Sigrid Leuschner (Landtag) und Belgin Zaman - Kleeblatt
Sigrid Leuschner (Landtag) und Belgin Zaman - Kleeblatt
Sigrid Leuschner (Landtag) und Belgin Zaman - Kleeblatt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der kleine Esel ist plötzlich sehr müde. Einen so weiten<br />
Weg hat er auf sich genommen <strong>und</strong> jetzt reden die anderen<br />
Spielsachen auch noch über ihn <strong>und</strong> meinen, dass er nicht<br />
bei ihnen bleiben kann. Er legt sich auf den Boden <strong>und</strong><br />
möchte gerade die Augen schließen, als er etwas Orangenes<br />
in der Dunkelheit blitzen sieht. „Uhu? Bist du es?“,<br />
fragt der kleine Esel. „Ja“, sagt der alte Uhu <strong>und</strong> landet<br />
neben dem kleinen Esel. „Was machst du nur hier?“, fragt<br />
der Uhu den kleinen Esel. „Du gehörst doch zum Krippenspiel.<br />
Du kannst nicht einfach weglaufen.“<br />
Der kleine Esel erzählt dem Uhu seine Geschichte; wie<br />
sehr es ihn ärgert, dass er nur einmal im Jahr mit den Kindern<br />
spielen darf <strong>und</strong> wie sehr er sich über das Jesuskind<br />
ärgert, das immer die Hauptrolle in der Weihnachtsgeschichte<br />
spielt. Er erzählt dem Uhu, dass auch er gerne<br />
einmal der wichtigste Teil der Weihnachtsgeschichte wäre<br />
<strong>und</strong> dass er sich nutzlos fühlt. „Am Ende merkt doch sowieso<br />
niemand, ob ich nun da bin, oder nicht“, sagt der<br />
kleine Esel. Der alte Uhu sieht ihn mit seinen orangenen<br />
Augen streng an. „Es merkt niemand? Natürlich merken<br />
sie es! Du bist genau so wichtig wie das Jesuskind, genau<br />
so wichtig wie Maria <strong>und</strong> Josef <strong>und</strong> die Heiligen Drei<br />
Könige. Du bist genau so wichtig wie der Ochse <strong>und</strong> die<br />
Schafe. Denk darüber nach. Aber jetzt schlafe erst einmal“,<br />
sagt er. Der kleine Esel schläft auf der Stelle ein, es<br />
war ein anstrengender Tag für ihn.<br />
Am nächsten Morgen erwacht der kleine Esel. Es ist der<br />
23. Dezember, der Tag vor dem heiligen Abend. Die Kinder<br />
aus der Kindergartengruppe scheinen aufgeregt zu sein,<br />
sie laufen wie wild herum <strong>und</strong> schreien durcheinander.<br />
Noch etwas verschlafen sieht der kleine Esel sich um<br />
<strong>und</strong> entdeckt dabei, dass der alte Uhu noch immer<br />
neben ihm sitzt. Er muss die ganze Nacht über ihn<br />
gewacht haben. „Was ist denn los?“, fragt der kleine<br />
Esel den Uhu. „Das hast du nun davon“, sagt<br />
der. „Die Kinder wollen zusammen die Weihnachtsgeschichte<br />
lesen <strong>und</strong> haben festgestellt, dass der<br />
Esel im Krippenspiel fehlt.“<br />
Der kleine Esel kann es kaum fassen. „Nein,<br />
ohne den Esel können wir die Geschichte nicht<br />
spielen!“, hört er Pia schluchzen. „Sie suchen<br />
nach dir“, sagt der Uhu <strong>und</strong> sieht den kleinen<br />
Esel dabei mit hochgezogenen Augenbrauen an.<br />
„Sie wollen die Weihnachtsgeschichte nachspielen<br />
<strong>und</strong> das ist ohne Esel nun einmal nicht möglich.“ Der<br />
kleine Esel ist ganz durcheinander. Sie suchen nach<br />
ihm? Nach ihm? Dabei hatte er doch gedacht, dass<br />
er gar keine bedeutende Rolle in der Geschichte<br />
spielen würde. „Was soll ich jetzt tun?“, fragt er den<br />
alten Uhu. Der sieht den kleinen Esel an <strong>und</strong> sagt ganz<br />
fre<strong>und</strong>lich: „Esel. Wir alle haben unseren Platz im Leben.<br />
Deiner ist nun einmal im Krippenspiel. Du kannst dir nicht<br />
immer aussuchen, wohin du gehörst. Du bist der Esel aus<br />
dem Krippenspiel, das ist dein Platz <strong>und</strong> das wird auch<br />
immer dein Platz sein. Du kannst dich hier bei uns verstecken,<br />
aber ob du dann glücklicher bist, das weiß ich nicht.“<br />
Der kleine Esel überlegt. „Sie suchen mich“, denkt er. „Sie<br />
suchen nach mir, weil ich ihnen fehle.“ Langsam, ganz<br />
langsam trabt der kleine Esel aus seinem Versteck hervor.<br />
Sofort greift eine kleine Hand nach ihm. „Ich habe ihn!“,<br />
schreit Max. „Ich habe den Esel gef<strong>und</strong>en!“ Max hält den<br />
kleinen Esel ganz hoch in die Luft gestreckt <strong>und</strong> hüpft dabei<br />
aufgeregt auf <strong>und</strong> ab. Dem Esel wird dabei ganz schwindelig.<br />
„Na, Gott sei Dank“, sagt Nicole, die Erzieherin der<br />
Kindergartengruppe. „Dann können wir jetzt ja endlich damit<br />
anfangen, die Weihnachtsgeschichte vorzulesen.“ Max<br />
setzt den kleinen Esel zurück in die Weihnachtskrippe.<br />
„Da bist du ja endlich“, sagt der Ochse. „Er ist zurück!“,<br />
blöcken die Schafe. Und plötzlich merkt der kleine Esel,<br />
dass er den Ochsen <strong>und</strong> die Schafe wirklich vermisst hat.<br />
Ja, sogar Maria <strong>und</strong> Josef <strong>und</strong> das schreiende Jesuskind<br />
haben ihm gefehlt. Die Kinder setzen sich in einem<br />
Kreis zusammen <strong>und</strong> beginnen damit, gemeinsam die<br />
Weihnachtsgeschichte zu lesen. „Jeder hat seien Platz im<br />
Leben“, sagt der kleine Esel. Die Schafe <strong>und</strong> der Ochse<br />
sehen ihn fragend an. „Wo hast du das denn her?“, wollen<br />
sie wissen. Aber der kleine Esel schweigt, er hat viel<br />
gelernt während seines kurzen Ausflugs. ela<br />
KLEEBLATT · AUSGABE 12/2012 53