Mind-Mag 140
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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SPIELPLATZ<br />
F<br />
ür gewöhnlich erzählt<br />
eine Netflix-Serie<br />
eine abgeschlossene<br />
Geschichte<br />
in mehreren Episoden.<br />
Bei der Miniserie „Das<br />
Damengambit“ sind es<br />
sieben Episoden zu je<br />
einer Stunde.<br />
Niemand hätte gedacht,<br />
dass diese Serie<br />
– zum Großteil in<br />
Berlin-Friedrichshain gedreht<br />
– solch einen Hype auslösen<br />
könnte: In 63 Ländern der Welt<br />
ist sie zum Jahresende 2020 auf<br />
Platz eins der abgerufenen Serien<br />
gelandet, laut FAZ wurde<br />
der Begriff Schach nie zuvor so<br />
häufig gegoogelt, auf dem Server<br />
von chess.com ist die Quote<br />
der Neuzugänge um 400 Prozent<br />
gestiegen und gemäß der<br />
ZEIT war der Absatz von Figuren<br />
und Brettern bei Schach Niggemann<br />
im November unglaubliche<br />
zehnmal so hoch wie im selben<br />
Monat des Vorjahres. Direkt<br />
vor Weihnachten gab es praktisch<br />
nirgendwo mehr Schachspiele<br />
zu kaufen.<br />
Grundlage für die Serie ist<br />
der Roman „The Queens Gambit“<br />
von Walter Tevis aus dem<br />
Jahr 1983, der bislang nur in<br />
englischer Sprache vorliegt. Im<br />
Kentucky/USA der 50er Jahre<br />
wächst die achtjährige Beth in<br />
MATTHIAS KRIBBEN<br />
Schachmärchen<br />
„Das Damengambit“ bei Netflix.<br />
einem Waisenhaus auf. Dort beobachtet<br />
sie im Keller den Hausmeister<br />
dabei, wie er heimlich<br />
gegen sich selbst Schach spielt.<br />
Es entwickelt sich eine spezielle<br />
Beziehung zwischen den beiden,<br />
der Hausmeister wird ihr<br />
Schachlehrer und sie kann dadurch<br />
dem grauen Alltag entfliehen.<br />
Sie besitzt großes Talent,<br />
und nach einem raschen<br />
Aufstieg mit mehreren Stationen<br />
sitzt sie – mittlerweile jugendlich<br />
– dem Weltmeister am<br />
Brett gegenüber.<br />
Worin liegt nun der besondere<br />
Charme dieser Serie? Zum einen<br />
ist es die Ausstattung. Die ZEIT<br />
spricht völlig zurecht von einem<br />
„wahren Ausstattungsrausch“.<br />
Zum anderen ist es das Ambiente,<br />
das der Szenenbildner Ulrich<br />
Hanisch gekonnt in Szene setzt –<br />
wie zuvor auch schon bei „Babylon<br />
Berlin“. Neben Hanisch trägt<br />
noch eine weitere Deutsche zum<br />
Erfolg der Serie bei: Gabriele<br />
Binder, die Kostümbildnerin<br />
von Beth.<br />
Es ist sensationell, wie<br />
sie geometrische Motive<br />
in Beths 60er-Jahre-<br />
Kostüme einwebt, ohne<br />
plump Schachbrettmuster<br />
zu verwenden.<br />
Es gibt viele Filme,<br />
die Schach thematisieren,<br />
aber wohl noch<br />
Foto: PHIL BRAY/NETFLIX<br />
nie ist es gelungen, so realitätsnahe<br />
Schachszenen zu schaffen.<br />
Kein geringerer als der ehemalige<br />
Weltmeister Kasparow wurde<br />
als Berater hinzugezogen.<br />
Die deutsche Nationalspielerin<br />
Filiz Osmanodja agierte als Finger-Double,<br />
viele Schachspieler<br />
aus Berlin waren als Komparsen<br />
tätig.<br />
Wer schon einmal eine<br />
Schachpartie beobachtet hat,<br />
weiß, was es zu sehen gibt, wenn<br />
sich die Kontrahenten grübelnd<br />
gegenübersitzen: Nichts. Zumindest<br />
nichts Sichtbares. Es<br />
passiert nämlich nichts Sichtbares.<br />
Unsichtbares sichtbar zu<br />
machen, schafft die Serie meisterhaft.<br />
Da in der deutschen<br />
Synchronisation der Begriff<br />
Game mit Spiel und nicht mit<br />
dem Schach-Terminus Partie<br />
übersetzt wird, ist zu empfehlen,<br />
die Serie im Original zu sehen.<br />
Viel Spaß dabei!<br />
mind magazin <strong>140</strong>/februar 2021 | 45