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Advance-Chefin Alkistis Petropaki*<br />
«Ich habe vorgegeben,<br />
dass ich mich für<br />
Fussball interessiere»<br />
Frau Petropaki, Sie haben mehr<br />
als 20 Jahre Erfahrung in leitenden<br />
Positionen und sind Mutter<br />
von zwei Teenagern. Wie zielstrebig<br />
mussten Sie dafür sein?<br />
Ich würde es nicht unbedingt Zielstrebigkeit<br />
nennen, sondern meine<br />
Arbeit hat mir schon immer sehr<br />
viel Freude gemacht. Auch wollte<br />
ich stets finanziell unabhängig<br />
sein. Daher habe ich mich bewusst<br />
für eine Karriere entschieden. Ein<br />
Job im Management verlangt<br />
schnell mehr als 100 % Zeiteinsatz.<br />
Das bedeutet Kompromisse: Speziell<br />
als meine Kinder klein waren,<br />
hatte ich kaum Zeit für mich selbst.<br />
Was waren die kritischsten<br />
Momente Ihrer Karriere?<br />
Als ich mein zweites Kind bekam.<br />
Das war der Moment, als ich zweifelte,<br />
ob es richtig ist weiterzuarbeiten.<br />
Rückblickend weiss ich,<br />
dass diese Zweifel gar nicht von<br />
mir selber kamen, sondern von<br />
meinem Umfeld. Ich habe oft gehört,<br />
dass ich eine Egoistin sei,<br />
weil ich die eigenen Ziele über das<br />
Wohlergehen meiner Kinder stelle,<br />
oder dass meine Kinder arm dran<br />
seien, weil ich z. B. beim Räbenschnitzen<br />
im Kindergarten nicht<br />
dabei sein konnte. Mein Mann hat<br />
nie solche Vorwürfe gehört. Damals<br />
hatten diese Aussagen weh<br />
getan. Heute weiss ich, dass meine<br />
Entscheidung für mich und auch<br />
für die ganze Familie richtig war.<br />
Mussten Sie sich in der Vergangenheit<br />
verstellen, um im Job<br />
weiterzukommen?<br />
Oh ja! Am Anfang meiner Karriere<br />
habe ich sehr oft das Verhalten<br />
meiner männlichen<br />
Kollegen<br />
imitiert. Ich habe<br />
etwa versucht,<br />
Emotionen zu<br />
verstecken, oder<br />
vorgegeben, dass<br />
ich mich für Fussball interessiere,<br />
und manchmal geschwindelt, wenn<br />
ich meine Kinder abholen musste.<br />
Es war unverfänglicher zu erzählen,<br />
dass ich ein externes Kundenmeeting<br />
hatte. Damals war ich<br />
sehr oft die einzige Frau und bin sicher,<br />
dass ich als Exot schlechtere<br />
Karten für eine Beförderung<br />
gehabt hätte.<br />
Mit Advance engagieren Sie sich<br />
für mehr Frauen in Führungspositionen.<br />
Wo liegen die grössten<br />
Herausforderungen?<br />
Oft konzentrieren sich Massnahmen<br />
noch viel zu stark auf Frauen.<br />
Verdient eine Frau weniger, führt<br />
man es darauf zurück, dass sie<br />
nicht so hart verhandle wie ein<br />
Mann. Oder wurde eine Frau nicht<br />
befördert, dann ist es, weil sie<br />
nicht mutig genug sei. Diese gängigen<br />
Rationalisierungen anerkennen<br />
nicht, dass die Hürden oft<br />
systemisch sind. Also versucht<br />
man(n), die Frauen so zu verändern,<br />
dass sie wie Männer agieren.<br />
Stattdessen sollte man das System<br />
durchleuchten und die Stellen korrigieren,<br />
welche Frauen – oder<br />
weibliche Werte und Handlungsweisen<br />
generell – diskriminieren.<br />
Ein Appell an die Frauen?<br />
Eher ein ausdrücklicher Appell an<br />
alle Leader: «Fix the system, not<br />
the women.»<br />
* Advance ist der führende Wirtschaftsverband für die Gleichstellung der Geschlechter<br />
in der Schweiz, ein Netzwerk von über 120 Schweizer Unternehmen, die sich der<br />
Erhöhung des Frauenanteils im Management verschrieben haben.<br />
31<br />
Wenig Frauen<br />
vor allem<br />
im Top-Kader<br />
Zwar beträgt der Frauenanteil im<br />
unteren Kader inzwischen rund<br />
ein Drittel, aber schon im<br />
mittleren Management wird die<br />
Luft mit 23 Prozent dünner.<br />
Bei den Top-Kadern beträgt<br />
der Frauenanteil gerade einmal<br />
18 Prozent, wie Zahlen des<br />
aktuellen Gender Intelligence<br />
Report 2021 zeigen. Bedenklich,<br />
wenn man berücksichtigt, dass<br />
die Geschlechterverteilung im<br />
Nicht-Kader ausgewogen ist<br />
und an den Schweizer Hochschulen<br />
heute sogar mehr Frauen<br />
als Männer studieren.<br />
Muss-Kriterien beschränken. «Das sind<br />
jeweils etwa vier bis fünf», so Niedermann.<br />
Ansonsten läuft man Gefahr, dass<br />
sich qualifizierte Frauen den Job nicht<br />
zutrauen. Denn: «Frauen wollen 80 bis<br />
100 Prozent der Kriterien erfüllen. Derweil<br />
sich Männer schon mit 50 Prozent<br />
zufriedengeben.» Ein weiterer kritischer<br />
Punkt in der Stellenanzeige ist die Berufserfahrung.<br />
«Sind acht bis zehn Jahre<br />
tatsächlich nötig?», so Niedermann.<br />
«Unternehmen sollten sich fragen, worauf<br />
es wirklich ankommt.»<br />
Weg von der Chemie<br />
Damit Frauen aber auch im Bewerbungsprozess<br />
eine Chance haben, braucht es<br />
systematische Auswahlverfahren. Denn<br />
gerade in den oberen Managementstufen<br />
sind die Entscheidungsgremien noch<br />
immer sehr homogen (sprich: männlich<br />
und Ü40). Das Problem dabei, so Niedermann:<br />
«Man rekrutiert und befördert,<br />
was einem ähnlich ist.» (Siehe auch Artikel<br />
zu «Unconscious Bias» auf Seite 58).<br />
Umso wichtiger sind transparente<br />
Messkriterien. Der Lebenslauf kann<br />
beispielsweise auf vorgängig bestimmte<br />
Eigenschaften geprüft werden. Oder alle,<br />
die sich bewerben, machen einen Online-<br />
Test und erhalten so Punkte für Fähigkeiten<br />
und Persönlichkeit. Gespräche sollten<br />
kompetenzbasiert und unter Anwendung<br />
des Mehraugenprinzips geführt werden. →