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Geschlechtergerechte Sprache<br />

Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch ist Mitbegründerin<br />

der feministischen Linguistik. Seit 40 Jahren<br />

fordert sie eine geschlechtergerechte Sprache. Ihre<br />

damaligen Vorschläge erscheinen heute noch radikal.<br />

Interview: Adrian Meyer<br />

Fotos: Mario Wezel<br />

Frau Pusch, welches ist das ärgerlichste Wort<br />

der deutschen Sprache?<br />

Das Wort «Herr». Mich störte immer, dass der Mann<br />

genau wie Gott der Herr angeredet wird: «Herr<br />

Schulze, Herr Gott». Gottgleich – so sehen sich die<br />

Herren gern.<br />

Wann haben Sie erkannt, dass Sprache<br />

patriarchalisch ist?<br />

Recht spät, Ende der 70er-Jahre. Da war ich bereits<br />

35 Jahre alt. Ich hatte mich an der Universität<br />

Konstanz habilitiert und war dort<br />

in der Frauenbewegung aktiv. In meiner<br />

Forschung spielte der Feminismus dennoch<br />

keine Rolle. Ich glaubte, Sprache<br />

sei vom Patriarchat wenig betroffen.<br />

Pustekuchen! Aufgeklärt hat mich meine<br />

Kollegin Senta Trömel-Plötz mit ihrem wegweisenden<br />

Aufsatz «Linguistik und Frauensprache».<br />

Durch eigene Analysen ist mir<br />

klar geworden, dass die deutsche Sprache<br />

noch viel sexistischer ist, als wir Frauen dachten.<br />

Das hat mich wütend gemacht.<br />

Als Pionierin der feministischen Linguistik<br />

kämpfen Sie seit 40 Jahren für eine geschlechtergerechte<br />

Sprache. Worum geht es Ihnen?<br />

Um Gerechtigkeit. Die deutsche Sprache ist ungerecht.<br />

Der Mann ist die Norm, die Frau ist die Abweichung.<br />

Es heisst «der Lehrer, die Lehrerin».<br />

Weibliche Bezeichnungen werden aus den männlichen<br />

abgeleitet. Das macht Frauen zweitrangig und<br />

ist diskriminierend. Genau wie die Behauptung,<br />

männliche Bezeichnungen seien geschlechtsneutral<br />

und meinten die Frauen mit. Das nennt man den<br />

generischen Gebrauch des Maskulinums oder kurz<br />

das generische Maskulinum.<br />

Wie wirkt das generische Maskulinum?<br />

Es macht uns Frauen unsichtbar. Psycholinguistische<br />

Studien haben bewiesen, dass bei maskulinen<br />

Bezeichnungen die meisten Menschen an Männer<br />

denken. Ein Klassiker ist der Satz: «99 Sängerinnen<br />

Der Genderstern<br />

macht<br />

nicht binäre,<br />

diversgeschlechtliche<br />

Identitäten<br />

sprachlich<br />

sichtbar («Lehrer*innen»).<br />

Er<br />

ist heute das<br />

am häufigsten<br />

verwendete<br />

Gender-<br />

Schriftzeichen.<br />

47<br />

und ein Sänger sind 100 Sänger.» Dass Frauen nicht<br />

zählen, kann man nicht deutlicher ausdrücken.<br />

Ihr Buch «Das Deutsche als Männersprache»<br />

wurde 1984 zum Bestseller. Die deutsche Grammatik<br />

beschreiben Sie darin als System struktureller<br />

Gewalt gegen Frauen.<br />

Die deutsche Sprache bildet die Machtverhältnisse<br />

im Patriarchat unheimlich exakt ab. Gleichzeitig<br />

sorgen die sprachlichen Ungerechtigkeiten dafür,<br />

dass sich diese Machtverhältnisse von<br />

selbst erneuern und verfestigen. Im Grundgesetz<br />

steht, dass Frauen und Männer<br />

gleichberechtigt sind. Das schliesst für<br />

mich die Sprache mit ein. Wenn Frauen<br />

aber sprachlich überfahren werden durch<br />

männliche Bilder, müssen wir das ändern.<br />

Wie geht das am besten?<br />

Das ist die grosse Frage. Die meisten möchten<br />

sofort die Sprache ändern. Ich weiss als<br />

Linguistin, wie kompliziert das ist. Es muss trotzdem<br />

angegangen werden. Eine geschlechtergerechte<br />

Sprache schafft das Patriarchat nicht ab, aber sie<br />

schafft Raum für Frauen und damit Bewusstsein.<br />

Das ist ihr grösster Einfluss.<br />

Sie machten 1980 einen Vorschlag, der heute noch<br />

radikal erscheint. Ausgerechnet die Endungen<br />

«-in» und «-innen» sollten abgeschafft werden.<br />

Es hiesse also: der, die, das Arzt.<br />

Damit würde die deutsche Sprache geschlechtsneutraler,<br />

ähnlich wie im Englischen. Weibliche<br />

Endungen sind eigentlich überflüssig. Es heisst<br />

«der oder die Angestellte», man könnte also gut «der<br />

Arzt, die Arzt» sagen. Und mit «das Arzt» bezeichnen<br />

wir Menschen egal welchen Geschlechts. Als ich<br />

das vorschlug, waren die Frauen wütend auf mich.<br />

Da kämpften sie jahrelang für weibliche Bezeichnungen<br />

und sollten nun alles plötzlich geschlechtsneutral<br />

sehen! Das fanden sie unerträglich. Ich<br />

habe das eingesehen und entwickelte das Zwei-<br />

Phasen-Modell.<br />

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