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Rolemodels<br />
Anfang der 2000er ein wildes Leben in Berlin, wo<br />
er sich durch Gelegenheitsjobs und die Nächte der<br />
Grossstadt hangelte. Zurück in Luzern, schrieb<br />
und spielte er Theaterstücke, gründete eine Eventagentur,<br />
moderierte, gab Punk-Konzerte, erfand<br />
Brettspiele und wurde zwischenzeitlich Vater.<br />
Nach seinen turbulenten Jahren stieg er 2010 in<br />
Schlieren wieder in den Kindergärtner-Job ein:<br />
«Ich kam aus dem Chaos und brauchte Struktur.»<br />
Zum Kindergärtner ausbilden liess sich Deville<br />
am kantonalen Seminar für Kindergärtnerinnen in<br />
Luzern, so hiess die Schule damals. Er war der einzige<br />
Mann unter 300 Studentinnen, Männer-WCs<br />
gab es an der Schule keine. «Auf meinem Diplom<br />
steht ‹Kindergärtnerin›», sagt er, «das -in haben<br />
sie überklebt.» Trotzdem habe sein Geschlecht nie<br />
eine Rolle gespielt – weder bei ihm, bei den Mitstudentinnen<br />
noch bei den Kindern, die er unterrichtete.<br />
Den Kindern sei es egal, ob ein Mann oder<br />
eine Frau vor ihnen steht. «Viel wichtiger ist, ob<br />
du mit Freude, Motivation und Ausdauer deinen<br />
Job machst.» Daher hält er wenig davon, in pädagogischen<br />
Einrichtungen eine Quotenregelung<br />
einzuführen. «Obwohl ich eigentlich ein Anhänger<br />
von Quoten bin.»<br />
Auffallend an Deville war ohnehin nicht, dass er<br />
ein Mann war. Es waren seine gebleichten Haare,<br />
die Springerstiefel, die Sex-Pistols-T-Shirts. Seine<br />
erste Stelle war an einem Kindergarten in Ballwil<br />
im Luzerner Seetal. Deville wollte Kindergarten<br />
anders machen, anarchischer, freier. «Nach wenigen<br />
Tagen merkte ich, das geht schief. Die Kinder<br />
machten mir die Hölle heiss.» Sehr schnell musste<br />
der Anarchist Regeln und Strukturen einführen.<br />
«Im Kindergarten habe ich gelernt, Verantwortung<br />
zu übernehmen, kompetent aufzutreten, zu organisieren»,<br />
sagt er. Für seine spätere Bühnenund<br />
TV-Karriere war die Zeit als Kindergärtner<br />
ein optimales Training: «Kinder sind das härteste<br />
Publikum», sagt Deville. «Wenn ihnen langweilig<br />
ist, stehen sie auf und gehen weg. Egal, wie viel<br />
Mühe du dir gibst.»<br />
Tatsächlich hallen seine Chindsgi-Erfahrungen<br />
bis heute nach: Ab 2012 ging er mit seinem Programm<br />
«Kinderschreck» auf Tournee. Vor drei Jahren<br />
erschien sein Buch «Pogo im Kindergarten», in<br />
welchem er die verrücktesten Geschichten aus der<br />
Zeit sammelte. Und noch immer träume er mindestens<br />
einmal im Monat vom Kindergarten: dass er<br />
verschlafen habe, sich nicht für den Elternabend<br />
vorbereitete oder ein Kind verloren ging. «Man hat<br />
mich zwar aus dem Kindergarten», sagt er, «aber<br />
den Kindergarten nicht aus mir gebracht.»<br />
«Der Beruf<br />
macht mir Spass.<br />
Ganz einfach»<br />
Nadja Büttiker, Maurerin<br />
Bei ihrer privaten Leidenschaft ist Nadja<br />
Büttiker von Frauen umgeben: Die 27-Jährige<br />
gehört zur Weltspitze im Voltigieren. Mit<br />
ihrem Team wurde sie 2012 Weltmeisterin. Beruflich<br />
aber wirkt Büttiker in einer Männerdomäne: Sie ist<br />
Maurerin und täglich von früh bis spät auf Baustellen<br />
der Firma Oberhänsli Bau aus Mosnang im Kanton<br />
St. Gallen unterwegs.<br />
Eigentlich ist Büttiker gelernte Gärtnerin. Mit der<br />
Zweitlehre zur Maurerin hat sie sich vor einigen Jahren<br />
einen Kindheitstraum erfüllt. «Ich fand den Job<br />
schon als Kleine cool», sagt sie, «ich bin gerne draussen<br />
und mag es, mit meinen Händen etwas zu schaffen.»<br />
Ihre Eltern hatten damals zwar Bedenken, dass<br />
der Knochenjob körperlich zu anstrengend sei. «Heute<br />
aber finden sie es super.»<br />
Tatsächlich brauche<br />
sie wegen ihres Jobs im<br />
Voltigieren kein Krafttraining<br />
mehr. «Ich kann<br />
alles schleppen, was<br />
man mir gibt.» Die Kollegen<br />
hätten sie daher<br />
sogleich akzeptiert.<br />
Trotz des Knochenjobs:<br />
Etwas mehr Feingefühl<br />
als ihre männlichen<br />
Kollegen bringe sie schon<br />
mit. Die hauten manchmal<br />
einfach so drauf, zum<br />
Beispiel beim Gerüstaufstellen. «Das ist nicht so mein<br />
Ding.» Den gröberen Arbeiten ziehe sie daher die<br />
feineren vor: verputzen, abdichten, Überzüge machen.<br />
«Für die Männer ist das oft Gäggeliarbeit.»<br />
Zwar ist Büttiker als Maurerin weiterhin eine Exotin.<br />
Doch Frauen treffe sie auf Baustellen mittlerweile<br />
häufiger an. Chauffeusen etwa, die gebe es immer<br />
mehr. «Für mich ist das sowieso kein Thema, dass ich<br />
die einzige Frau auf der Baustelle bin», sagt sie. «In<br />
der Firma werde ich gleich behandelt wie alle anderen,<br />
da gibt es nichts zu jammern.» Sie sieht sich nicht<br />
als Pionierin, schon gar nicht als Vorbild. Ihren Beruf<br />
habe sie gewählt, «weil er mir Spass macht. Ganz einfach».<br />
Frei ausleben konnte sie sich schon immer.<br />
Das sei doch letztlich das Ziel der Gleichstellung:<br />
«Dass jeder machen darf, was er will.»<br />
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