GSa163_Sept23_Pausenkulturen
Pausenkulturen
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Thema: <strong>Pausenkulturen</strong><br />
sen. Im Hinblick auf den Experimentierprozess<br />
(vgl. Murmann 2008; Fischer<br />
& Peschel 2023) kommt die Pause zu<br />
einem Zeitpunkt, als die Schülerinnen<br />
● verschiedene Handlungsgelegenheiten<br />
und Annäherungen an das Zielphänomen/den<br />
Zielversuch genutzt haben<br />
(s. o.) (Explorationen),<br />
● herausgefunden haben, wie sie ein<br />
bestimmtes Ergebnis (nämlich den<br />
„Flammensprung“) wiederholt selbst<br />
erzeugen, also reproduzieren, können<br />
(s. o.) (Wiederholungen).<br />
Dass S#1 nun (nach etwa 25 Minuten<br />
Sachauseinandersetzung) die Frage aufwirft,<br />
wie schnell und wie lange man das<br />
Streichholz in den Wachsnebel halten<br />
muss, damit der „Flammensprung“ gelingt,<br />
fügt sich nahtlos in die Modellierung<br />
des Experimentierprozesses (vgl.<br />
Murmann 2008; Fischer & Peschel 2023).<br />
Die Schülerinnen wollen nun herausfinden,<br />
wodurch etwas funktioniert und<br />
die Bedingungen des „Flammensprungs“<br />
sondieren (hier in der Variation der Geschwindigkeit<br />
und der Zeitdauer, mit der<br />
Pascal Kihm<br />
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />
Lehrstuhl Didaktik des Sachunterrichts<br />
an der Universität des Saarlandes.<br />
Forschungsschwerpunkt: Interaktionsund<br />
Kommunikationsprozesse beim<br />
(Offenen) Experimentieren.<br />
das Streichholz in den Wachsnebel gehalten<br />
wird). Diese Auseinandersetzung mit<br />
den Bedingungen des Phänomens (durch<br />
Variation und ggf. auch Hypothesenaufstellung<br />
bzw. -überprüfung) ist ein wichtiger<br />
Schritt auf dem Weg zur (Er-)Klärung<br />
des Phänomens und seiner Wirkmechanismen<br />
(vgl. ebd.).<br />
Zur Umsetzung dieser geplanten Variationen<br />
kommt es allerdings nicht<br />
mehr. Die GOFEX-Mitarbeiterin leitet<br />
das Aufräumen ein bzw. zur Pause über<br />
und unterbricht damit den Experimentier-<br />
bzw. individuellen Lern- und Erkenntnisprozess<br />
dieser beiden Schülerinnen<br />
(S#1 und S#2) – und vermutlich<br />
auch weiterer Schüler*innen – zu einem<br />
individuell unpassenden Zeitpunkt. S#1<br />
und S#2 wären m. E. motiviert gewesen,<br />
sich weiterhin mit dem „Flammensprung“<br />
zu beschäftigen und hätten die<br />
Pause erst später gemacht.<br />
Die Pause hat Einfluss auf den fachlichen<br />
Lernprozess und das Experimentieren<br />
der Schüler*innen: Die Sach-Auseinandersetzung<br />
mit dem Phänomen „Flammensprung“<br />
wird unterbrochen und nach<br />
der Pause nicht mehr fortgesetzt. Die<br />
Schülerinnen beenden den Erkenntnisgang<br />
zum „Flammensprung“ mitten im<br />
Experimentierprozess (nach Exploration<br />
und Wiederholung wären nun Variationen<br />
zu erwarten – und vor der Pause von<br />
S#1 und S#2 ja auch intendiert bzw. ge-<br />
Vignette: Passung von Pausen im Experimentierprozess<br />
(Situative Kontextbedingungen: Zeitstrukturen)<br />
Vor den beiden Schülerinnen S#1 und S#2 liegt die Stationskarte/<br />
Experimentieraufgabe „Flammensprung“ 3 . Zuerst haben sie einige<br />
Minuten Streichhölzer entzündet, dabei u. a. das Streichholz unterschiedlich<br />
schnell an der Reibefläche der Streichholzschachtel bewegt,<br />
und sich beobachtend auf die abbrennenden Streichhölzer<br />
eingelassen – S#2: „Guck mal, wie es [das Feuer] sich immer weiter<br />
nach unten frisst“<br />
Später stülpt S#1, wie in der Anleitung vorgegeben, den Kerzenlöscher<br />
