FineTobacco[+] 01|21
FREUDE AM LEBEN, SPASS AM GENUSS
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KAMTSCHATKA<br />
ahoi<br />
Von Kiki Baron<br />
Ich habe in vieler Beziehung<br />
Glück gehabt. Man kann sich<br />
nicht aussuchen, in welche Familie<br />
man hineingeboren wird. Meine<br />
Eltern waren weit davon entfernt<br />
begütert zu sein. Meine Mutter allerdings<br />
hatte mit Gütern zu tun. In den<br />
30er Jahren war sie Gutssekretärin<br />
auf einem zigtausend Hektar Anwesen<br />
in Schlesien. Dort war der Tisch<br />
stets reich gedeckt. Dort wurde gute<br />
frische Küche zelebriert, von der alle<br />
Angestellten profitierten. Dort lernte<br />
sie nicht nur Kutsche fahren und als<br />
junge unverheiratete Frau sich gegen<br />
aufsässige Knechte zu wehren. Sie<br />
verfeinerte zudem ihren Geschmack<br />
in Sachen Küche und Keller. Und<br />
fand großen Spaß an Brutzelei und<br />
Brotbacken. Von dieser Leidenschaft,<br />
gepaart mit Offenheit gegenüber<br />
fremdländischen Küchen, profitierte<br />
ich von klein auf. Mein Vater indes,<br />
vorm zweiten Weltkrieg als Bäcker<br />
ausgebildet, ging anschließend zur<br />
Seefahrtsschule und schipperte in<br />
den letzten 20 Lebensjahren als Kapitän<br />
um die Welt. So gesehen wurde<br />
mir das Reisen und die Lust auf<br />
Qualitätsküche bereits in die Wiege<br />
gelegt. Kam hinzu, dass mein Vater<br />
auf dem Schiff Zugang zu zollfreien<br />
Zigaretten und Spirituosen hatte und<br />
nämliche mit nachhause brachte. So<br />
konnte ich bereits im Teenageralter<br />
Freunde mit echtem Budweiser Bier<br />
und Pommery für 10 DM die Flasche<br />
bewirten. Dazu haben wir gepafft<br />
wie die Weltmeister. Ich spreche<br />
hier von den 70er Jahren. Geld war<br />
zwar knapp, doch meine Mutter aromatisierte<br />
bereits zehn Jahre früher<br />
ihren Kartoffelsalat mit Kamtschatka-Crabs<br />
aus der Dose. Ebenfalls aus<br />
spottbilligen Duty-free-Beständen.<br />
besuchen Sie auch<br />
LOGBUCH – DER PODCAST<br />
Aufzeichnungen einer<br />
Reisejournalistin<br />
@logbuch_podcast<br />
Jeden Sonntag eine neue Folge bei<br />
Spotifiy, Apple Podcast und Deezer.<br />
Der feine Geschmack der Königskrabbenbeine<br />
sowie das bunte Etikett<br />
auf der Dose, und nicht zuletzt<br />
der verheißungsvolle Name Kamtschatka<br />
hatten sich in meinem kindlichen<br />
Hirn derart eingenistet, dass<br />
die Halbinsel im fernen Russland<br />
nach Aufnahme meiner Tätigkeit als<br />
Reisejournalistin und Restaurantkritikerin<br />
ein Wunschziel wurde. 2016<br />
war es endlich soweit. Während einer<br />
Luxus-Kreuzfahrt durch das Ochotskische<br />
Meer mit MS „Silver Discoverer“<br />
stand ich auf dem Fischmarkt<br />
von Hauptstadt Petropavlosk Kamtschatski.<br />
Dort gab es die Monsterartigen<br />
Krebse bis zum Abwinken, doch<br />
zu einem Kilopreis, der sich kaum<br />
vom hiesigen unterschied. Zudem,<br />
wo abkochen? Unserem Schiffskoch<br />
war es untersagt, Lebensmittel von<br />
nichtlizensierten Ausrüstern in sein<br />
Reich zu bugsieren. Doch Gottlob, er<br />
drückte ein Auge zu. Mit russischen<br />
Kollegen legten wir Geld zusammen<br />
und so landete ein Monster von etwa<br />
einem Meter Durchmesser von einer<br />
Beinspitze zu gegenüberliegenden<br />
im Riesenkochpott. Einer der Kollegen<br />
griff nochmal tief in die Tasche<br />
und kaufte obendrein zwei Kilo reines<br />
Krebsfleisch. Das Gelage am<br />
Abend war eines Zaren würdig. Die<br />
Küche zauberte dazu eine opulente<br />
Selektion typisch russischer Beilagen.<br />
Feinster Wodka flutete im 5- Minuten-Takt<br />
unsere Kehlen. Zwischendurch<br />
das eine oder andere Gläschen<br />
Roederer Cristal. Zarenmäßig eben.<br />
Oder um es anders auszudrücken,<br />
auf die imperiale Spitze getriebener<br />
Ausdruck russischer Gastfreundschaft.<br />
Was blieb? Ein Tonnenschwerer<br />
Kopf am nächsten Morgen, kaputte<br />
Finger vom Krebsbeine - Knacken<br />
und die Glückseligkeit, einen langgehegten<br />
Traum aufs Allerfeinste erfüllt<br />
zu haben. Mehr geht nicht.<br />
<strong>FineTobacco</strong>[+] 01·2021 43