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DDR war die Ehe desto anfälliger für eine Scheidung, je jünger die Eheschließenden waren. In den achtziger Jahren ließen sich mehr als doppelt so viele Ehepartner innerhalb der ersten fünf Ehejahre wieder scheiden als in Westdeutschland. Die Ehescheidung war also nicht nur rechtlich möglich, sondern auch kulturell akzeptiert: Partnerwechsel im Laufe eines Erwachsenenlebens galten in weiten Kreisen mehr und mehr als normal. Geschiedene Männer mußten in der Regel nur geringe Alimente für die leiblichen Kinder zahlen. Die meisten Scheidungen wurden allerdings dennoch – wie auch im Westen – von Frauen beantragt. Doch anders als dort konnten sich Frauen in der DDR von ihrem Partner trennen, ohne ein Absinken in Armut, einen Verlust der Wohnung oder einen Streit um das Sorgerecht befürchten zu müssen. Eine Trennung fiel den Frauen auch aufgrund der staatlichen Mutterschaftsleistungen leichter, die in der DDR im Vergleich zu Westdeutschland wesentlich umfangreicher gewährt wurden. So dauerte der Schwangerschaftsurlaub vor und nach der Entbindung fast doppelt so lang als in Westdeutschland (zusammen 26 im Vergleich zu 14 Wochen). Zur Betreuung ihrer kranken Kindern konnten Mütter in der DDR zwanzig Tage bei voller Bezahlung zu Hause bleiben, in Westdeutschland sind es nur fünf Tage. Ab dem zweiten Kind war ein bezahltes ‚Mütterjahr‘ vorgesehen; seit 1986 wurde das einjährige Elternjahr bereits vom ersten Kind an und seit 1984 das eineinhalbjährige ab dem dritten Kind gewährt. Müttern mit mehreren Kindern blieb der Arbeitsplatz erhalten, bis das jüngste Kind seinen dritten Geburtstag gefeiert hatte (was Betriebe in beträchtliche Schwierigkeiten brachte). Junge Ehepaare konnten günstige Ehekredite abschließen: Der zurückzuzahlende Betrag verringerte sich mit jedem Kind, die Kredite konnten ‚abgekindert‘ werden. Die zahlreichen Vergünstigungen sind als massiver Anreiz zu verstehen, damit möglichst viele Eltern sich zu dem in der DDR offiziell sehr gewünschten ‚dritten Kind‘ entschließen. Die Erhöhung der Geburtenrate war das Hauptziel der DDR-Familienpolitik seit den siebziger Jahren; auch hier stand der dauernde bevölkerungspolitische Aderlaß gen Westen und die Arbeitskräfteknappheit im Hintergrund. Die vielfachen Maßnahmen führten jedoch nicht zu einer Zunahme 13 kinderreicher Familien. Der Anstieg an Drittgeburten konnte den seit 1980 in der DDR rückläufigen Geburtentrend nicht verhindern: Das Ideal der Zweikind-Familie blieb – auch in den Zukunftsvorstellungen der Jugendlichen – dominant. Die gesetzliche Regelung der Schwangerschaftsunterbrechung seit 1972 sah vor, das ‚Wunschkind‘ zum Normalfall der Familienplanung werden zu lassen. Während Geburtsbeihilfen, Wochenurlaub, Kindergeld, Subventionen für Schulessen, Kinderkleidung und Ferienlager erhöht wurden, wurden die Wochenarbeitszeiten der Mütter gesenkt. Zu den ersten Werktätigen, die um 1980 in den Genuß der 40-Stunden-Woche kamen, gehörten vollbeschäftigte Frauen mit mehreren Kindern. Berufstätigkeit und Familie sollten weitestgehend miteinander vereinbar sein. 4.3 Die erwerbstätige Frau In der Arbeitsplatzgesellschaft DDR waren beinahe alle Erwerbsfähige auch erwerbstätig; über 90% der Frauen gingen arbeiten. Die Normalbiographie sah dementsprechend in der DDR einen Partnerhaushalt vor, also eine Familie, in der beide Erwachsene außerhäusig arbeiten gehen. Viele Werktätige empfanden und empfinden nachträglich ihren Arbeitsplatz (incl. der längeren Arbeitszeit) als ein zweites Zuhause. Aufgrund der langen Abwesenheit vom ersten Zuhause, der Familie, finden wir hier – verglichen mit westdeutschen Verhältnissen – eine deutlich anders gelagerte, emotionale Wertung vor. Die ökonomische Realität zweier Arbeitseinkommen, zu der sich viele aufgrund der niedrigen Löhne gezwungen sahen, wie auch die rechtliche Stellung der Ehepartner zielten auf einen Partnerhaushalt, in dem beide Erwachsene arbeiten gehen. Dies hat die Vorstellungen der Ostdeutschen zu Ehe und Familie bis heute nachhaltig geprägt: Die Annahme, der Ehemann könne alleiniger Familienversorger sein, kommt ostdeutschen Frauen, aber auch Männern nicht selten geradezu ‚mittelalterlich‘ vor. Und doch scheint dies für viele Familien nun Realität zu werden. Das Bild, das die Mehrheit der ostdeutschen Frauen von sich selbst hat, nämlich im Berufsleben ihre Frau zu stehen, stimmt mit dem in der Nachwendezeit erzwungenen Rückzug auf Heim und Herd nicht überein. Die „halbierte Mo-
14 die DDR-Familie in zunehmendem Maße den Ausfall gesellschaftlicher Werte und sinnvoller Betätigungsmöglichkeit im öffentlichen Leben zu kompensieren. Das Ergebnis war ein ausgesprochen familienzentriertes Verhalten großer Teile der Bevölkerung, ein Rückzug ins Private, eine auffällige Tendenz familialer Abkapselung und Verhäuslichung. Der Volksmund faßte diesen Prozeß bündig zusammen: ‘Privat geht vor Katastrophe’. Die Familie ist demnach, entgegen einstigen SED-politischen Vorstellungen, eine Art Gegenwelt zur Gesellschaft geworden. Das führte zur Überforderung der Kleinfamilie und leistete Ehescheidungen Vorschub. Ein Partner- und Familienwechsel stellte sich dabei zumindest als eine Möglichkeit dar, bei der Gestaltung des eigenen Lebens selbst Regie zu führen, sich neue Stimulanzien zu verschaffen und eine höhere Lebensqualität anzustreben“ (Gysi u.a. 1990, S.34). 3.3 Literatur Gysi, Jutta u.a.: Die Zukunft von Familie und Ehe, Familienpolitik und Familienforschung in der DDR. In: ZSE Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie 1990, 1.Beiheft, Burkart, Günter (Hrsg.): Sozialisation im Sozialismus. Lebensbedingungen der DDR im Umbruch, S.33-41 Kabat vel Job, Otmar: Zum Wandel familialer Lebensformen in Ostdeutschland. In: Büchner, P., Krüger,H.-H. (Hrsg.), Aufwachsen hüben und drüben. Deutsch-deutsche Kindheit und Jugend vor und nach der Vereinigung, Opladen 1991, S.59-68 Nickel, Hildegard Maria: Sozialisation im Widerstand? Alltagserfahrungen von DDR-Jugendlichen in Schule und Familie. In: Zeitschrift für Pädagogik 1991, H.4, S.601-618 Schröder, Harry: Identität, Individualität und psychische Befindlichkeit des DDR-Bürgers im Umbruch. In: ZSE Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie 1990, 1.Beiheft, Burkart, Günter (Hrsg.): Sozialisation im Sozialismus. Lebensbedingungen der DDR im Umbruch, S.163-176
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