
Fahrzeughersteller als B-Kunden<br />
hinter der chinesischen<br />
Konkurrenz rangieren. Daher ist zu<br />
befürchten, dass die europäischen<br />
Fahrzeughersteller heftige Wettbewerbsnachteile<br />
auf dem Weltmarkt<br />
in allen Fahrzeugsegmenten – auch<br />
in der Oberklasse! – haben werden.<br />
Das hätte gegebenenfalls Folgen für<br />
andere automobilnahe Arbeitsplätze.<br />
Sind die chinesischen Werk zeug -<br />
(bau)fabriken den deutschen Werkzeugbauten<br />
überlegen und bieten den<br />
Kunden einen Mehrwert?<br />
Bislang sind die Werkzeuge aus ihrer<br />
Fertigung in technischer Hinsicht<br />
noch nicht ganz auf unserem Niveau.<br />
Aber die chinesische Konkurrenz hat<br />
– auch auf Grund ihrer staatlichen<br />
Alimentierung – einen wesentlich<br />
längeren Atem als unsere mittelständischen<br />
Unternehmen und mittlerweile<br />
aufgrund ihres hohen Automa-<br />
tisierungsgrads und der niedrigen<br />
Löhne Kostenvorteile.<br />
Werkzeugbau ist in<br />
China Teil der<br />
staatlichen Strategie<br />
Hierzu muss man wissen, dass Werkzeugbau<br />
in China Teil einer zentralen,<br />
staatlichen Strategie ist, um die eigene<br />
Industrieproduktion und deren Stellung<br />
auf dem Weltmarkt zu fördern.<br />
Und wenn die chinesischen Werkzeugbauten<br />
erst einmal ausreichend<br />
Marktmacht aufgebaut haben, könnten<br />
die Preise nach oben korrigiert<br />
werden. Das haben wir in anderen<br />
Bereichen der Industrie bereits häufig<br />
erlebt, insbesondere dann, wenn<br />
keine Wettbewerber mehr lieferfähig<br />
sind.<br />
Was können die deutschen/europäischen<br />
Werkzeugbauten und ihre Kunden<br />
in der aktuellen Situation tun,<br />
um das schlimmste noch abzuwenden?<br />
Wir müssen noch wettbewerbsfähiger<br />
werden, innovativer werden, stärker<br />
automatisieren – uns hier durchaus<br />
China zum Vorbild nehmen – und<br />
dann auf einem fairen Markt mit unseren<br />
Produkten weltweit die Kunden<br />
überzeugen.<br />
Wir müssen wettbewerbsfähiger<br />
werden, aber<br />
kurzfristig geht es um<br />
Liquidität<br />
Entwicklung des Werkzeugbaus 2019<br />
Die Produktion der Werkzeugbauten ist 2019 im Schnitt um rund 8 %<br />
gesunken. Allerdings dürfe man dem ermittelten Durchschnitt nicht<br />
trauen, denn viele Unternehmen, die überwiegend in die Automobilbranche<br />
liefern, kämpften aktuell ums Überleben, sagte Marco Schülken, Vorsitzender<br />
VDMA Werkzeugbau im Januar.<br />
Weltweit entwickelten sich die Umsätze im Projektgeschäft mit der Automobilindustrie,<br />
dem Maschinenbau und der Luftfahrtindustrie 2019 negativ.<br />
Selbst aus dem Bereich der Medizintechnik meldet die Branche<br />
leichte Absatzrückgänge und die Kunststoffindustrie ist ähnlich wie die<br />
Automobilindustrie in einem Umbruch.<br />
Kurzfristig benötigen wir Liquidität<br />
– bevorzugt durch private Investoren<br />
und Banken – und Instrumente wie<br />
die Kurzarbeit, um Zeiten knapper<br />
Aufträge zu überbrücken. Hier brauchen<br />
wir auch die Unterstützung der<br />
Politik. Nur gemeinsam sind wir stark!<br />
Unterstützung der Politik<br />
ist gefragt<br />
Jeder Unternehmer und Entscheider<br />
muss seine Wahlkreiskandidaten aller<br />
Parteien persönlich darauf aufmerksam<br />
machen, dass wir im Begriff sind,<br />
nicht nur eine Schlüsselindustrie für<br />
unsere Industrieproduktion zu verlieren,<br />
sondern dass dies auch zu<br />
einem Dominoeffekt führen kann, der<br />
viele weitere hochqualifizierte<br />
Arbeitsplätze in der automobilnahen<br />
Industrie gefährdet.<br />
Außerdem haben wir im VDMA<br />
die Initiative Fairness+ gestartet, die<br />
allen Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette<br />
vom Werkzeug bis<br />
zum Endprodukt als Plattform für<br />
eine partnerschaftliche Zusammenarbeit<br />
offensteht. Deshalb fordere ich<br />
alle Ausrüster, Teileproduzenten und<br />
Kunden auf, unserer Initiative beizutreten<br />
und auf Basis der dort formulierten<br />
Werte und Maßnahmen<br />
gemeinsam ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />
am Weltmarkt auszubauen. Denn<br />
es muss allen Entscheidern von Autoherstellern<br />
und ihren System- sowie<br />
Komponenten-Lieferanten klar sein,<br />
dass sie hier in Europa nur in einer<br />
echten Partnerschaft auf Augenhöhe<br />
überhaupt eine Chance haben,<br />
gemeinsam mit den Werkzeugbauten<br />
zu überleben.“<br />
Das Interview führte Alfred Zedtwitz,<br />
Referent Werkzeug- und Formenbau<br />
sowie Kommunikation, Betriebswirtschaft<br />
und Volkswirtschaft des Fachverbands<br />
Präzisionswerkzeuge im<br />
VDMA, Anfang März.<br />
<strong>Stahlreport</strong> 4|20<br />
37