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Flensburg Journal - 226 Juli 2021

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MITTENDRIN Generation

50 plus

Kindheitserinnerungen

Je älter man wird, umso mehr verblassen

Erinnerungen an die Kindheit. Es

ist trotzdem erstaunlich, an welche

Begebenheiten man sich im Alter von

85 Jahren doch noch erinnert. Ich

bin 85 Jahre alt und erblickte am 23.

Dezember 1935 in dem kleinen Dorf

Wigrinnen in Ostpreußen das Licht der

Welt.

Elektrizität gab es nicht. In unserem

von meinen Eltern erbauten Haus wurden

die Zimmer mit Kachelöfen beheizt.

Licht gab es von Petroleumlampen.

Mit Petroleum verursachte mein

damals drei Jahre alter Bruder eine

kleine Katastrophe. Zum Haus gehörte

ein größeres Grundstück, auf dem

jedes Jahr Weißkohl angebaut wurde,

um für den eigenen Bedarf Sauerkraut

in einem größeren Fass herzustellen.

Mein kleiner Bruder schaffte es, den

Deckel, der mit einem schweren Stein

beschwert war, vom Sauerkrautfass

beiseite zu schieben und goss mit

einer Petroleumkanne Petroleum in

das Sauerkraut. Ein Donnerwetter war

sicher die Folge. Ich erinnere mich

nicht, ob das Fass wieder benutzt werden

konnte.

Aus beruflichen Gründen meines Vaters

zogen wir nach Königsberg. Er bekam

dort Arbeit als Elektriker auf der

Schichau-Werft. Wir wohnten in einer

Werftsiedlung. Die Entfernung zur

Stadt betrug etwa sechs, zur nächsten

Straßenbahnhaltestelle etwa vier

Kilometer. Die Bedingungen zum Spielen

waren für uns Kinder ideal.

An einer Seite der Siedlung führte ein

etwa 250 Meter langer Hohlweg von

der Straße zu einer riesigen Wiesenfläche.

Die drei bis fünf Meter hohen

Hohlwegseiten liefen wir runter und

kletterten wieder rauf oder rutschten

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„ik bin

all wedder

op EXKURSION“

auf den Füßen oder mit Pappkartons

runter. Die Schuhe und Hosen litten

verständlicherweise und zu Hause gab

es so manches Donnerwetter.

Ein Spiel, das man heute noch gelegentlich

sieht, habe ich gut in Erinnerung:

das Kreiselspiel. Dazu gehörten

eine Peitsche und ein konischer Holzkreisel,

etwa sechs bis sieben Zentimeter

hoch, der unten eine Metallspitze

und oben einen Durchmesser

von rund fünf bis sieben Zentimetern

hatte. Um den Kreisel in Bewegung zu

setzen, wickelte man einige Windungen

der Peitschenschnur um den Kreisel

und zog die Schnur mit einem kräftigen

Ruck der Peitsche vom Kreisel.

Der setzte sich dann drehend in Bewegung.

Es gelang nicht immer, man

brauchte einige Übung. Dann schlug

man seitlich mit der Peitschenschnur

gegen den Kreisel und hielt ihn damit

in Bewegung.

Wir spielten das Spiel oft zu zweit, jeder

mit einer Peitsche und einem Kreisel.

Wer eine vorgegebene Strecke als

Erster bewältigte, war der Gewinner.

Manchmal spielten wir mit zwei Mannschaften

und peitschten uns stundenlang

um die Wohnblöcke.

Auch die riesige Wiesenfläche am

Ende des Hohlwegs war eine ideale

Spielfläche. Seit Jahr und Tag wurde

dort Torf gestochen. Die bis zu drei

Meter tiefen Torfgruben waren von

Büschen und Bäumen umrandet. An

den Ästen hängend versuchten wir

mit den Füßen die Wasseroberfläche

zu berühren. Was für ein Leichtsinn!

Die Teiche waren schließlich zwei bis

drei Meter tief und wir konnten alle

nicht schwimmen.

Eine weitere Erinnerung habe ich an

das Radfahren. Mein Vater hatte ein

Herrenrad. Ich versuchte, damit Rad-

fahren zu lernen, kam aber

nicht auf die Pedale runter,

weil die obere Stange zu hoch

und ich zu klein war. Ich versuchte

unterhalb der Stange

mit den Füßen auf die Pedale

zu treten. Das war nicht so

einfach: Körper in Schräglage,

Kopf in Lenkerhöhe und die

Hände über dem Kopf am Lenker.

Viele Stürze waren die Folge.

Ich weiß heute nicht mehr,

nach wie vielen Versuchen ich

dann Radfahren konnte.

Um unser Einkommen aufzubessern,

hat mein Vater

in einem Königsberger Lokal

musiziert. Er spielte Bandonium

und half außerdem bei

der Bedienung der Gäste aus.

Eine besondere Spezialität des

Lokals war als Fleischgericht

„gebratene Saatkrähe“.

Dann begann im September

1939 der Zweite Weltkrieg mit

dem Einmarsch der Deutschen

in Polen.

Mein Vater wurde im August

1944 als Soldat eingezogen.

Im Oktober 1944 erhielt meine

Mutter die Nachricht, dass

mein Vater nach Kämpfen

mit der russischen Armee bei

Wirballen im ostpreußischen

Grenzgebiet vermisst wurde.

Ich habe ihn nie wiedergesehen.

Im Januar 1945 flüchtete meine

Mutter mit mir und meinem

sechs Monate alten Bruder mit

dem Schiff aus Königsberg.

Wir landeten am 7. Mai 1945

im Freihafen von Flensburg.

Am 8. Mai 1945 kapitulierte

Deutschland. Flensburg wurde

bis zum heutigen Tag unsere

und meine neue Heimat.

Kurt Tomaschewski

66 FLENSBURG JOURNAL • 07/2021

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