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FREUDE AM LEBEN, SPASS AM GENUSS

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Thema, das eine zentrale Rolle in Ritters<br />

Arbeiten einnehmen sollte: Der Gitarrenbauer<br />

sitzt auf dem Plüschsofa<br />

des mehrfachen Grammy-Gewinners,<br />

als ihm dieser aus seiner umfangreichen<br />

Sammlung ein eher unspektakuläres<br />

Instrument in die Hand drückt,<br />

das einen mittelmäßigen Klang hat.<br />

Wie er es findet, will der berühmte<br />

Musiker wissen. „It’s okay“, meint sein<br />

Gast diplomatisch. Auf dieser Gitarre<br />

habe er seinen Welthit „On Broadway“<br />

komponiert, erklärt George Benson.<br />

„Und auf ein Mal hielt ich etwas Legendäres<br />

in der Hand!“ sagt Jens Ritter<br />

heute: „Vielleicht hatte er sich auch nur<br />

einen Spaß erlaubt und die Gitarre war<br />

aus dem Baumarkt, aber in diesem<br />

Moment hatte sich bei mir dieser psychologische<br />

Input festgesetzt“. Von der<br />

Funktion erhält man den technischen,<br />

von der Information den seelischen<br />

Wert, lautet seine Erkenntnis.<br />

Colani, Stradivari & Co.<br />

Drei Jahre zuvor hatte Ritter ein<br />

ähnlich erhellendes Erlebnis. Zu den<br />

Künstlern, deren organische Arbeiten<br />

ihn schon immer faszinierten, zählen<br />

Constantin Brâncuși, Jean Arp, Barbara<br />

Hepworth und der Designer Luigi<br />

Colani. „Bei Colani hatte ich 2006<br />

einen Termin bekommen. Das war für<br />

mich der Hammer, weil ich ihn sehr<br />

verehre.“ Ihm zeigte er stolz seine<br />

neueste Arbeit, ein meisterhaftes Instrument<br />

in schwarzem Klavierlack:<br />

Als der Gitarrenbauer dem Designer<br />

das edle Stück mit weißen Samthandschuhen<br />

darreicht, zückt dieser einen<br />

weißen Lackstift und fängt an, darauf<br />

herumzukritzeln: „Kuck mal, das würde<br />

ich so machen... Und hier kannst<br />

du noch ein bisschen wegnehmen...“<br />

Plötzlich war das komplette Instrument<br />

besudelt! „Doch dann habe ich<br />

die Gitarre entgegengenommen“, erinnert<br />

sich Ritter heute, „und gedacht:<br />

„Whow – ich hab’ ein Instrument, auf<br />

dem sich Colani verewigt hat!“ Es war<br />

nun etwas komplett anderes. Lange<br />

Zeit hatte sich der Deidesheimer auf<br />

die technische Perfektion konzentriert.<br />

Nach und nach rückten aber<br />

andere Themen in den Fokus: Die tiefere<br />

Bedeutung, die Menschen Dingen<br />

beimessen und die psychologische<br />

Bindung zwischen Musiker und Instrument.<br />

In einem Blindtest kann ein<br />

Publikum nicht erkennen, welche Geige<br />

die Stradivari ist. Nur, wenn der Musiker<br />

seine Augenbinde abnimmt und<br />

sie mit einem anderen Wissen spielt.<br />

Der legendären Marke aus Cremona<br />

wollte Jens Ritter eines Tages auf den<br />

Grund gehen: Er gab sich als Journalist<br />

aus und fuhr nach Italien für einen<br />

fünfminütigen Pressetermin bei Dr.<br />

Andrea Mosconi, dem Konservator der<br />

Stradivari-Sammlung. Sofort hatte<br />

Mosconi rausbekommen, dass der Besucher<br />

Gitarrenbauer ist, aus den fünf<br />

Minuten wurde ein halber Tag, und der<br />

