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MITTENDRIN Generation
50 plus
Kindheitserinnerungen
Je älter man wird, umso mehr verblassen
Erinnerungen an die Kindheit. Es
ist trotzdem erstaunlich, an welche
Begebenheiten man sich im Alter von
85 Jahren doch noch erinnert. Ich
bin 85 Jahre alt und erblickte am 23.
Dezember 1935 in dem kleinen Dorf
Wigrinnen in Ostpreußen das Licht der
Welt.
Elektrizität gab es nicht. In unserem
von meinen Eltern erbauten Haus wurden
die Zimmer mit Kachelöfen beheizt.
Licht gab es von Petroleumlampen.
Mit Petroleum verursachte mein
damals drei Jahre alter Bruder eine
kleine Katastrophe. Zum Haus gehörte
ein größeres Grundstück, auf dem
jedes Jahr Weißkohl angebaut wurde,
um für den eigenen Bedarf Sauerkraut
in einem größeren Fass herzustellen.
Mein kleiner Bruder schaffte es, den
Deckel, der mit einem schweren Stein
beschwert war, vom Sauerkrautfass
beiseite zu schieben und goss mit
einer Petroleumkanne Petroleum in
das Sauerkraut. Ein Donnerwetter war
sicher die Folge. Ich erinnere mich
nicht, ob das Fass wieder benutzt werden
konnte.
Aus beruflichen Gründen meines Vaters
zogen wir nach Königsberg. Er bekam
dort Arbeit als Elektriker auf der
Schichau-Werft. Wir wohnten in einer
Werftsiedlung. Die Entfernung zur
Stadt betrug etwa sechs, zur nächsten
Straßenbahnhaltestelle etwa vier
Kilometer. Die Bedingungen zum Spielen
waren für uns Kinder ideal.
An einer Seite der Siedlung führte ein
etwa 250 Meter langer Hohlweg von
der Straße zu einer riesigen Wiesenfläche.
Die drei bis fünf Meter hohen
Hohlwegseiten liefen wir runter und
kletterten wieder rauf oder rutschten
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Ivonne Spieß
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„ik bin
all wedder
op EXKURSION“
auf den Füßen oder mit Pappkartons
runter. Die Schuhe und Hosen litten
verständlicherweise und zu Hause gab
es so manches Donnerwetter.
Ein Spiel, das man heute noch gelegentlich
sieht, habe ich gut in Erinnerung:
das Kreiselspiel. Dazu gehörten
eine Peitsche und ein konischer Holzkreisel,
etwa sechs bis sieben Zentimeter
hoch, der unten eine Metallspitze
und oben einen Durchmesser
von rund fünf bis sieben Zentimetern
hatte. Um den Kreisel in Bewegung zu
setzen, wickelte man einige Windungen
der Peitschenschnur um den Kreisel
und zog die Schnur mit einem kräftigen
Ruck der Peitsche vom Kreisel.
Der setzte sich dann drehend in Bewegung.
Es gelang nicht immer, man
brauchte einige Übung. Dann schlug
man seitlich mit der Peitschenschnur
gegen den Kreisel und hielt ihn damit
in Bewegung.
Wir spielten das Spiel oft zu zweit, jeder
mit einer Peitsche und einem Kreisel.
Wer eine vorgegebene Strecke als
Erster bewältigte, war der Gewinner.
Manchmal spielten wir mit zwei Mannschaften
und peitschten uns stundenlang
um die Wohnblöcke.
Auch die riesige Wiesenfläche am
Ende des Hohlwegs war eine ideale
Spielfläche. Seit Jahr und Tag wurde
dort Torf gestochen. Die bis zu drei
Meter tiefen Torfgruben waren von
Büschen und Bäumen umrandet. An
den Ästen hängend versuchten wir
mit den Füßen die Wasseroberfläche
zu berühren. Was für ein Leichtsinn!
Die Teiche waren schließlich zwei bis
drei Meter tief und wir konnten alle
nicht schwimmen.
Eine weitere Erinnerung habe ich an
das Radfahren. Mein Vater hatte ein
Herrenrad. Ich versuchte, damit Rad-
fahren zu lernen, kam aber
nicht auf die Pedale runter,
weil die obere Stange zu hoch
und ich zu klein war. Ich versuchte
unterhalb der Stange
mit den Füßen auf die Pedale
zu treten. Das war nicht so
einfach: Körper in Schräglage,
Kopf in Lenkerhöhe und die
Hände über dem Kopf am Lenker.
Viele Stürze waren die Folge.
Ich weiß heute nicht mehr,
nach wie vielen Versuchen ich
dann Radfahren konnte.
Um unser Einkommen aufzubessern,
hat mein Vater
in einem Königsberger Lokal
musiziert. Er spielte Bandonium
und half außerdem bei
der Bedienung der Gäste aus.
Eine besondere Spezialität des
Lokals war als Fleischgericht
„gebratene Saatkrähe“.
Dann begann im September
1939 der Zweite Weltkrieg mit
dem Einmarsch der Deutschen
in Polen.
Mein Vater wurde im August
1944 als Soldat eingezogen.
Im Oktober 1944 erhielt meine
Mutter die Nachricht, dass
mein Vater nach Kämpfen
mit der russischen Armee bei
Wirballen im ostpreußischen
Grenzgebiet vermisst wurde.
Ich habe ihn nie wiedergesehen.
Im Januar 1945 flüchtete meine
Mutter mit mir und meinem
sechs Monate alten Bruder mit
dem Schiff aus Königsberg.
Wir landeten am 7. Mai 1945
im Freihafen von Flensburg.
Am 8. Mai 1945 kapitulierte
Deutschland. Flensburg wurde
bis zum heutigen Tag unsere
und meine neue Heimat.
Kurt Tomaschewski
66 FLENSBURG JOURNAL • 07/2021