Vitalstoffe 1/2023
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V italstoffe<br />
Naturapotheke der Zukunft in Gefahr<br />
Heilpflanzen könnten die medizinische<br />
Versorgung der Menschheit sichern –<br />
dazu müssten sie umfassend erforscht<br />
und geschützt werden, fordert ein Team<br />
von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.<br />
Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern plädiert im renommierten<br />
Fachjournal „The Lancet Planetary<br />
Health“ dafür, die Erforschung von<br />
Heilpflanzen systematisch voranzutreiben,<br />
um ihr Potenzial für die globale Gesundheitsversorgung<br />
nachhaltig zu nutzen.<br />
Gemeinsam mit anderen zeigen Dr.<br />
Spyros Theodoridis vom Senckenberg<br />
Biodiversität und Klima Forschungszentrum<br />
Frankfurt und Prof. David Nogués<br />
Bravo vom Center for Macroecology,<br />
Evolution and Climate der Universität<br />
Kopenhagen die Möglichkeiten auf, die<br />
der wissenschaftliche und technische<br />
Fortschritt für das Verständnis der ökologischen<br />
Funktionen bioaktiver Pflanzenstoffe<br />
und ihren Einsatz in der Medizin<br />
eröffnet. Gleichzeitig weisen sie auf die<br />
Gefahren hin, welche insbesondere die<br />
Klima- und Biodiversitätskrise für diese<br />
wichtige Naturressource darstellen.<br />
Seit Jahrtausenden vertrauen Menschen<br />
auf die heilende Wirkung von Pflanzen<br />
– an manchen Orten sind sie noch heute<br />
das einzige frei verfügbare Heilmittel.<br />
Die Hälfte der in den letzten vier Jahrzehnten<br />
weltweit zugelassenen Medikamente<br />
basiert auf den Inhaltsstoffen<br />
medizinischer Pflanzen oder wurde nach<br />
ihrem Vorbild entwickelt. Das traditionelle<br />
Schmerzmittel Morphium wird aus<br />
Schlafmohn gewonnen, die Salicylsäure<br />
für Aspirin kommt als Pflanzenhormon<br />
in der Rinde von Weidenbäumen vor.<br />
Zuletzt hat das Interesse an Heilpflanzen<br />
durch neue, hochentwickelte Verfahren<br />
zur Analyse ihrer bioaktiven Stoffe erneut<br />
zugenommen.<br />
„Heilpflanzen und ihre bioaktiven Stoffe<br />
bieten enorme Möglichkeiten für die<br />
zukünftige medizinische Versorgung<br />
der Menschheit – als eine naturbasierte,<br />
kostengünstige und effiziente Gesundheitsressource.<br />
Aber unser Wissen über<br />
sie ist immer noch ausschnitthaft“, erläutert<br />
Spyros Theodoridis vom Senckenberg<br />
Biodiversität und Klima Forschungszentrum<br />
Frankfurt und fährt fort:<br />
„Von etwa 374.000 bekannten Pflanzenarten<br />
sind bislang nur 15 Prozent chemisch<br />
analysiert – und gerade einmal<br />
6 Prozent wurden unter pharmakologischen<br />
Gesichtspunkten untersucht.“ Die<br />
rasanten Entwicklungen auf den Gebieten<br />
der Metabolomik – der Erforschung<br />
von Stoffwechselprodukten – und Genomik<br />
eröffnen nun neue Möglichkeiten<br />
für die systematische Analyse bioaktiver<br />
Pflanzenstoffe und ihrer Einbettung in<br />
komplexe Ökosysteme. So konnten zum<br />
Beispiel im Genom der Eibe diejenigen<br />
Gene identifiziert werden, die für die<br />
Synthese des in der Krebstherapie eingesetzten<br />
Stoffs Paclitaxel verantwortlich<br />
sind.<br />
Gleichzeitig sind hergebrachte – und<br />
noch unbekannte – Heilpflanzen durch<br />
den Einfluss des Menschen bedroht.<br />
Bewährte Gewächse wie der Sideritis,<br />
als Griechischer Bergtee unter anderem<br />
bei Erkältungen angewendet, stehen<br />
durch übermäßiges Sammeln vor dem<br />
Aussterben. Für Tausende Menschen in<br />
den Ländern des Balkans stellt Sideritis-<br />
Sammeln derzeit allerdings die einzige<br />
Lebensgrundlage dar. Hier müsste die<br />
lokale Bevölkerung in die Entwicklung<br />
nachhaltiger, natürlichen Ökosystemen<br />
nachempfundener Anbaukonzepte einbezogen<br />
werden, regen die Forschenden<br />
an.<br />
Die Klima- und Biodiversitätskrise bedroht<br />
zudem ganze Ökosysteme. „Die<br />
bioaktiven Pflanzenstoffe, die wir als<br />
Heilmittel einsetzen, erfüllen in der Natur<br />
spezifische Aufgaben in der Interaktion<br />
von Pflanze und Ökosystem – von<br />
der Bestäubung bis zur Bodenqualität“,<br />
erklärt David Nogués Bravo vom Center<br />
for Macroecology, Evolution and Climate<br />
der Universität Kopenhagen und weiter:<br />
„Extreme Temperaturen, Dürreperioden<br />
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