Volltext (PDF) - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Volltext (PDF) - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Volltext (PDF) - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
fliktpotential, das sich in solch unterschiedlichen<br />
Sichtweisen andeutet?<br />
4.5 Der Typus der starken DDR-Frau<br />
Eine DDR-spezifische Variante, die in Westdeutschland<br />
so nicht anzutreffen ist, ist die starke Frau, die<br />
im Beruf ihre Frau steht und auch zuhause den<br />
größten Teil der anfallenden Arbeiten bis hin zu den<br />
Erziehungsaufgaben übernimmt. Sie zieht aus der<br />
Arbeit, die sie ohnehin zum größten Teil alleine leistet,<br />
eine folgenreiche, alltagspraktische Stärke. Der<br />
abwesende oder in Sachen Hausarbeit untätige<br />
Mann gerät innerhalb der Familie trotz des Fortbestehens<br />
traditioneller Rollenmuster in eine<br />
erstaunliche Schwächeposition. Aber die subtile<br />
Rollendiskriminierung der Frau bleibt.<br />
Die Rolle des Mannes in der ‚sozialistischen Familie‘<br />
bleibt merkwürdig blaß: Er weiß der innerhalb<br />
der Familie starken Frau wenig entgegenzusetzen.<br />
Paradoxerweise hängt das damit zusammen,<br />
daß das Modell der Gleichberechtigung in<br />
den Farben der DDR gänzlich an der Vereinbarkeit<br />
von Berufstätigkeit und Familie, schärfer formuliert:<br />
an der Erwerbstätigkeit des Mannes orientiert<br />
war. Die Frau sollte arbeiten gehen können wie ein<br />
Mann; sie soll werden wie ein Mann, und der<br />
Mann soll bleiben, wie er ist. Die Familienpolitik<br />
der DDR hat die Frauen verändert, die Männer<br />
kaum. Unberührt von der politisch geleiteten<br />
Umdefinition des traditionellen Frauenbildes hat<br />
sich so ein Traditionalismus im Geschlechterverhältnis<br />
erhalten.<br />
Sicher ist eine Emanzipation der Frau, die sich<br />
den beruflich und gesellschaftlich erfolgreichen<br />
Mann als Meßlatte nimmt, gescheitert; aber darüber<br />
hinaus ist auch die Rückwirkung auf Familien- und<br />
Geschlechterverhältnisse aufschlußreich: Wenn ausschließlich<br />
die Frauen sich zu verändern haben,<br />
schafft dies im Umkehrschluß an traditionellen<br />
Mustern verhaftete, wenig aufgeschlossene Männer.<br />
Solche Unterschiede äußern sich auch im Auseinanderklaffen<br />
von Selbst- und Fremdbildern der<br />
Geschlechter. DDR-Frauen formulierten <strong>für</strong> sich<br />
und den Mann gleichermaßen ein Bild, das allgemein<br />
menschliche Eigenschaften wie Zärtlichkeit,<br />
Kinderliebe, Zuverlässigkeit, Mut, Selbstbewußt-<br />
19<br />
sein, Anpassungsfähigkeit <strong>für</strong> beide Geschlechter<br />
beinhaltet. Das Wunschbild des Mannes war <strong>für</strong> die<br />
DDR-Frau zudem davon geprägt, daß er ein zärtlicher<br />
Liebhaber, guter Vater und versierter Hausmann,<br />
zugleich aber immer noch ein „richtiger<br />
Mann“ sein sollte (B.Bertram u.a. 1988, S.196).<br />
Das mag in sich widersprüchlich sein, aber entscheidend<br />
ist in diesem Zusammenhang, daß die Selbstund<br />
Fremdbilder der DDR-Männer deutlich traditioneller<br />
orientiert waren. Sich selbst sahen sie eher<br />
als mutig, durchsetzungsstark, selbstsicher und entscheidungsfreudig,<br />
während die Frau mehr Häuslichkeit,<br />
Ordentlichkeit und Anpassungsbereitschaft<br />
zeigen sollte. „Emanzipiert soll Sie selbstverständlich<br />
sein, aber – wie DDR-Männer oft sagen – ‘eben<br />
nicht so sehr’“ (J.Gysi 1990, S.115).<br />
Es speist sich aus solchen Erfahrungen – und hat<br />
nichts mit westlichem Feminismus zu tun –, wenn<br />
einzelne Frauen sogar so weit gehen, den alltagspraktisch<br />
schwachen, veränderungsunwilligen Mann als<br />
„ein weiteres Kind“ zu bezeichnen.<br />
4.6 Alleinerziehende Mütter<br />
Es liegt nahe, daß angesichts einer solcher Beurteilung<br />
des Geschlechterverhältnisses nicht wenige<br />
Frauen auch in der Erziehung ihrer Kinder ganz auf<br />
einen Mann verzichteten – sei es von vornherein<br />
oder nach einer Scheidung. ‘Alleinerziehende-Mütter-Familien’<br />
waren in der DDR spätestens seit den<br />
’70er Jahren gängige, staatlich wie rechtlich<br />
geschützte, zumindest jedoch tolerierte Lebensformen.<br />
Die Zahl der Ein-Eltern-Familien nahm<br />
noch dramatischer zu als in Westdeutschland; bereits<br />
1981 waren es 18% aller Familien. Allerdings<br />
lebte etwa die Hälfte der Alleinerziehenden mit einem<br />
Partner zusammen.<br />
Im Unterschied zu Westdeutschland waren die<br />
Alleinerziehenden kaum Diskriminierungen ausgesetzt.<br />
Da sie praktisch immer berufstätig waren und<br />
auch die sozialpolitischen Familienleistungen in<br />
Anspruch nehmen konnten, waren sie finanziell<br />
abgesichert. Offiziell galten unverheiratete Mütter<br />
als Ausdruck der Selbständigkeit und Unabhängigkeit<br />
der Frau. Die Abkehr von der Muß-Ehe wurde<br />
als „großer ideologisch-moralischer Erfolg“(Schlegel/<br />
Kabat vel Job 1986, S.82) betrachtet.