cthulhus ruf - Der dunkle Planet
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ich einsehen, dass mein ohnehin angeschlagener<br />
Bewegungsapparat derart degeneriert war, dass es gerade<br />
noch zu einem zwanghaften Kopfschütteln reichte, das sich<br />
nicht mehr abstellen ließ. Mehr brachte ich nicht fertig.<br />
Er hob den Teller an seine Lippen und schob die letzten<br />
kalten Bissen dazwischen, bevor er das Porzellan ableckte.<br />
Ich wünschte mir, dass jemand hereinkäme. Jemand, der<br />
bezeugte, dass ich nicht den Verstand verlor, aber ich blieb<br />
auf mich gestellt. Zum zweiten Mal war ich ihm nun<br />
begegnet. Zum zweiten Mal allein.<br />
Etwas klebte an meiner Brust. Essen. Es fühlte sich an<br />
wie kalter Kartoffelbrei. Zuerst ergab das keinen Sinn.<br />
Jemand hatte mir das grüne Krankenhaushemd hochgezogen<br />
und den Matsch wie Salbe auf die Haut geschmiert. Als ich<br />
mir an die Brust fasste, spürte ich Klumpen, wo er bereits<br />
steif wurde.<br />
Dann ließ der Alte den Teller fallen und wischte sich die<br />
Hände am Aufschlag seines Mantels ab. Wenn ich von<br />
Lumpen gesprochen habe, traf die Beschreibung definitiv<br />
zu, denn als er aufstand, sah es aus, als habe er sich damit<br />
am ganzen Leib bandagiert. Mumifiziert. Ein Regenbogen,<br />
grau in grau. Er war eingewickelt, die Fetzen verknotet und<br />
mit Schnüren fixiert. Beim Gehen schwankte er, als kenne<br />
er den Ablauf gar nicht und misstraue seinen eigenen Füßen,<br />
die ihm vorauszugehen drohten.<br />
»Wer bist du?«, war alles, was ich herausbekam.<br />
Er antwortete nicht. Nicht direkt. Stattdessen drückte er<br />
mich ins Bett. Die Hände waren eisig und brannten doch<br />
wie Feuer, als seine Finger meine nackten Schultern<br />
packten. In seinen Augen loderte der Wahnsinn so natürlich<br />
wie ein Funke, der auf Zunder fiel, doch von einem lichten<br />
Blick konnte keine Rede sein. Während er mich fest auf die<br />
Matratze presste, fuhr er mit dem Kopf hinunter und fing<br />
an, mit seiner rauen Zunge über meine Brust zu lecken. Als<br />
er die Kartoffelmasse verzehrt hatte, kam er wieder hoch<br />
und gönnte sich einen Augenblick Zeit, um seinen Mund<br />
abzuwischen und mich anzustarren. Da war Blut – und sein<br />
Grimasse.<br />
Die Geste ließ keinen Zweifel zu. Ich hoffte dennoch,<br />
meine Augen spielten mir einen Streich, aber dem war nicht<br />
so. Tatsächlich, zwischen den Zähnen des Alten quoll Blut<br />
hervor, und der Tod stand ihm ins abgehärmte Gesicht<br />
geschrieben. Wie er von meiner Brust abließ und die Hand<br />
zurückzog, nahm die Stärke der Blutung zu. Verdoppelte,<br />
verdreifachte sich. Er hielt mir seine roten Hände vor.<br />
Frisches Blut – sein eigenes? Meines? – strömte aus allen<br />
Poren und an seinen Armen hinunter, als er die Hände<br />
erneut und beinahe herausfordernd hochhob.<br />
»Fürchtest du dich?«<br />
Beim Sprechen hatte er Tränen in den Augen. Seine Züge<br />
entglitten, die Beschaffenheit seines Gesichts änderte sich.<br />
Unter seinem Bart und dem Schorf, unter der Verderbtheit<br />
der Straße kam ein anderes zum Vorschein, eine kindlich<br />
glatte Unschuldsmiene. Sinnestäuschung oder der Schatten<br />
eines Vogels, der draußen am kleinen Fenster<br />
vorbeihuschte? Jedenfalls beschrieb so etwas in der Art<br />
seinen Mund und nun sogar allem Anschein nach ein<br />
Lächeln. Dann jedoch verschwand die Illusion so<br />
unvermittelt, wie sie gekommen war, und ich blickte bloß in<br />
die leeren Augen meines Obdachlosen, um angstvoll auf das<br />
nächste Trugbild zu warten.<br />
Er kippte vorwärts und schürzte die Lippen, küsste mich<br />
jedoch nicht. Dafür ergoss sich das Blut über mich und rann<br />
in meinen Rachen.<br />
Mir war, als ob ich allmählich in meinem eigenen<br />
Lebenssaft ertrank, selbst als er wieder von mir abließ.<br />
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