Stahlreport 2020.04
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das Produkt grundsätzlich im Baubereich<br />
eingesetzt werden kann,<br />
indem er es nach einer harmonisierten<br />
Norm herstellt, ist hieran aus<br />
Sicht der Behörden die gesamte<br />
Abnehmerkette gebunden. Die<br />
Pflichten aus Art. 13 und 14 BauPVO<br />
träfen die Distribution damit auch<br />
bei Nachweis einer außerhalb des<br />
Bausektors liegenden Verwendung.<br />
Kritik des BDS<br />
und seiner Mitglieder<br />
Diese Position ist nach Ansicht des<br />
BDS und seiner betroffenen Mitglieder<br />
zweifelhaft, wird sie doch weder<br />
vom Wortlaut noch vom Sinn und<br />
Zweck der Verordnung gespiegelt:<br />
Gemäß der Begriffsbestimmung des<br />
Art. 2 Nr. 1 BauPVO ist ein Bauprodukt<br />
„jedes Produkt (…), das (…) hergestellt<br />
und in Verkehr gebracht<br />
wird, um dauerhaft in Bauwerke<br />
oder Teile davon eingebaut zu werden,<br />
und dessen Leistung sich auf<br />
die Leistung des Bauwerks im Hinblick<br />
auf die Grundanforderungen<br />
an Bauwerke auswirkt“.<br />
Bauwerke sind gemäß Art. 2 Nr.<br />
3 BauPVO „sowohl Bauten des Hochals<br />
auch des Tiefbaus“ – von harmonisierten<br />
Normen ist dort nicht die<br />
Rede.<br />
Im Übrigen ist Sinn und Zweck<br />
der Verordnung allein die „Sicherheit<br />
von Bauwerken“ – nicht jeglicher<br />
Stahlbaukonstruktion und erst recht<br />
nicht des Maschinen- und Anlagenbaus<br />
oder des Automotive-Sektors.<br />
Material mit grundsätzlich hybridem<br />
Verwendungszweck (Einsatzfähigkeit<br />
sowohl im Bau- als auch<br />
im Nichtbaubereich), jedoch ausdrücklich<br />
definiertem und nachweislichem<br />
Einsatz im Nicht-Baubereich,<br />
sollte demnach kein Bauprodukt<br />
(mehr) sein. Jedenfalls macht es<br />
dann keinen Sinn, dass die Marktüberwachung<br />
auf der Weiterreichung<br />
der von der BauPVO geforderten<br />
Dokumentation besteht.<br />
Viele BDS-Mitgliedsunternehmen<br />
liefern vor allem – manche<br />
sogar nahezu ausschließlich – an<br />
verarbeitende Abnehmer aus dem<br />
Nicht-Baubereich, darunter vor allem<br />
an Automobilzulieferer, die Luftfahrtindustrie,<br />
Maschinen- und Anla-<br />
genbaubetriebe oder andere Eisen,<br />
Blech und Metall verarbeitende<br />
Unternehmen. Dass auch in diesen<br />
Fällen eine CE-Kennzeichnung mitgeliefert<br />
und eine Leistungserklärung<br />
zur Verfügung gestellt werden<br />
muss, um die Tauglichkeit des<br />
Erzeugnisses als Bauprodukt nachzuweisen,<br />
ist aus Sicht des BDS fragwürdig.<br />
Bürokratieaufbau zu Lasten<br />
des Mittelstands<br />
So erfordert das – bei Belieferung<br />
mit Material aus mehreren Produktionschargen<br />
– standardmäßige Weiterreichen<br />
vieler Seiten Unterlagen<br />
einen erheblichen Mehraufwand bei<br />
der Abwicklung einer Bestellung:<br />
Nach dem Kommissionieren muss<br />
der Vertrieb die zu den betreffenden<br />
Schmelzen gehörenden CE-Kennzeichnungen<br />
und Leistungserklärungen<br />
heraussuchen und mitliefern.<br />
Dass dies auch unabhängig vom<br />
Baubereich erfolgen soll, verträgt<br />
sich erkennbar nicht mit dem auch<br />
in der BauPVO verankerten Selbstanspruch<br />
der Europäischen Kommission,<br />
insbesondere sogenannten<br />
Kleinen und Mittleren Unternehmen<br />
(KMU) möglichst nicht „das Leben<br />
schwer“ zu machen.<br />
Gespräche statt gerichtlicher<br />
Auseinandersetzungen<br />
Seit 2017 hat der BDS gemeinsam<br />
mit dem ebenfalls betroffenen WGM<br />
zahlreiche Gespräche mit den entsprechenden<br />
Stellen geführt, darunter<br />
mehrfach mit Vertreterinnen und<br />
Vertretern des DIBt, des Regierungspräsidums<br />
Tübingen sowie der Generaldirektion<br />
Binnenmarkt der Europäischen<br />
Kommission und des<br />
Bundesministeriums des Innern<br />
(BMI).<br />
Insbesondere die zuständige<br />
Stelle des BMI äußerte großes Verständnis<br />
für die Position des Stahlund<br />
NE-Metallhandels. Die EU-Kommission<br />
erkannte das Problem ebenfalls.<br />
Auch wenn diese sich zwar<br />
nicht in der Lage sah, den deutschen<br />
Marktüberwachungsbehörden zu<br />
empfehlen, deren Position zu überdenken,<br />
konnten wir in Abstimmung<br />
mit ihr eine alternative Lösung erarbeiten,<br />
die zumindest für einige Mitglieder<br />
einen Weg aus dem Dilemma<br />
bieten sollte.<br />
Mögliche Lösung: Zweckbestimmung<br />
als Nicht-Bauprodukt<br />
Der Lösungsvorschlag lehnt sich an<br />
ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs<br />
(EuGH) zur Medizinprodukterichtlinie<br />
vom 22.11.2012 (Az.<br />
C-219/11) an. So fällt nach übereinstimmender<br />
Auffassung der Generaldirektion<br />
Binnenmarkt der EU-<br />
Kommission, des BMI sowie des BDS<br />
ein Stahlerzeugnis mit hybridem Einsatzzweck<br />
durch eine besondere<br />
Zweckbestimmung als Nicht-Bauprodukt<br />
aus dem Anwendungsbereich<br />
der VO (EU) 305/2011 heraus.<br />
Hierzu ist in der Praxis wie folgt<br />
vorzugehen:<br />
z Der Händler bestellt beim Hersteller<br />
wie gewohnt ein Produkt nach<br />
Norm, allerdings verbunden mit<br />
dem (sinngemäßen) Textzusatz<br />
„ausschließlich für Verwendung<br />
im Automotive-Bereich bzw.<br />
Maschinen-/Anlagenbau“.<br />
z Der Hersteller bestätigt diese Spezifikation<br />
wortgleich in seiner Auftragsbestätigung<br />
und<br />
z kennzeichnet das Material im Rahmen<br />
der Produktion bzw. vor Auslieferung<br />
entsprechend auf dem<br />
Lieferschein und auf dem Warenetikett.<br />
Damit dürfte das jeweilige Erzeugnis<br />
nach jeder Betrachtung von vornherein<br />
kein Bauprodukt sein, mit der<br />
Folge, dass dann auch die Pflichten<br />
aus der BauPVO nicht gelten.<br />
Der BDS geht davon aus, dass<br />
das genannte Vorgehen von der<br />
Marktüberwachung nicht zu beanstanden<br />
ist.<br />
Dem Verfasser ist bewusst, dass<br />
der Vorschlag nicht für alle BDS-<br />
Mitglieder praktikabel sein wird –<br />
ist doch häufig zum Zeitpunkt der<br />
Bestellung beim Werk noch nicht<br />
(abschließend) klar, ob und inwieweit<br />
das Material wirklich nicht in<br />
den Bausektor geht. Für diejenigen<br />
Händler, bei denen der Bausektor<br />
allerdings keine oder eine nur stark<br />
untergeordnete Rolle spielt, mag der<br />
Vorschlag ein pragmatischer Ansatz<br />
sein, um Problemen mit der Marktüberwachung<br />
vorzubeugen. 2<br />
<strong>Stahlreport</strong> 4|20<br />
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