deHerisauer_07-22_WEB
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<strong>07</strong>/20<strong>22</strong> zHerisau onderwegs · 29<br />
Eile zwei Häuser niedergerissen. Letztlich sind<br />
dann «nur zwei Häuser in der Asche geblieben».<br />
Folgen hatte dieses Feuer auch für die<br />
vier Turmwächter in St. Gallen. Da diese das<br />
nächtliche Feuer nicht wahrgenommen hatten,<br />
wurden sie vom Rat von St. Gallen sofort<br />
abgesetzt. Auch 1792 brannte es. Gemäss der<br />
Gemeindegeschichte von 1870 habe Johannes<br />
Rohner einheizen wollen. «Als das Büscheli<br />
im Ofen in Brand war, geschah ein gewaltiger<br />
Knall. Der Ofen wurde versprengt und das<br />
Haus fing Feuer, das aber bald wieder gelöscht<br />
wurde.» Verheerend für die Menschen an der<br />
Bachstrasse waren der Dorfbrand von 1606<br />
und der grosse Brand von 1812.<br />
Wohl nicht nur in meinem Elternhaus hing<br />
die Zeichnung «Die Brandstätte im Flecken<br />
Herisau am 1. Jänner 1812» von Johann Jacob<br />
Mock. Das Bild zeigt ein scheinbar friedliches<br />
Herisau, im Hintergrund die Kirche und die<br />
Häuser an Kirchplatz und Obstmarkt, am<br />
linken Bildrand weidende Schafe und drei<br />
Menschen, die ihren Blick auf das Dorf gerichtet<br />
haben. Direkt vor ihnen aber liegt eine<br />
Bachstrasse von deren Häusern lediglich die<br />
Grundmauern geblieben sind.<br />
Es geschah morgens um vier Uhr des Neujahrstages<br />
1812. Die Leute lagen nach den<br />
«üblichen Festlichkeiten des Silvesters noch<br />
im tiefsten Schlaf». Geweckt wurden die Bewohner<br />
durch das «heulende Angstgeschrei<br />
fliehender Weiber und Kinder», aufgeschreckt<br />
durch den Hilferuf «Feuer, Feuer!». Schuld daran<br />
war eine «arge Fahrlässigkeit in der Appretur<br />
von Preisig und Bodenmann mitten in<br />
der Bachstrasse». In ihrem Haus, «an einer<br />
Stelle, wo der Zugang mit Spritzen äusserst<br />
schwierig war» nahm das Unglück seinen<br />
Anfang. Das Feuer breitete sich schnell über<br />
beide Häuserreihen aus, denn die hölzernen<br />
Gebäude standen dort eng beieinander. Hilfe<br />
kam von allen Seiten. Eugster in der Gemeindegeschichte<br />
von 1870: «Zur Rettung waren<br />
aus 17 benachbarten Orten Mannschaften<br />
und Spritzen erschienen. Ausser in Urnäsch,<br />
wo gerade eine Leichenbestattung war, wurde<br />
am Neujahrstag in keiner hinterländischen<br />
Gemeinde Gottesdienst gehalten.» Doch,<br />
so Rotach, «die in Scharen zur Löscharbeit<br />
herbeigeeilten Menschen konnten es nicht<br />
verhindern, dass die ganze winklige Strasse<br />
Opfer der Flammen wurde.» Erst beim Wirtshaus<br />
Taube konnte dem Feuer Einhalt geboten<br />
werden. Insgesamt lagen 21 bewohnte<br />
Häuser, das Schlachthaus der Gemeinde und<br />
zwei Nebengebäude in Schutt und Asche.<br />
64 Haushaltungen mit 2<strong>07</strong> Personen wurden<br />
obdachlos. «Fast aller Habe beraubt, in<br />
grimmiger Winterkälte, wussten sie nicht,<br />
wo sie ihr Haupt hinlegen konnten.» Aber<br />
auch Menschen kamen zu Schaden. Eugster:<br />
«Da das ganze Dorf in Gefahr stand, in einen<br />
Links Bachstrasse Nummer 1, im Hintergrund rechts das Restaurant Taube, welches als eines der ältesten von<br />
Herisau gilt. <br />
(Bilder: es)<br />
Aschenhaufen verwandelt zu werden, war<br />
der Schrecken so gross, dass mache Bewohner<br />
davon verschiedenartig erkrankten. Eine<br />
Person verfiel in Wahnsinn. Susanna Jäger<br />
von Urnäsch, die zuoberst in einem Hause in<br />
tiefem Schlafe lag, kam in den Flammen um.<br />
Der Zimmermann Sebastian Alder wurde von<br />
einem herabstürzenden Balken erschlagen.<br />
Manchen Leuten, die einander stundenlang<br />
die mit Eiskrusten bedeckten Feuereimer bieten<br />
mussten, erfroren die Hände und Füsse.<br />
Ulrich Engler von Stein starb vor Kälte, und<br />
noch am 3. Januar brach sich der Zimmergeselle<br />
Johannes Stricker beim Einsturz einer<br />
neu erstellen Baracke das Rückgrat.»<br />
Die Anteilnahme nach dem Brand war<br />
gross. Eine Gebäude- oder Hausratversicherung<br />
gab es damals noch nicht. (Die Ausserrhodische<br />
Brandversicherung, heute Assekuranz<br />
AR, wurde erst im April 1841 gegründet.)<br />
Sogenannte Liebesgaben linderten die Not.<br />
Preisig und Bodenmann wurde anfänglich<br />
nicht bedacht, aus «Mitleid für ihre Familien<br />
erhielten sie nachher doch noch einen angemessenen<br />
Betrag». Redaktor René Bieri im<br />
Appenzeller Kalender von 2012: «Trotz der<br />
grossartigen Spendentätigkeit der Mitbürger<br />
blieb doch der weitaus grössere Schaden ungedeckt,<br />
was wohl am besten dadurch illustriert<br />
wird, dass nur fünf Hausbesitzer bereit<br />
waren, anstelle der vernichteten Gebäude<br />
wieder neue zu erstellen».<br />
Es werde Licht<br />
Gehen wir nochmals einige Jahre zurück.<br />
Gemäss der Herisauer Geschichte von 1999<br />
belegten Kaufprotokolle, dass ab 1740 etliche<br />
Gebäude, die einst einem Besitzer gehörten,<br />
in unterschiedlichster Weise aufgeteilt wurden.<br />
«An der Bachstrasse entsprachen zehn<br />
von 25 Häusern diesem Modell (…) dabei handelte<br />
es sich bisweilen um Wohneinheiten<br />
von wenigen Dutzend Quadratmetern. Der<br />
im Oktober 1809 zum Kauf ausgeschriebene<br />
Hausanteil von Schuhmachermeister Hans<br />
Jacob Steiger an der Bachstrasse bestand nur<br />
‹in einer Stube und Küche, zwey Kammern<br />
und Holzgehalt›.»<br />
Auch der Bauboom, der in der zweiten<br />
Hälfte des 18. Jahrhunderts dem «Flecken<br />
Herisau ein neues Gesicht gab» machte vor<br />
der Bachstrasse nicht Halt. Damals wurden<br />
nicht nur im ganzen Ortskern neue Häuser<br />
gebaut, sondern auch bestehende umgebaut<br />
und erweitert. Der Herisauer Geschichte von<br />
1999 ist zu entnehmen: «Auf die vielgeübte<br />
Praxis der Aufstockungen weist eine Unfallnachricht<br />
vom September 1804 hin; damals<br />
stürzte an der Bachstrasse ein bereits mit<br />
dem ‹Lopfgeschirr› (Hebegerät) angehobenes<br />
Wohnhaus in sich zusammen.»<br />
Ende des 18. Jahrhunderts war es übrigens<br />
auch, als die Beleuchtung der Strassen<br />
ein Thema wurde. «1784 wurde beim Wachthaus<br />
vor der Kirche die für lange Zeit einzige<br />
öffentliche Hauslaterne angebracht. Im<br />
November 1786 zogen Hausbesitzer im Gries<br />
nach und nahmen eine erste private Strassenlaterne<br />
in Betrieb. Ihrem Beispiel folgten<br />
wenige Tage später die Anwohner an der<br />
Bachstrasse. Ansonsten lag das Dorf nach<br />
Einnachten weiterhin im Dunkeln.»<br />
In der Hoffnung, bezüglich der Bachstrasse<br />
etwas Licht ins Dunkle gebracht zu haben,<br />
wünschen wir Ihnen einen aufmerksamen<br />
Spaziergang entlang der einst sehr wichtigen<br />
Herisauer Strasse.<br />
<br />
Eva Schläpfer