Stahlreport 2020.04
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
informieren. Die damit verbundene<br />
Verarbeitung personenbezogener<br />
Daten ist aus datenschutzrechtlicher<br />
Sicht unbedenklich, da der Schutz<br />
vor einer weiteren Ausbreitung das<br />
Geheimhaltungsinteresse des Arbeitnehmers<br />
überwiegen dürfte, Art. 6<br />
Abs.1 lit. b), d) und f) / Art. 9 Abs.<br />
1 DSGVO i. V. m. § 26 Abs. 3 Bundesdatenschutzgesetz<br />
(„BDSG“).<br />
Ob und in welchem Umfang<br />
darüber hinaus Maßnahmen zu<br />
ergreifen sind, ist jeweils anhand<br />
der Art des Betriebes, der Anzahl<br />
der Beschäftigten sowie des Verdachtsgrades<br />
einer Infektion zu entscheiden.<br />
Der Verdacht einer Infektion<br />
verdichtet sich etwa bei<br />
Rückkehr von Arbeitnehmern aus<br />
einem Risikogebiet. Als Risikogebiete<br />
sind unter anderem solche<br />
anzuerkennen, für die das Auswärtige<br />
Amt eine Reisewarnung erteilt.<br />
Letztlich gilt: Je größer die Gefahrenlage<br />
ist, desto umfassender sind<br />
die Schutzpflichten des Arbeitgebers<br />
ausgeprägt. Konkrete Hinweise für<br />
vom Arbeitgeber zu ergreifende Maßnahmen<br />
finden sich zum Beispiel<br />
im nationalen Pandemieplan auf der<br />
Webseite des Robert-Koch-Instituts<br />
(www.rki.de) oder der Bundesanstalt<br />
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin<br />
(www.baua.de). Hat der Arbeitgeber<br />
Kenntnis von der Erkrankung<br />
eines Arbeitnehmers, muss er ihn<br />
umgehend nach Hause schicken.<br />
2<br />
Bestehen aufgrund der allgemeinen<br />
Gefahrenlage<br />
besondere Pflichten für den<br />
Arbeitnehmer?<br />
Auch der Arbeitnehmer hat die<br />
Nebenpflicht, Nachteile gegenüber<br />
seinem Arbeitgeber abzuwenden,<br />
§ 241 Abs. 2 BGB. Unseres Erachtens<br />
sollte der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber<br />
zum Beispiel eine Infizierung<br />
offenlegen müssen, auch wenn dies<br />
aus datenschutzrechtlichen Gründen<br />
fraglich und daher rechtlich umstritten<br />
ist.<br />
In jedem Fall kann die fehlende<br />
Aufklärung des Arbeitnehmers über<br />
krankheitsrelevante Informationen<br />
zu erheblichen Haftungsrisiken führen.<br />
Er kann wegen fahrlässiger Verursachung<br />
einer Ansteckung ande-<br />
rer Beschäftigter haften. Dies kann<br />
zum Beispiel zu einer Schadensersatzpflicht<br />
wegen Entgeltfortzahlung<br />
für andere Arbeitnehmer im Krankheitsfall<br />
führen. Denkbar wäre auch,<br />
dass wegen einer Ansteckung bzw.<br />
Ansteckungsgefahr der gesamte<br />
Betrieb des Arbeitgebers stillgelegt<br />
werden muss, was zu immensen<br />
wirtschaftlichen Schäden führen<br />
kann.<br />
Nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen<br />
Schadensausgleiches<br />
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer<br />
kommt es je nach Fahrlässigkeitsgrad<br />
an Verursachungs- und<br />
Verschuldensbeiträgen zu einer Quotelung<br />
oder Alleinhaftung. Wenn der<br />
Arbeitnehmer im Wissen einer<br />
Erkrankung an COVID-19 andere<br />
Beschäftigte im Betrieb ansteckt und<br />
dies billigend in Kauf nimmt, haftet<br />
