CHRISTOPH GRUBER VERKEHRSWENDE 8 <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 2 | <strong>2023</strong>
Städte müssen wieder für Menschen gebaut werden Seit 63 Jahren arbeitet Jan Gehl unaufhörlich daran, die Städte den Menschen zurückzugeben. Der dänische Architekt legte den Grundstein für den Umbau Kopenhagens in einen der lebenswertesten Orte der Welt. Von Anja Böck Als Jan Gehl 1960 sein Architekturstudium abschloss, hatte er gelernt, dass es weniger darauf ankommt, was er baute. Die Menschen wären schlicht froh, in modernen Gebäuden zu leben. Dann heiratete er eine Psychologin. Diskussionen drehten sich plötzlich um den Faktor Mensch in der Stadtplanung. Und Gehl erkannte rasch, dass es dazu kaum Erkenntnisse gab. Also begann er zu forschen. Rasch stellte er fest: „Architektur hat einen enormen Einfluss auf die Lebensqualität der Menschen. Wir formen Städte und die Städte formen uns“, so Gehl. „Nach 50 Jahren wissen wir ziemlich genau, wie wir gute Städte für Menschen bauen können.“ Das Problem sei allerdings, dieses Wissen in Umsetzung zu bringen. „Momentan erwarten wir freudig die wundervollen technologischen Entwicklungen, welche all unsere Mobilitätsprobleme lösen werden“, sagt Gehl – von Smart Cities bis zum autonomem Fahren. „Aber all das wird sehr teuer sein und es wird lange dauern – vor allem bis sie in allen Teilen der Welt verfügbar sind“, betont er. Doch gerade das wäre wichtig, denn 90 Prozent des globalen Anstiegs der Urbanisierung werden in Afrika und Asien passieren. Also müssen wir uns fragen: Während wir warten, gibt es andere bedeutende Dinge, die wir tun könnten? „Ja“, betont Gehl, „wir könnten mehr auf die Menschen schauen, denn das sollte unsere Priorität in der Stadtplanung sein“. Das sei einfach, koste wenig, es sei überall möglich und wir könnten morgen beginnen. Der Homo sapiens ist darauf ausgerichtet zu gehen, hat Sinne, die frontal und horizontal ausgerichtet sind und ist sehr interessiert an Artgenossen. Als Stadtplaner*in ist das der Klient. „Deshalb haben wir Städte aus zwei Grundelementen gebaut – der Straße und dem Platz“, erklärt Gehl. Die Straße ist für unsere Füße und signalisiert „move on“. Der Platz ist für das Auge und gibt uns Raum zu erleben. In den 1930er-Jahren begann ein Paradigmenwechsel. Der Fokus verschob sich von den Räumen der Stadt auf die Objekte darin. Zugleich fluteten Autos den urbanen Raum. Wir bauten Städ- SEIN ODER NICHT SEIN O „Eine gute Wohngegend ist etwas, das von der Autobahn aus schön aussieht“, erinnert er sich an das Mantra eines Professors während seines Studiums. O Wenn er an Wien etwas ändern könnte, dann wäre es ein Ausbau der Radwege. „In Kopenhagen haben wir „Copenhagen style bikelanes“, wo geparkte Autos die Radfahrer*innen beschützen. Hier nutzt ihr die Fahrräder, um die Autos zu beschützen“, sagt Gehl. O Wie kann man Veränderung voranbringen? Durch Daten sammeln. Durch Daten können Entscheidungsträger*innen überzeugt werden. Ohne Zahlen hätten sie Kopenhagen nie so sehr verändert, wie sie es getan haben, lautete damals die Rückmeldung der Politik an Gehl. O In Kopenhagen gibt es viele durchgängige Gehwege, so können Kinder gefahrlos allein zur Schule gehen. Und „warum sollte man jedes Mal stehen bleiben müssen, wenn ein Mercedes Benz in die Straße einbiegen möchte“, fragt der Experte. O Sein Rat: „Macht es nicht wie Dubai“. Dort gebe es Modernismus, Wolkenkratzer und Mobilität, aber keinen Platz für Menschen. te, die an Autos mit 60 km/h angepasst waren. Details in den Gebäuden wurden nutzlos, weil man sie im Vorbeifahren sowieso nicht sieht, Schilder mussten riesig sein und parken wurde wichtig. In Kopenhagen wurde 1962 die erste Straße autofrei. Dort hat damals alles begonnen. „Kaum jemand dachte, dass das funktionieren kann, weil wir schließlich keine Italiener*innen sind, aber plötzlich hatten wir Platz, italienisch zu sein“, schmunzelt Gehl. Mittlerweile ist ein Großteil der Kopenhagener Plätze autofrei, Radwege und durchgängige Gehwege wurden massiv ausgebaut. Wie sie damals die Politik überzeugen konnten? Durch Zahlen. Die Verkehrsingenieure hatten zwar die Autos in der Stadt dokumentiert, aber niemand wusste etwas über die Menschen. Also fingen Gehl und sein Kolleg*innen an zu zählen, zu verfolgen, wo sich Menschen aufhalten und wo nicht. „Die Politiker*innen waren an dieser menschlichen Geschichte sehr viel mehr interessiert als am Verkehr und das hatte einen fantastischen Effekt“, erinnert sich Gehl. Und es sei so einfach, diese Daten zu sammeln, appelliert er. Gehls Fazit: „Wenn die Angebote gut sind, werden mehr Menschen zu Fuß gehen, Rad fahren und das öffentliche Leben wird besser sein.“ • Jan Gehl ist ein dänischer Architekt und Stadtplaner, der das fahrrad- und fußgängerfreundliche Kopenhagen maßgeblich mitgestaltet hat. Neben seinem Architekturbüro hatte er einen Lehrstuhl an der Königlichen Dänischen Kunstakademie. Gehl betreut Stadtentwicklungsprojekte auf der ganzen Welt. So arbeitete er 2004 eine Studie für Transport for London über die Qualität des öffentlichen Raums in der britischen Hauptstadt aus. Im Jahr 2007 wurde er vom Department of Transportation von New York City beauftragt, dort die Bedingungen für Radfahrer und Fußgänger zu verbessern. <strong>BOKU</strong> <strong>Magazin</strong> 2 | <strong>2023</strong> 9