urbanLab Magazin 2017 - Die Stadt der Zukunft
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Trotz offensichtlicher Zusammenhänge zwischen einwirkenden<br />
Umweltfaktoren und <strong>der</strong> menschlichen Gesundheit<br />
verstärkte sich das medizinische Interesse an <strong>der</strong><br />
städtischen Umwelt erst wie<strong>der</strong> zur Zeit <strong>der</strong> Renaissance<br />
im 15.–17. Jahrhun<strong>der</strong>t. Sinken<strong>der</strong> Lebensstandard und<br />
vermehrt auftretende Infektionskrankheiten führten zu<br />
immer geringeren Lebenserwartungen in den Städten,<br />
sodass erste hygienische Standards und Vorschriften zur<br />
<strong>Stadt</strong>reinigung festgelegt wurden. Mit beginnen<strong>der</strong> Industrialisierung<br />
und <strong>der</strong> damit einhergehenden Urbanisierung<br />
ab Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts stiegen die gesundheitlichen<br />
und sozialen Problemlagen in Städten dennoch<br />
drastisch weiter an. <strong>Die</strong>s führte vermehrt zu gesundheitlichen<br />
Reformbewegungen durch Umwelthygieniker wie<br />
Max von Pettenkofer, Johann Peter Frank o<strong>der</strong> Robert<br />
Koch, durch die z. B. die Weiterentwicklung von unterirdischer<br />
Kanalisation, Wasserklosetts und Frischwasserversorgung<br />
angeregt wurde (Dye 2008, Rodenstein 2012).<br />
Zudem wurden verstärkt breite Straßenzüge, Freiräume<br />
und Grünanlagen als städtebauliche Elemente verwendet,<br />
um mehr Licht und Luft zwischen die dichte Bebauung<br />
<strong>der</strong> Städte gelangen zu lassen. <strong>Die</strong> Sichtachsen- und<br />
Grünraumkonzepte von Georges-Eugène Haussmann,<br />
die Bewegung <strong>der</strong> englischen Gartenstadt unter Sir Ebenezer<br />
Howard o<strong>der</strong> die Entwicklung <strong>der</strong> Schrebergärten<br />
stellten Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wichtige städtebauliche<br />
Ansätze dar, um Gesundheit <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bevölkerung zu<br />
verbessern (Behrens 2006, Benevolo 2000).<br />
Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von heute<br />
Trotz aller städtebaulichen Reformbewegungen herrschen<br />
in Städten aber auch heute noch spezifische<br />
Merkmale vor, die – neben zahlreichen positiven Eigenschaften<br />
– hohe gesundheitliche Risiken für die <strong>Stadt</strong>bevölkerung<br />
bedeuten können (z. B. hohe Bebauungsdichte,<br />
Luftverschmutzung, Lärmbelastung) (Galea/Vlahov<br />
2005). Hinzu kommen die bisherigen Auswirkungen des<br />
Klimawandels (z. B. steigende Temperaturen, erhöhtes<br />
Aufkommen von Extremwetterereignissen), die weitere<br />
gesundheitliche Belastungen für die <strong>Stadt</strong>bevölkerung<br />
(WHO 2008) darstellen können. Ebenso können die sozio-demografischen<br />
Entwicklungen innerhalb <strong>der</strong> Städte<br />
zu einer multikulturellen und alternden Gesellschaft mit<br />
einem sich verän<strong>der</strong>nden Krankheitsspektrum (z. B. mit<br />
einem verstärkten Auftreten altersbedingter Erkrankungen<br />
wie Herzkreislauferkrankungen o<strong>der</strong> Diabetes mellitus<br />
Typ 2) führen (DESTATIS/RKI 2009). Nicht zuletzt<br />
können strukturelle Verän<strong>der</strong>ungen in den Städten zu<br />
sozial-räumlichen Disparitäten führen, die hohe Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
an eine umweltgerechte Verteilung von<br />
sowohl gesundheitsbelastenden als auch -för<strong>der</strong>lichen<br />
Faktoren darstellen (Hornberg/Pauli 2009).<br />
In <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von heute existieren demnach zahlreiche<br />
gesundheitliche Faktoren, die zudem kumulieren können,<br />
indem z. B. ältere o<strong>der</strong> vorerkrankte Menschen<br />
beson<strong>der</strong>e Empfindlichkeiten gegenüber gesundheitlichen<br />
Belastungen in Städten aufweisen können<br />
