7. Jahrgang, Heft 2 (Juli 1977) - CatholicaPedia
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- 72 - VII<br />
DER BERG, DER DIE GANZE ERDE BEDECKT (DAN. 2,35)<br />
von<br />
H.H. Walter W.E. Dettmann<br />
König Nabuchodonosor von Babylon hatte im zweiten Jahre seiner Regierung<br />
einen Traum, der ihn sehr erschreckte. Als er aber erwachte, wußte er<br />
nicht mehr, was er im Traum gesehen hatte. Da ließ er alle Weisen und<br />
Wahrsager kommen, damit sie ihm sagen sollten, was er geträumt habe und<br />
was der Traum bedeute. Die Wahrsager erwiderten ihm: "Kein Mensch kann<br />
sagen, was du geträumt hast. Erzähle uns den Traum; dann werden wir dir<br />
sagen, was er bedeutet". Da wurde Nabuchodonosor zornig und befahl, die<br />
Wahrsager hinzurichten. Als der Prophet Daniel davon hörte, bat er den<br />
König, er möge ihm Zeit lassen, dann werde er ihm den Traum kundtun.<br />
Nachdem er mit seinen Freunden gebetet hatte, zeigte ihm Gott den Traum<br />
des Königs.<br />
Daniel ging zum König zurück und sprach: "Das Geheimnis,<br />
das der König wissen will, vermag kein Mensch kundzutun. Doch im Himmel<br />
gibt es einen Gott, der die Geheimnisse enthüllt. Er macht dir bekannt,<br />
was geschehen wird. Du, o König, hast im Traum eine große Statue<br />
gesehen. Das Haupt war von Gold, die Brust und die Arme waren aus Silber,<br />
der Bauch und die Hüften aus Erz, die Beine aus Eisen und die Füße<br />
teils aus Eisen teils aus Ton. Da wurde ohne.Zutun menschlicher Hände<br />
ein Stein von der Höhe eines Berges losgerissen ("Abscissus est lapis<br />
de monte sine manibus") und stieß an die Füße der Statue. Diese wurde<br />
ganz zu Staub zermalmt und vom Winde verweht. Der Stein aber wurde zu<br />
einem Berge, der die ganze Erde bedeckte. Dieser Traum ist nun so zu<br />
deuten: Du bist der König der Könige; der Gott des Himmels hat dir Herrschaft,<br />
Macht und Ruhm gegeben: Du bist das Haupt von Gold. Nach dir<br />
wird ein anderes Reich erstehen, geringer als das deinige, ein Reich<br />
von Silber. Ein drittes Reich ist von Erz; es wird sich über die ganze<br />
Erde erstrecken. Das vierte Reich wird sein wie Eisen. Wie das Eisen<br />
alles zertrümmert, so wird auch dieses Reich alles zerschmettern. Doch<br />
zugleich wird es auch schwach sein. Darum hast du die Füße teils aus<br />
Eisen teils aus Ton gesehen. Die Zehen der Füße waren teils aus Eisen,<br />
teils aus Ton. Zuletzt aber wird Gott ein Reich errichten, das alle jene<br />
Reiche vernichtet; dieses Reich wird in Ewigkeit bestehen; das bedeutet<br />
der Stein, den du gesehen hast".<br />
Die Weissagung Daniels bezog sich auf das babylonische<br />
Reich des Nabuchodonosor, ferner auf das persische Reich des Cyrus,<br />
dann auf das Reich Alexanders des Großen und schließlich auf das gewaltige<br />
römische Imperium, das am Schluß geteilt und von der weltumspannenden<br />
geistigen Herrschaft der katholischen Kirche abgelöst wurde.<br />
Schon der heilige Irenäus, Bischof von Lyon, der um das<br />
Jahr 2oo als Blutzeuge starb, bezog den Traum des Nabuchodonosor auf<br />
die Zerstörung des römischen Reiches. Um das Jahr 18o, also in einer<br />
Zeit, in der die Donau von Kelheim über Regensburg bis nach Wien und<br />
Preßburg (Carnuntum) noch als sichere Grenze des römischen Reiches angesehen<br />
wurde, sagte er, der Stein, der sich ohne Zutun von menschlichen<br />
Händen von oben losriß, sei Christus, der ohne Zutun eines Mannes Mensch<br />
geworden sei (adv. Haer. III.21). Dieser Stein werde die irdischen Reiche<br />
zerschmettern und in Staub verwandeln (adv. Haer. IV. 2o) und werde<br />
die ganze Erde bedecken.<br />
Irenäus nennt unter den zerschmetterten Reichen das römische<br />
Imperium wohlweislich nicht mit Namen. Aber es ist offenkundig,<br />
daß er dieses im Auge hat. Jenen Christen, die in der Apokalypse des<br />
Apostels Johannes den unter der geheimnisvollen Zahl 666 verborgenen<br />
Namen genau berechnen wollten, sagte er, sie sollten erst einmal die<br />
angekündigte Teilung des römischen Reiches, das heißt die Teilung in<br />
einen Fuß mit fünf Zehen aus Eisen und einen solchen mit fünf Zehen<br />
aus Ton abwarten (adv. Haer. V. 26 und V. 3o).