über die Flamme der Blockkerze. Etwas Wachsnebel weicht<br />
unter der Kerzenglocke empor und steigt nach oben. S#2 tippt<br />
ihre Mitschülerin an: „Schau mal, da geht weißer Rauch hoch“. S#1<br />
hebt die Kerzenglocke wieder hoch und ergänzt: „Und dann geht<br />
die Kerze aus!“. Die Flamme klimmt nur noch ganz schwach und<br />
noch mehr Wachsnebel steigt auf. Beide lächeln sich nun kurz an.<br />
In den folgenden Minuten wiederholen S#1 und S#2 diesen Vorgang<br />
mehrmals und wechseln sich dabei immer ab. Sie fokussieren<br />
beobachtend das Aufsteigen des Wachsnebels und wenden ihren<br />
Blick nicht ab […]. Einmal nähert S#2 den Kerzenlöscher wesentlich<br />
langsamer als zuvor an die Kerzenflamme an, stülpt ihn über,<br />
setzt ihn aber nicht ganz auf dem Kerzennapf ab, sondern hebt ihn<br />
immer noch mal um wenige Millimeter bis Zentimeter nach oben<br />
ab. Sie beschreibt: „Die Flamme wackelt irgendwie immer so. Wenn<br />
ich mit der Glocke bewege, geht die Flamme erst runter und dann<br />
wieder hoch! Ich kann sie vor dem Ausgehen retten“. Auch dieses<br />
„Spiel mit der Flamme“ wiederholen sie mehrfach […]. Dabei rücken<br />
sie ganz nahe an die Flamme, mit weit aufgerissenen Augen<br />
und leicht schief gehaltenem Kopf. Sie blinzeln kaum und lassen<br />
nicht von der Kerzenflamme ab – S#1: „Ganz oben an der Flamme<br />
ist so was weißes, helles“ (sie deutet in Richtung Flammensaum).<br />
S#2: „Die haben auch unterschiedliche Farben, also innendrin in<br />
der Kerze und dann halt weiter draußen“. […].<br />
Erst nach etwa 20 Minuten und durch Unterstützung 4 des<br />
Gofex-Mitarbeitenden G#1 setzen die Schülerinnen sich mit dem<br />
„eigentlichen Flammensprung“ (siehe Endnote 3) auseinander. S#1<br />
erstickt die Kerzenflamme und S#2 hält ein brennendes Streichholz<br />
in den aufsteigenden Wachsnebel. Eine Flamme „hüpft“<br />
vom Streichholz zum Kerzendocht und brennt dort weiter. Die<br />
Schülerinnen sind überrascht: „wow“, „boah“, rufen sie beide –<br />
sich überlagernd. Dabei schauen sie sich an, dann wieder auf die<br />
immer noch brennende Kerze. In den folgenden Minuten müssen<br />
S#1 und S#2 den „Flammensprung“ nun mehrmals „vorführen“, da<br />
inzwischen andere Schüler*innen darauf aufmerksam geworden<br />
sind und zu den beiden an den Experimentiertisch kommen […].<br />
Auch zu zweit, also ohne weitere Beobachter*innen, wiederholen<br />
sie den „Flammensprung“ noch einige Male. S#1 wirft die Frage<br />
auf, wie schnell und wie lange sie das Streichholz in den Wachsnebel<br />
halten muss, damit der „Flammensprung“ gelingt. Gerade als<br />
sie ansetzen, um die Kerze und ein Streichholz erneut anzuzünden<br />
bzw. die Kerzenflamme zu ersticken – vermeintlich, um sich die<br />
o. g. Variationen auszuprobieren –, bittet G#2, die den Gofex-Tag<br />
leitet, darum, aufzuräumen und sich für die Pause bereit zu machen<br />
(Jacken anziehen, Getränk und Essen bereithalten usw.).<br />
Die Schülerinnen S#1 und S#2 beenden ihr Experimentieren/ihre<br />
Auseinandersetzung mit dem „Flammensprung“ und räumen die<br />
Materialien weg. Nach der Pause findet eine Reflexionsrunde im<br />
Sitzkreis statt. Dort berichten sie nicht vom „Flammensprung“. In der<br />
folgenden Experimentierphase beschäftigen sie sich mit einer anderen<br />
Experimentieraufgabe. Ihre geplanten Variationen (s. o.) setzen<br />
sie dagegen nicht mehr um.<br />
GS aktuell 163 • September 2023<br />
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