Pfälzer durfte in einem inoffiziellen<br />

Museum alle Geigen und Schablonen<br />

fotografieren. Dann die entscheidende<br />

Frage: Was macht die Stradivari so besonders?<br />

Die schockierende Antwort<br />

des Dottore: Stradivari war ein gigantischer<br />

Marketingmann. Er hat seine<br />

Geigen dem König von Frankreich<br />

geschenkt und das dortige Orchester<br />

ausgestattet. Es gab noch andere Highend-Geigenbauer,<br />

aber die waren<br />

einfach „nur Handwerker“, während<br />

Stradivari verstanden hatte, dass die<br />

Geige mehr ist als ein Werkzeug.<br />

Sushi mit Bodenhaftung<br />

Früher gab es bei „Ritter Instruments“<br />

nur eine Checkliste, um die<br />

technischen Daten beim Kunden abzufragen.<br />

Die gibt es immer noch.<br />

Aber heute lernt man sich beim Essen<br />

kennen, trinkt vielleicht einen Pfälzer<br />

Riesling und hört einander zu: Was ist<br />

der Kunde für ein Mensch? Was macht<br />

er? Was sind seine Storys? Ritter will<br />

eine enge Bindung zwischen dem Musiker<br />

und seinem Instrument schaffen.<br />

Und sei es auch nur durch einen<br />

Fußabdruck, den ein frischgebackener<br />

Vater von seinem Baby auf dem Gitarrenkorpus<br />

hat. „Das ist keine Esoterik,<br />

sondern einfachste Psychologie.“ Man<br />

kann dem Designer aber auch völlig<br />

freie Hand lassen. „Omakase“ nennt er<br />

das – ein Begriff, den der Sushi-Liebhaber<br />

der japanischen Küche entlehnt<br />

hat: Der Gast überlässt dem Koch die<br />

Wahl der Speisen. Doch egal, für welches<br />

Menü man sich entscheidet, Geduld<br />

ist wichtig. Denn in Deidesheim<br />

werden pro Jahr nur etwa 70 Instrumente<br />

gefertigt und die Nachfrage ist<br />

weit höher. Verliert man da nicht die<br />

Bodenhaftung bei so viel Zuspruch und<br />

prominenten Bekanntschaften? Der<br />

Endvierziger lächelt: „In den letzten 25<br />

Jahren habe ich im Musikbusiness gelernt,<br />

dass alle Menschen, die langsam<br />

zu Weltstars geworden sind, Bodenhaftung<br />

besitzen.“ Ob mit dem Schlagzeuger<br />

von Deep Purple in der Innenstadt<br />

von Montreux oder mit Sting in<br />

der Warteschlange Richtung Sektstand<br />

– alles normale Menschen. Und er erinnert<br />

sich an den Superstar Prince,<br />

mit dem ihn eine enge Freundschaft<br />

verband, wie er einmal einer Putzfrau<br />

aufhalf, die gestürzt war. Sein Tod 2016<br />

hat ihn tief getroffen. „Von ihm habe ich<br />

wahnsinnig viel gelernt...“<br />

Die Essenz der Heimat<br />

Trotz seiner internationalen Kontakte<br />

wollte Jens Ritter nie weg aus der<br />

Pfalz. Mit der Region ist er tief verwurzelt<br />

wie ein alter Weinstock. Manchmal<br />

plant er auch Aktionen mit den<br />

örtlichen Weingütern. So etwa 2017:<br />

die Versteigerung einer Gitarre, deren<br />

Korpus einige Monate im Weißwein lag.<br />

Mit der Auktion und dem Verkauf der<br />

Weine wurden schließlich 32.000 Euro<br />

für die Kinderkrebshilfe erzielt. Für das<br />

örtliche SOS Kinderdorf konnte 2021<br />

ebenfalls eines seiner Instrumente für<br />

<strong>FineTobacco</strong>[+] 01·2021 59

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