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urbanLab Magazin 2017 - Die Stadt der Zukunft

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dann greift dieses Konzept in Deutschland nicht. So<br />

ergibt eine auf <strong>der</strong> Grundlage von Daten <strong>der</strong> Innerstädtischen<br />

Raumbeobachtung erfolgende Recherche (vgl.<br />

Schönwäl<strong>der</strong>/Söhn 2009), dass nur 15 <strong>der</strong> dort erfassten<br />

1810 statistischen Einheiten (mit durchschnittlich<br />

jeweils 7.500 E.) eine migrationsbezogene ethnische<br />

Bevölkerungsgruppe aufweisen, die einen Anteil von<br />

20 o<strong>der</strong> mehr Prozent an <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung <strong>der</strong><br />

betreffenden statistischen Einheit hat.<br />

Solche Befunde bedeuten aber nicht, dass wir uns<br />

hierzulande zurücklehnen und das Segregationsthema<br />

vernachlässigen können. Denn es gibt noch an<strong>der</strong>e<br />

Gründe als die Angst vor <strong>der</strong> gewaltsamen Eskalation<br />

von Intergruppenkonflikten, sich gegen fortschreitende<br />

sozialstrukturelle und ethnische Segregation zu wehren.<br />

So hat die internationale Forschung zu Kontexteffekten<br />

nachgewiesen, dass benachteiligte segregierte<br />

<strong>Stadt</strong>gebiete zur Verstetigung abweichen<strong>der</strong> Normen<br />

und aufgrund entsprechen<strong>der</strong> Opportunitätsstrukturen<br />

zu Delinquenz im Sozialraum führen kann (vgl.<br />

zusammenfassend dazu Kurtenbach 2016). Zudem<br />

vermag Segregation gerade in benachteiligten Quartieren,<br />

das Gefühl <strong>der</strong> Verletzlichkeit zu erhöhen sowie<br />

Ohnmachtsgefühle zu wecken und nicht zuletzt Kriminalitätsfurcht<br />

und Stressempfinden zu steigern. Zum<br />

an<strong>der</strong>en bleibt gerade mit Blick auf die obigen Ausführungen<br />

zur Kausalbeziehung zwischen Segregation<br />

und Konflikteskalation ein Wehrmutstropfen. Denn<br />

wenn die konfliktsoziologische Beobachtung richtig<br />

ist, dass Intergruppenkonflikte nicht allein auf nur eine<br />

Ursache zurückzuführen sind – sei es ein Ereignis, ein<br />

Prozess o<strong>der</strong> eine Struktur –, dann kann auch nicht<br />

ausgeschlossen werden, dass die hier angesprochenen<br />

Segregationsprozesse zumindest indirekt bzw. in ihrem<br />

Zusammenwirken mit an<strong>der</strong>en Faktoren zur Eskalation<br />

von Intergruppenkonflikten beitragen mögen. <strong>Die</strong><br />

Eingrenzung von Segregation könnte somit indirekt zur<br />

Konfliktprävention beitragen.<br />

Und schließlich gilt es, noch aus einem dritten Grund<br />

wachsam zu bleiben – einen Grund, den man auf den<br />

bekannten Gemeinspruch bringen könnte, wonach<br />

das, was nicht ist, noch werden könnte. So gibt es<br />

Anhaltspunkte dafür, dass die sozialstrukturelle Segregation<br />

in ganz Europa gegenwärtig auf dem Vormarsch<br />

ist; dies zumindest ergeben Längsschnittuntersuchungen<br />

zur Entwicklung in 13 europäischen<br />

Hauptstädten, die auf Datensätzen beruhen, welche<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage von Volkszählungen zustande kamen<br />

