CHRISTOPH GRUBER KREISLAUFWIRTSCHAFT 12 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 2 | <strong>2023</strong>
Wenn wir vor lauter Bäumen den Wald sehen Warum guten Narrativen eine zentrale Rolle zukommt, zeigt Sina Leipold in ihrer Keynote zum Topic „Kreislaufwirtschaft“ auf. Denn, so die Leiterin des Departments für Umweltpolitik der Uni Jena, auch die gesellschaftlichen und persönlichen Werte, die hinter einer Idee stehen, müssen miteinbezogen werden. Von Andrea Heinz Sina Leipold startet ihre Keynote zum Topic „Kreislaufwirtschaft“ mit einer kleinen Übung: Sie zeigt in ihrer Präsentation eine Folie mit unterschiedlichen Wörtern aus dem Themenbereich Wald und Natur und fordert die Zuhörer*innen auf, sich so viele einzuprägen und aufzuschreiben, wie sie sich in den wenigen Sekunden nur merken können. „Ich weiß, das ist eine fiese Übung“, meint die Leiterin des Departments Umweltpolitik an der Universität Jena schmunzelnd. Das Ergebnis aber ist umso aussagekräftiger: Konkrete Begriffe wie Wildschwein oder Grün konnten sich sehr viele im Publikum merken, für Erheiterung sorgt aber die Tatsache, dass viele sich an das Wort „Wald“ erinnern – ohne dass es auf der Folie aufgeschienen ist. Leipold lobt die Kognitionsfähigkeit, die dahintersteckt. Die Übung stammt nämlich aus den Kognitionswissenschaften, Hintergrund ist, dass das menschliche Gehirn, wenn es mit einer großen Menge an Informationen konfrontiert ist, automatisch nach Kategorien und Möglichkeiten der Reduktion sucht. Eben das, was passiert, wenn man viele thematisch ähnliche Begriffe unter dem Wort „Wald“ subsumiert. DREI GRUPPEN, DREI ERZÄHLUNGEN Auf genau diese Weise funktionieren Narrative, und um die geht es Leipold: Statt, wie es oft geschieht, in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion über nachhaltige Lösungen für die Zukunft vor allem auf technische und organisatorische Fragen abzustellen, plädiert sie dafür, auch die gesellschaftlichen und persönlichen Werte anzusprechen, die hinter den jeweiligen Ideen – etwa der Kreislaufwirtschaft – stecken. Dafür wiederum sind gute Narrative ganz zentral. In Bezug auf die Kreislaufwirtschaft haben Leipold und ihr Team weltweit 54 Kolleg*innen aus Bereichen wie ADOBE STOCK SEIN ODER NICHT SEIN O Wir brauchen Narrative, um die Komplexität zu strukturieren O Derzeit dominieren technische und organisatorische Fragen den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs. Das birgt das Risiko oberflächlicher Sichtweisen und eingeschränkter Ideen O Ökologische und soziale Kosten und Nutzen müssen erkannt und gerecht verteilt werden O Narrative zeigen mögliche Lösungen, Synergien und Konflikte auf O Jede*r von uns kann an mehrere Narrative anschließen, je nach Zeitpunkt und Kontext O Je nach Narrativ können politische Lösungen sehr unterschiedliche aussehen der Ökonomie, Geografie, der Anthropologie oder den Politikwissenschaften zu ihren „lessons learned“, also politisch relevanten Erkenntnissen bezüglich der Kreislaufwirtschaft, befragt. Das Ergebnis war, freilich mit Überschneidungen, drei zentrale Narrative: In Gruppe 1 versammelten sich die Optimist*innen, die die Kreislaufwirtschaft als Motor für einen Übergang zur Nachhaltigkeit sehen. Ihre „Held*innen“ sind Unternehmertum und Technologie. Gruppe 2, die Reformer*innen, sieht Potenzial, sofern bestimmte Regeln erfüllt sind – sie setzen auf Staat und Vorgaben. Und Gruppe 3 schließlich, die Skeptiker*innen, stellt den Nutzen für Nachhaltigkeit in Frage. Sie bauen auf die Gemeinschaft, auf Narrative wie Gerechtigkeit und Demokratie. Leipold selbst hat anhand zweier politischer Maßnahmen, dem Loi Garot in Frankreich und der deutschen „Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“, die politischen Effekte verschiedener Narrative untersucht. Ihr Fazit: Um nachhaltige Lösungen für eine lebenswerte Zukunft zu finden, ist es essenziell, Kosten und Nutzen – sowohl auf ökologischer als auch sozialer Ebene – zu erkennen beziehungsweise gerecht zu verteilen. Dafür wiederum braucht es Narrative. Diese können sinnvoll sein, um das Spektrum möglicher Lösungen zu erweitern und zeigen grundlegende Synergien und Konfliktlinien auf. • Prof. in Dr. in Sina Leipold hat einen gemeinsamen Lehrstuhl an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (Leipzig) inne, wo sie das Department für Umweltpolitik leitet. Sie studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Sozialwissenschaften in Bochum, Freiburg, Buenos Aires und New Delhi. Leipold promovierte 2016 zur Einflussnahme von Interessengruppen auf Narrative der internationalen Waldpolitik. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kreislaufwirtschaft, Bioökonomie und (Umwelt-) Diskursanalyse. <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 2 | <strong>2023</strong> 13