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Mind-Mag 140

Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.

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EIN M VON NEBENAN<br />

deutet das, ich sehe die Musik<br />

und fühle Konsistenzen. Bis dahin<br />

dachte ich, das sei nichts Besonderes,<br />

für mich war das einfach<br />

Normalität.<br />

Natürlich musste ich mir teilweise<br />

auch die Nächte um die<br />

Ohren hauen, aber im Großen<br />

und Ganzen fiel es mir leichter<br />

als den anderen.<br />

Opernsänger ist aber nicht<br />

unbedingt die am nächsten<br />

liegende Karriere …<br />

Ich habe es geliebt, auf meiner<br />

Gitarre zu spielen, aber mit fast<br />

20 Jahren war es schon zu spät<br />

für eine professionelle Karriere<br />

auf einem Instrument. Beim Gesang<br />

ist das anders, weil sich die<br />

Stimme ohnehin ständig entwickelt<br />

und verändert; da standen<br />

mir noch alle Wege offen.<br />

Ich habe in verschiedenen<br />

Chören in meiner Heimatstadt<br />

Rabat gesungen. Dort bin ich<br />

schließlich auf einen wunderbaren<br />

Lehrer und Mentor gestoßen,<br />

Louis Péraudin, den damaligen<br />

Leiter des Chorale de<br />

Rabat. Er verstand es, die Leidenschaft<br />

an der Musik weiterzugeben,<br />

nicht nur die Technik.<br />

Über sein Netzwerk hatte ich<br />

dann auch die Möglichkeit, an<br />

Meisterklassen teilzunehmen.<br />

Die französische Kulturszene ist<br />

öfters vor Ort, um marokkanische<br />

Musiktalente abzuwerben.<br />

Letztendlich habe ich so ein Stipendium<br />

bekommen. Das hat<br />

mir die Türen in die europäische<br />

Opernszene geöffnet.<br />

Denkst du gerne an die<br />

Studienzeit in Frankreich zurück?<br />

Das sind gemischte Gefühle.<br />

Das Studium war sehr schwer<br />

und arbeitsintensiv. Hinzu<br />

kommt, dass mir das französische<br />

System nicht sehr entgegenkam.<br />

Dort wirst du in der<br />

Theorie perfekt vorbereitet, aber<br />

es fehlt die praktische Seite. Das<br />

fühlte sich für mich wie ein zu<br />

eng geschnürtes Korsett an.<br />

Heute ist mir klar, warum ich<br />

damit so gehadert habe: Vor einem<br />

Jahr habe ich die Diagnose<br />

ADHS bekommen. Ich lerne<br />

nicht beim Stillsitzen, sondern<br />

„on the road“, beim praktischen<br />

Anwenden.<br />

„Stell dir vor, du hast nur<br />

einen Satz: Wenn du den<br />

nicht ordentlich ablieferst,<br />

war es das! Eine zweite<br />

Chance bekommst du nicht,<br />

mit diesem Eindruck gehst<br />

du dann von der Bühne.“<br />

Auch meine finanzielle Situation<br />

war teilweise schwierig. Ab<br />

dem zweiten Studienjahr wohnte<br />

ich in Paris mit hohen Lebenshaltungskosten.<br />

An der Hochschule<br />

gab es die Regelung, dass<br />

man in den ersten zwei Studienjahren<br />

nicht arbeiten darf, das<br />

kann ich bis heute nicht nachvollziehen.<br />

Klar hatte ich mein<br />

Stipendium, aber da gab es in<br />

der vorlesungsfreien Zeit keine<br />

Zahlungen. In den Sommermonaten<br />

war das Geld daher sehr<br />

knapp.<br />

Du hast deinen Abschluss aber<br />

trotz dieser Umstände mit<br />

Auszeichnung bestanden!<br />

Ja, das stimmt. Das war für mein<br />

Selbstwertgefühl sehr wichtig.<br />

Unterbewusst hat mich das fehlende<br />

Abitur doch mehr belastet,<br />

als ich mir eingestehen wollte.<br />

Jetzt hatte ich mir selbst bewiesen,<br />

dass ich die richtige Entscheidung<br />

getroffen habe und<br />

dass ich etwas bis zum Ende<br />

durchziehen kann, wenn ich es<br />

mir in den Kopf gesetzt habe.<br />

Der ganze Druck fiel danach von<br />

mir ab.<br />

Wie kamst du an deine ersten<br />

Rollen? Du bist dann relativ<br />

schnell nach Berlin gegangen.<br />

Das klappte glücklicherweise<br />

sehr gut. Ich hatte schon einen<br />

Tag nach meiner Abschlussprüfung<br />

Proben für ein Festival in<br />

Monte-Carlo und hatte auch in<br />

Frankreich verschiedene Engagements.<br />

Dort konnte ich allerdings<br />

nicht dauerhaft bleiben,<br />

weil mein Visum nicht verlängert<br />

wurde.<br />

Glücklicherweise bekam ich<br />

in dieser Zeit einen Anruf aus<br />

Berlin. Dort suchten sie einen<br />

Tenor für das Jugend-Ensemble<br />

und so wurde ich Mitglied im internationalen<br />

Opernstudio der<br />

Deutschen Staatsoper. Das war<br />

ein wahrer Segen für mich.<br />

Inwiefern?<br />

Weil ich den Beruf dort richtig<br />

gelernt habe. Man spielt<br />

zwar nur kleine Rollen, aber auf<br />

der großen Bühne mit sehr berühmten<br />

Leuten. Was man vielleicht<br />

nicht unbedingt vermutet:<br />

Manchmal sind die kleinen<br />

Rollen komplizierter als die langen<br />

Passagen.<br />

Stell dir vor, du hast nur einen<br />

Satz: Wenn du den nicht ordentlich<br />

ablieferst, war es das!<br />

Eine zweite Chance bekommst<br />

du nicht, mit diesem Eindruck<br />

gehst du dann von der Bühne.<br />

32 | mind magazin <strong>140</strong>/februar 2021

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