(vgl. Musterd et al.: 2015) . Demnach hat die sozialstrukturelle<br />

Segregation in zwölf <strong>der</strong> untersuchten<br />

13 Hauptstädte in den vergangen zehn Jahren deutlich<br />

zugenommen. Ob es uns langfristig amerikanische<br />

Ausmaße <strong>der</strong> Segregation bescheren wird, ist offen<br />

und hängt letztlich von uns allen ab; nicht zuletzt aber<br />

auch davon, ob wir dazu in <strong>der</strong> Lage sind, übertriebene<br />

Ängste abzubauen und den Mut aufzubringen,<br />

uns dem Marktradikalismus entgegenzustellen und<br />

beispielsweise den sozialen Wohnungsbau zu stärken.<br />

Dr. rer. Soc. Jörg Hüttermann<br />

Assoziierter Wissenschaftler<br />

Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung<br />

Jörg Hüttermann studierte Soziologie und Geschichte in Wuppertal, Bonn,<br />

Bielefeld und Madrid. Seit 2015 ist er Mitarbeiter am Institut für Islamische<br />

Theologie <strong>der</strong> Universität Osnabrück. Zuvor wirkte er im Max-Planck-Institut<br />

zur Erforschung multiethnischer und multireligiöser Gesellschaften/MPI-<br />

MMG, Göttingen (2012-2014) sowie im Institut für Interdisziplinäre Konfliktund<br />

Gewaltforschung/IKG, Bielefeld (1996-2012). Ab 09/<strong>2017</strong> wird er<br />

wie<strong>der</strong> am IKG tätig sein. Seine ethnographisch ansetzenden Forschungen<br />

fokussieren insbeson<strong>der</strong>e auf Konflikte in urbanen Räumen westlicher Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaften.<br />

Er promovierte im Jahr 1998 im Fachbereich Soziologie<br />

<strong>der</strong> Universität Bielefeld mit einer Milieustudie zum Thema „Islamische<br />

Mystik in Deutschland“.<br />

39<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Dubet, Francois (1997): <strong>Die</strong> Logik <strong>der</strong> Jugendgewalt. S. 220-234 in: T. von Trotha (Hrsg.): Soziologie <strong>der</strong> Gewalt. Opladen/Wiesbaden (Son<strong>der</strong>heft<br />

37 <strong>der</strong> KZfSS).<br />

Florida, Richard & Charlotta Mellanda (2015): Segregated City: The Geography of Economic Segregation in America’s Metros. Toronto: Martin<br />

Prosperity Institute.<br />

Horowitz, Donald L. (2001): The Deadly Ethnic Riot. Berkeley, Los Angeles and London: University of California Press.<br />

Hüttermann, Jörg (2006): Das Minarett: Zur politischen Kultur des Konflikts um islamische Symbole. Weinheim/München: Juventa.<br />

Hüttermann, Jörg (2010): Entzündungsfähige Konfliktkonstellationen: Eskalations- und Integrationspotentiale in Kleinstädten <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />

(Mit einem Beitrag von Alexan<strong>der</strong> Mewes. Weinheim & München: Juventa.<br />

Hüttermann, Jörg (2011): Moscheekonflikte im Figurationsprozess <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft: Eine soziologische Analyse. S. 39-82 in: W. Schiffauer<br />

Hrsg.) Migrationsreport 2010. Fakten - Analysen - Perspektiven. Frankfurt a.M. & New York: Campus.<br />

Kurtenbach, Sebastian (2016): Leben in herausfor<strong>der</strong>nden Nachbarschaften. Wiesbaden: Springer VS.<br />

Musterd, Sako & Szymon Marcińczak, Maarten van Ham, Tiit Tammaru (2015): Socio-Economic Segregation in European Capital Cities. Bonn:<br />

Forschungsinstitut zur <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> Arbeit/Institute for the Study of Labor.<br />

Schönwäl<strong>der</strong>, Karen & Janina Söhn (2009): „Immigrant Settlement Structures in Germany: General Patterns and Urban Levels of Concentration of Major<br />

Groups.“ Urban Studies 46(7): 1439-60.<br />

Varshney, Ashutosh 2002: Ethnic conflict and civic life: Hindus and Muslims in India New Haven: Yale Univ. Press.

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