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SCHULE<br />

COMPANIES<br />

AZUBIPORTRAITS<br />

WIE EINE GROSSE FAMILIE – EINE SCHULE<br />

AUF DEM LAND MACHT’S ANDERS<br />

Mitten auf dem platten Land liegt eine Internatsschule, die Tradition und Moderne verknüpft<br />

Fachgruppenleiterin Dorthe<br />

Reimers beim Unterricht<br />

TEXT Stella Kennedy | FOTOS Reinhard Witt<br />

FACHSCHULE FÜR<br />

HAUSWIRTSCHAFT IM<br />

LÄNDLICHEN RAUM<br />

Landstraßen, weite Felder, immer<br />

wieder Windräder und oben drüber<br />

ein riesiger blauer Himmel. Wolken<br />

fetzen vom Wind getrieben, der von der<br />

Nordsee herüberweht, eigentlich immer. In<br />

den kleinen Dörfern stehen Häuser, deren<br />

dickes Gemäuer vor diesem Wind schützen<br />

soll. Aber vielleicht auch vor dem Gerede<br />

der anderen.<br />

Ein Gebäude fällt besonders auf: Genau auf<br />

der Grenze zwischen den Dörfern Hanerau<br />

und Hademarschen steht die seit 1904 bestehende<br />

„Fachschule für Hauswirtschaft im<br />

ländlichen Raum“, früher Landfrauenschule<br />

oder Haushaltungsschule genannt. Seit der<br />

Gründung steht sie symbolisch dafür, wie<br />

Frauen sich ihre Berufsbildung erkämpften.<br />

Berufsbildung für Mädchen früher:<br />

eine Sackgasse<br />

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nämlich,<br />

als die preußische Adlige Ida von Kortzfleisch<br />

die Initiative ergriff, um jungen<br />

Frauen Bildung zu ermöglichen, sah es in<br />

Sachen Berufsbildung ziemlich düster aus.<br />

Mädchen auf dem Land boten sich in den<br />

meisten Fällen nur zwei Wege: Entweder<br />

man wurde in eine Bauernfamilie hineingeboren,<br />

besuchte höchstens bis zur 8. Klasse<br />

die Schule (danach wurde es sehr teuer) und<br />

arbeitete spätestens danach in Haus und<br />

Hof mit, bis man heiratete und dort genauso<br />

weitermachte. Oder man wurde in eine wohlhabendere<br />

Schicht geboren.<br />

Doch auch bei den Mädchen der Adelsfamilien,<br />

die auf beeindruckenden Gutshöfen<br />

lebten, waren die Berufsmöglichkeiten<br />

genauso eine Sackgasse wie die Alleen vor<br />

den Herrenhäusern. Gutsherrin, Hofdame<br />

und Gastgeberin des Hauses – das waren in<br />

etwa die Aufgaben, die von ihnen erwartet<br />

wurden. Ida von Kortzfleisch wollte das<br />

ändern.<br />

Eine der letzten ihrer Art: die Fachschule<br />

in Hanerau-Hademarschen<br />

Was sie damals mit ihrer „Frauenschule mit<br />

ländlich-hauswirtschaftlichem Ausbildungsschwerpunkt“<br />

für die „höhere Tochter“, wie<br />

man damals sagte, schuf, kann man heute in<br />

Hanerau-Hademarschen sehen. Zwar wurde<br />

die Fachschule für Hauswirtschaft nicht<br />

direkt von ihr gegründet, war aber inspiriert<br />

von dem Konzept der Reifensteiner Schulen<br />

– den historisch bedeutenden Berufsbildungsschulen<br />

für Frauen und Mädchen, die<br />

auf Ida von Kortzfleischs Impuls Ende des<br />

19. und Anfang des 20. Jahrhunderts überall<br />

im deutschen Kaiserreich entstanden.<br />

Heute steht der imposante, mittlerweile fast<br />

120-jährige Backsteinbau mitten im Kern<br />

des Ortes, genau zwischen den ehemals<br />

getrennten Dörfern Hanerau und Hademarschen.<br />

Rund 30 Schülerinnen leben und<br />

lernen momentan an der Hauswirtschaftsschule<br />

– übrigens die einzig verbleibende<br />

dieser Art in Schleswig-Holstein. Die Schule<br />

besteht aus dem Internat, einer Obstwiese,<br />

einem Biotop und einem nachhaltigen und<br />

ökologischen Nutz- und Ziergarten, in dem<br />

das Gemüse angebaut wird, mit dem täglich<br />

gekocht wird. Der Unterricht wird zu jeweils<br />

50 Prozent in Praxis und Theorie aufgeteilt,<br />

das Konzept „learning by doing“ voll ausgelebt,<br />

und im Hofladen, den die Schülerinnen<br />

betreiben, gibt’s dann die Ergebnisse des<br />

Unterrichts zu kaufen – und zu schmecken.<br />

„Wie ein Leben unter einer Glocke“<br />

Dorthe Reimers (33) ist Fachgruppenleiterin<br />

an der Schule und selbst ehemalige<br />

Schülerin. Sie vergleicht das besondere<br />

Zusammenleben wie ein Leben unter einer<br />

„Glocke“. „Wir haben die Chance, die Dinge<br />

einfach anders zu machen, und das bestärkt<br />

die Schülerinnen sehr sich auszuprobieren“,<br />

sagt sie. Junge Leute, die zum ersten Mal<br />

länger weg von Zuhause seien, schenke<br />

man Verantwortung und Vertrauen. „Die<br />

werden einfach unheimlich selbständig und<br />

selbstbewusst, das merkt man schnell“, so<br />

Reimers.<br />

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