(Hornberg/Claßen/Brodner 2016). Daraus resultiert<br />
eine Vielfalt an gesundheitlichen Zusammenhängen,<br />
die auch eine Reflexion des Verständnisses über den<br />
Begriff Gesundheit erfor<strong>der</strong>t.<br />
Was ist Gesundheit?<br />
Zu ihrer Gründung 1946 definierte die Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) Gesundheit wie folgt:<br />
„Health is a state of complete physical, mental and social<br />
well-being and not merely the absence of disease and infirmity.“<br />
(WHO 1946: 2)<br />
Über diese ganzheitliche Definition erscheint Gesundheit<br />
als multidimensionales und dynamisches Konstrukt,<br />
welches in Abhängigkeit von zahlreichen subjektiven und<br />
kaum zu operationalisierenden Faktoren wie Wohlbefinden<br />
und Lebensqualität steht (Meyer/Sauter 2000).<br />
Dennoch basiert dieses Gesundheitsmodell <strong>der</strong> WHO<br />
auf einer pathogenetisch orientierten Dichotomie von Gesundheit<br />
und Krankheit.<br />
Das Modell <strong>der</strong> Salutogenese<br />
In <strong>der</strong> Annahme, dass Menschen – trotzdem sie hohen<br />
gesundheitlichen Belastungen wie Stress o<strong>der</strong> körperlichen<br />
Einschränkungen ausgesetzt sind – über ein hohes<br />
Wohlbefinden verfügen und somit auch gesund (bzw.<br />
nicht krank) sein können, entwickelte <strong>der</strong> Medizinsoziologe<br />
Antonovsky (1932–1994) das Modell <strong>der</strong> Salutogenese<br />
(salus (lat.): gesundheitliche Unverletzlichkeit, Glück,<br />
Heil; genesis (griech.): Ursprung, Entstehung). Er fokussierte<br />
mit dem Modell Faktoren und Mechanismen, die zur<br />
Entstehung und Bewahrung von Gesundheit bzw. Wohlbefinden<br />
beitragen können. Er spannte damit ein gesundheitliches<br />
Kontinuum zwischen den beiden Endpunkten<br />
Gesundheit und Krankheit auf, zwischen denen sich <strong>der</strong><br />
Mensch mit seinem Gesundheitszustand bewegt. <strong>Die</strong> Position<br />
des Menschen innerhalb dieses Kontinuums hängt<br />
dabei von zahlreichen Faktoren ab, die dessen Gesundheit<br />
und Wohlbefinden positiv o<strong>der</strong> negativ beeinflussen<br />
können (Antonovsky/Franke 1997). Darauf aufbauend<br />
definierten Hurrelmann und Franzkowiak (2005):<br />
„Gesundheit ist ein Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren<br />
und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem<br />
Menschen eine Bewältigung sowohl <strong>der</strong> inneren (körperlichen<br />
und psychischen) als auch äußeren (sozialen<br />
und materiellen) Anfor<strong>der</strong>ungen gelingt.“ (Hurrelmann &<br />
Franzkowiak 2006: 52)<br />
<strong>Die</strong>ses weite Verständnis über Gesundheit macht Gesundheit<br />
in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> zu einem komplexen multidimensionalen<br />
Geflecht aus zahlreichen Faktoren mit vielfältigen Wechselwirkungen.<br />
<strong>Die</strong> städtische Umwelt stellt somit vielschichtige<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen auf allen Ebenen des umweltbezogenen<br />
Gesundheitsschutzes sowie <strong>der</strong> ökologischen Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />
und steht demnach vermehrt im Fokus<br />
bevölkerungs- und risikogruppenbezogener Ansätze von<br />
Umweltmedizin und Public-Health-Forschung.<br />
Gesundheitsdeterminanten im Siedlungsraum<br />
Um die zahlreichen Faktoren, welche die Gesundheit<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bevölkerung beeinflussen, in Beziehung zueinan<strong>der</strong><br />
setzen zu können, entwickelten Barton und<br />
Grant (2006) das „Humanökologische Modell <strong>der</strong> Gesundheitsdeterminanten<br />
im Siedlungsraum“. Mit dem<br />
Modell werden die komplexen Zusammenhänge zwischen<br />
dem Menschen und seiner Umwelt in Siedlungs-<br />
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Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE