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Naturwissenschaften<br />
«Ich musste sicherlich mehr<br />
leisten als meine Kollegen.<br />
Weil ich eine Frau bin.»<br />
Kathrin Altwegg, Weltraumforscherin<br />
Fotos: Manu Friederich, Barbara Keller<br />
Als sie über ihr Studium spricht,<br />
kommen ihr die Tränen. Kathrin<br />
Altwegg (69) ist emeritierte Professorin<br />
für Astrophysik und eine Pionierin<br />
in ihrem Fach. International bekannt<br />
wurde sie als «Kometenjägerin» der ESA-<br />
Raumfahrtmission Rosetta. Sie hat den<br />
Massenspektrometer «Rosina» an Bord<br />
der Raumsonde entwickelt, die auf dem<br />
fernen Kometen Tschuri die Grundbausteine<br />
des Lebens entdeckte. Sie hatte<br />
eine erfolgreiche, aufregende Karriere.<br />
Doch wenn sie zurückdenkt an ihr Physikstudium<br />
an der Universität Basel,<br />
«kommen schon ein paar Emotionen<br />
hoch». Die Einsamkeit als einzige Frau<br />
im Vorlesungssaal, das Gefühl, wegen<br />
ihres Geschlechts nicht ernst genommen<br />
zu werden von den Herren Professoren,<br />
die abschätzigen Kommentare, die ständigen<br />
Zweifel am eigenen Können, «das<br />
nagt an einem».<br />
Sie kann sich gut an den älteren Professor<br />
erinnern, der ihr sagte, sie solle doch<br />
besser beim Warenhaus EPA Strümpfe<br />
verkaufen, als Physik zu studieren. Der<br />
Macht der Professoren war sie ausgeliefert,<br />
Gleichstellungsbeauftragte gab es damals<br />
nicht, «zu denen wäre ich damals längst<br />
gegangen». Zum Glück sei sie eine «Rossnatur»<br />
und habe es sich in den Kopf gesetzt,<br />
es allen zeigen zu wollen. Damit sei<br />
sie aber in die Falle getreten, perfekt sein<br />
zu wollen, besser als alle anderen. «Ich<br />
musste sicherlich mehr leisten als meine<br />
Kollegen. Weil ich eine Frau bin.»<br />
Heute sind Frauen in naturwissenschaftlichen<br />
Studiengängen nicht einsam.<br />
Dennoch bleiben sie eine Minderheit.<br />
Insbesondere die MINT-Fächer –<br />
Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft<br />
und Technik – sind in Männerhand.<br />
Laut Bundesamt für Statistik waren<br />
vergangenes Jahr an den Schweizer<br />
Universitäten nur 18,4 Prozent der Informatik-Studienanfänger<br />
weiblich, in den<br />
Technikwissenschaften waren es 23 Prozent;<br />
an den Fachhochschulen waren die<br />
Frauenanteile in denselben Fächern mit<br />
rund 16 und 14 Prozent noch geringer.<br />
Dabei versuchen Hochschulen, Stiftungen,<br />
Unternehmen und die Politik seit<br />
Jahren, den Frauenanteil bei den MINT-<br />
Fächern mit Förderprogrammen zu steigern<br />
– mit mässigem Erfolg. Laut der<br />
Konjunkturforschungsstelle KOF an der<br />
ETH Zürich stieg zwischen 2009 und<br />
2019 die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen<br />
ein MINT-Studium beginnen, bloss von<br />
17,3 auf 20,6 Prozent. Bei den Männern<br />
hingegen von 43,9 auf 48,4 Prozent. Warum<br />
schrecken Frauen trotz aller Bemühungen<br />
vor MINT-Fächern zurück? Und<br />
wie liessen sie sich für diese Studiengänge<br />
begeistern?<br />
Das Problem sei weniger der Wissenschaftsbetrieb<br />
als die Gesellschaft, sagt<br />
Susanne Metzger. Die Physikerin leitet<br />
das Zentrum für Naturwissenschaftsund<br />
Technik didaktik an der Pädagogischen<br />
Hochschule Nordwestschweiz und<br />
ist Vorsitzende der Fachkommission<br />
MINT der Akademien der Wissenschaften<br />
Schweiz. «Noch immer sind traditionelle<br />
Geschlechterrollen tief in der<br />
Gesellschaft verankert», sagt sie. Fördermassnahmen,<br />
die Frauen für MINT-<br />
Fächer begeistern sollen, fruchten demnach<br />
nur begrenzt. Zu stark wirken die<br />
Geschlechterstereotypen.<br />
Gemäss dieser Vorstellung sind Fachpersonen<br />
in Physik, Technik, ja Forschende<br />
allgemein weiterhin vor allem<br />
Männer. «Diese Prägung beginnt bereits<br />
im Kindergarten.» Dort gehen die Buben<br />
in die Ecke mit den technischen Spielzeugen,<br />
den Autos, Baggern und Metallbaukästen.<br />
Von den Mädchen aber wird erwartet,<br />
dass sie in die Bäbi-Ecke mit dem<br />
Susanne Metzger, Physikerin Tante-Emma-Laden und dem Kochherd →<br />
«Wenn sich intelligente<br />
Frauen nicht trauen,<br />
ein MINT-Fach zu<br />
studieren, verlieren wir<br />
viel Potenzial.»<br />
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