er seinen Kollegen gegenüber vollumfänglich<br />
aus Delikt. Ein sozialrechtlicher<br />
Haftungsausschluss<br />
greift in diesem Fall nicht, § 105<br />
Abs. 1 S. 1 a.E. Sozialgesetzbuch<br />
(„SGB“) VII.<br />
Zur Verhütung von Haftung und<br />
Schäden ist eine einvernehmliche<br />
Kooperation von Arbeitgeber und<br />
Arbeitnehmer dringend zu empfehlen.<br />
3Besteht bei einer Coronaerkrankung<br />
eine behördliche<br />
Meldepflicht?<br />
Eine solche besteht für den Arbeitgeber<br />
oder Arbeitnehmer aufgrund<br />
datenschutzrechtlicher Bestimmungen<br />
(bisher) grundsätzlich nicht. Das<br />
Infektionsschutzgesetz sieht eine<br />
Meldepflicht bei den Gesundheitsämtern<br />
nur für Ärzte vor.<br />
4Darf der Arbeitgeber den<br />
Arbeitnehmer vorsorglich<br />
von der Arbeit freistellen?<br />
Grundsätzlich besteht ein Beschäftigungsanspruch<br />
des Arbeitnehmers,<br />
soweit kein sachlicher Grund für<br />
eine Freistellung durch den Arbeitgeber<br />
vorliegt. Der Beschäftigungsanspruch<br />
des Arbeitnehmers kann<br />
mit den gesundheitlichen Schutzpflichten<br />
des Arbeitgebers korrelieren.<br />
Bei auf Tatsachen gestützten<br />
Verdachtsmomenten für eine Infektion,<br />
etwa bei Auftreten einzelner<br />
Krankheitssymptome oder vorherigem<br />
Aufenthalt des Arbeitnehmers<br />
in einem Risikogebiet, wird regelmäßig<br />
ein sachlicher Grund für eine<br />
Freistellung vorliegen.<br />
5Hat ein Arbeitnehmer<br />
Anspruch auf Vergütung,<br />
wenn der Arbeitgeber ihn<br />
wegen des Virus von der Arbeit<br />
freistellt?<br />
Ja. Bei einer Freistellung durch den<br />
Arbeitgeber behalten Arbeitnehmer<br />
immer ihren Vergütungsanspruch.<br />
6Behält der Arbeitnehmer<br />
seinen Vergütungsanspruch,<br />
wenn er aus Furcht vor<br />
einer Corona-Ansteckung von<br />
sich aus zu Hause bleibt?<br />
Nein. Der Arbeitnehmer verliert den<br />
Vergütungsanspruch. Zudem würde<br />
er unentschuldigt von der Arbeit<br />
fernbleiben, was zu arbeitsrechtlichen<br />
Konsequenzen führen kann.<br />
Es besteht kein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht<br />
bei drohenden<br />
Pandemien. Anders verhält<br />
es sich, wenn dem Arbeitnehmer die<br />
Erbringung seiner Leistung unzumutbar<br />
ist, wobei hier ein strenger<br />
Maßstab gilt, § 275 Abs. 3 BGB. Dies<br />
dürfte nur dann anzunehmen sein,<br />
wenn die Verrichtung der Arbeit<br />
zumindest einen ernsthaften objektiv<br />
begründeten Verdacht der erheblichen<br />
Gefährdung für die eigene<br />
Gesundheit darstellt.<br />
7Hat ein Arbeitnehmer<br />
Anspruch auf Vergütung,<br />
wenn er lediglich mittelbar<br />
wegen Corona nicht arbeiten<br />
kann?<br />
Die Schulen und Kitas schließen und<br />
die Eltern müssen die Betreuung<br />
selbst übernehmen. Haben sie trotzdem<br />
weiter einen Vergütungsanspruch?<br />
Jedenfalls liegt kein Fall des<br />
Entschädigungsanspruchs nach dem<br />
Infektionsschutzgesetz („IfSG“) vor.<br />
Ggf. käme ein Anspruch nach § 616<br />
BGB in Betracht (Vergütung bei Verhinderung<br />
des Arbeitnehmers für<br />
<strong>Stahlreport</strong> 4|20<br />
45